Adele Spitzeder: Die Geldzauberin von München

Mehr als 30.000 kleine Leute gehen Ende des 19. Jahrhunderts der Betrügerin Adele Spitzeder auf den Leim. Der Skandal um ihre "Dachauer Privatbank" erschüttert ganz Bayern – ein Rückblick zum 125. Jahrestag  
Nina Job |
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Sie trieb mit der "Spitzeder’schen Privatbank" Tausende Handwerker, Arbeiter, Dienstboten und kleine Bauern in den Ruin: Adele Spitzeder (1832-1895). Das Geld bunkerte sie säckeweise in ihrem Schlafzimmer.
Stadtarchiv München, Julian Nebel Sie trieb mit der "Spitzeder’schen Privatbank" Tausende Handwerker, Arbeiter, Dienstboten und kleine Bauern in den Ruin: Adele Spitzeder (1832-1895). Das Geld bunkerte sie säckeweise in ihrem Schlafzimmer.

Mehr als 30.000 kleine Leute gehen Ende des 19. Jahrhunderts der Betrügerin Adele Spitzeder auf den Leim. Der Skandal um ihre "Dachauer Privatbank" erschüttert ganz Bayern – ein Rückblick zum 125. Jahrestag

München - Sie war sehr gebildet und sprachgewandt, aber vor allem war sie eine begabte – und ausgebildete – Schauspielerin: Die Betrügerin Adele Spitzeder gründete Ende des 19. Jahrhunderts in einer Bierwirtschaft in der Münchner Altstadt eine Privatbank. Innerhalb schwindelerregend kurzer Zeit gingen der gebürtigen Berlinerin mit ihrem Schneeballsystem mehr als 30.000 sogenannte kleine Leute auf den Leim.

Pünktlich zum 125-jährigen Jahrestag ihrer Verhaftung ist jetzt ein neues Buch über den Aufstieg und Fall einer Betrügerin in den Zeiten von Märchenkönig Ludwig II. erschienen: "Adele Spitzeder – der größte Bankenbetrug aller Zeiten". Adele Spitzeder lebte gern auf großem Fuß. Doch von ihren Engagements als Schauspielerin konnte sie sich ihren Lebensstil nicht leisten. Sie hatte immer Schulden.

Mit 36 Jahren kehrte sie der Theaterszene den Rücken und strandete pleite in München, wo sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hatte. Mit ihrer Freundin und sechs Hunden zog sie in den Gasthof Goldener Stern im Tal – dem heutigen Einrichtungshaus Böhmler. Dort wurde Adele Spitzeder zur Betrügerin, dort legte sie den Grundstein zur "Spitzeder’schen Privatbank".

Zehn Prozent Zinsen - pro Monat!

Ihr System war so simpel wie erfolgreich: Um wieder flüssig zu werden, versprach sie zwei Zimmermanns-Eheleuten aus der Au, damals einem der ärmsten Viertel der Stadt, zehn Prozent Zinsen für deren Ersparnisse. Pro Monat! Die Zinsen für den ersten Monat zahlte sie sofort aus. In drei Monaten, versprach sie, sollte das Paar das gesamte Geld plus Zinsen zurückbekommen. Die Legende von der Geldvermehrung verbreitete sich in Windeseile.

Handwerker, Droschkenkutscher, Ledergerber, Waschfrauen und Stubenmädchen – alle trugen ihre Ersparnisse zu Adele Spitzeder. Schon nach wenigen Tagen war die Schauspielerin ihre eigenen Schulden los. Bald konnte sich die Neu-Bankerin kaum noch retten vor dem Zustrom: Nicht nur Münchner kamen, sondern auch kleine Bauern aus dem Dachauer Land, aus Schwaben, Niederbayern, Franken und der Oberpfalz beknieten sie geradezu, ihr Geld zu nehmen. Als der Ansturm zu groß wurde, zog die "Bank" in ein anderes Gasthaus in die Dienerstraße 20 um. Doch auch dort wurde es schnell zu eng. Im Oktober 1871 bezog die Betrügerin ein von dem fremden Geld gekauftes Haus in bester Lage in der Schönfeldstraße am Englischen Garten.

Die Blase platzt

Ins Erdgeschoss kamen die Geschäftsräume, oben residierte die mittlerweile steinreiche Frau mit Freundin und Hunden. Bis zu 40 Mitarbeiter hielten die Geschäfte am Laufen. Um kritische Stimmen zu übertönen, übernahm die Frau mehrere Zeitungen und stellte sich als großzügige Wohltäterin dar. So gründete sie unter anderem eine Volksküche im Orlandohaus am Platzl.

Die Blase platzte am 12. November 1872: Nachdem das Innenministerium und die Polizei öffentlich vor dem Geldhaus gewarnt hatten, stürmten viele Kunden vormittags panisch die Bank. Nachmittags marschierten Polizisten und eine Gerichtskommission in die Bank. Alles noch vorhandene Geld wurde beschlagnahmt. Die Männer zogen hinter Kommoden und Schränken überall Säcke mit Münzen, Marientalern, Gold und Schmuck hervor. Handelsbücher hatte die Bankerin dagegen keine.

Adele Spitzeder wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe saß sie bis zum letzten Tag im Schuldgefängnis in der Baaderstraße ab. Doch sie durfte allein in einer Dreipersonenzelle sitzen und ihre Memoiren schreiben. Ihr Hund Daisy leistete ihr Gesellschaft. Als sie mit 44 Jahren entlassen wurde, kamen erneut Menschen zu ihr und wollten Geld anlegen.

Die Staatsanwaltschaft entschied, wer so dumm sei, dürfe keinen staatlichen Schutz genießen. Am 27. Oktober 1895 starb Adele Spitzeder – verarmt und allein. Sie wurde anonym am Alten Südfriedhof beerdigt.

Lesen Sie hier: Nockherberg-Derblecken - Starkbieranstich: Das ändert sich beim Singspiel

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