Abriss in Nymphenburg geplant: Wut am Schlossrondell

Nymphenburg - Wenn in Nymphenburg über die Neubaupläne am Schloss gesprochen wird, platzt so manchem Anwohner der Kragen: Ein "Schlamassel" sei hier geplant, ist zu hören. Was manche im Viertel verärgert, sind das Ende des Museums Mensch und Natur - und sein Ersatz, der Neubau Biotopia.
Kostenexplosion: 200 Millionen für Biotopia-Neubau
"Das Museum wird ersatzlos gestrichen. Und das leerstehende Institut für Genetik neben dem Museum wird für Biotopia abgerissen. Das ist den meisten Münchnern noch nicht klar. Bruno, der Bär, wandert ins Depot. Niemand kann ihn mehr sehen", beklagt Doris Fuchsberger. Die Autorin kennt sich gut aus in Nymphenburg.
Den geplanten Neubau im Nordflügel von Schloss Nymphenburg für das Naturkundemuseum "Biotopia" hält die Bürgerinitiative "Gemeinsam für Schloss Nymphenburg" an dieser Stelle erstens für absolut falsch platziert. Und zweitens für viel zu teuer: "Eine enorme Kostenexplosion für den Neubau führte dazu, dass sich die Kosten von 70 Millionen Euro auf 200 Millionen Euro mehr als verdoppeln", schreibt die Bürgerinitiative in einem aktuellen Positionspapier.
Zu teuer, langwieriger Prozess, kontroverses Image: Doris Fuchsberger erklärt zum komplizierten Standort am Ensemble von Schloss Nymphenburg: "Biotopia ist gut gemeint, ich bin für ein Naturkundemuseum. Aber den Neubau eines so großen und ambitionierten Museums sehe ich hier kritisch. Der Nymphenburger Schlosspark ist jetzt schon dermaßen übernutzt. Noch mehr Besucher werden der Flora und der Fauna im Park nicht bekommen."
Nymphenburg: Abriss des früheren Instituts für Genetik
In das Gebäude des Museums Mensch und Natur von 1938 sollen die Büros und Werkstätten für Biotopia ziehen. Der Abriss des Nachbargebäudes, dem früheren Institut für Genetik, wird allerdings nicht vor 2022 beginnen, entgegnet indes Michael Apel, der Leiter des Museums Mensch und Natur. Das jetzige Gebäude aus den 60er Jahren ist auf eine dicke Betonwanne gebaut. "Eine Beschädigung der Bausubstanz des Nymphenburger Schlosses durch den Abriss ist selbstverständlich auszuschließen", wirkt Michael Apel Befürchtungen entgegen, dass die kostbaren Räume und Dekorationen von Schloss Nymphenburg Risse erleiden könnten.

Museumsdirektor Apel freut sich sehr auf den Biotopia-Neubau: mit einer größeren Ausstellungsfläche, helleren Räumen, Veranstaltungssaal und Platz für eine zeitgemäße Gastronomie. Freilich auch mit einem moderneren Museumskonzept. Ein Teil der Münchner lehnt den Neubau an dieser Stelle jedoch kategorisch ab. Gegner empfinden ihn als "Sakrileg". Fast 3.000 Unterschriften haben Kritiker der Biotopia-Optik 2018 gesammelt. Sie bemängeln: "Der Neubau passt nicht rein!" Die "riesige Tor-Öffnung" gefällt nicht. Der Biotopia-Neubau breche mit der Fassadengestaltung des Schlosses. Rund 50 Mitstreiter der Initiative "Gemeinsam für Schloss Nymphenburg" denken so: Der 24-jährige Neven Denhauser gehört zum Kern der Kämpfer gegen den Abriss des 60er-Jahre-Baus neben dem Museum Mensch und Natur.
Museum Mensch und Natur muss "Leuchtturm-Projekt" weichen
Wie auch Doris Fuchsberger, macht er seit Jahren Schlossführungen: "Wenn man in das Schlossrondell einfährt, öffnet sich der Vorhang, wie in einer barocken Theaterinszenierung auf eine 632 Meter breite Schlossfassade. Das ist die längste sichtbare Schaufassade eines Schlosses weltweit. Diese Dimension überwältigt. Jeder fühlt es", sagt der Student der Kunstgeschichte. Er ist dagegen, dass das Gebäude aus den 60er Jahren abgerissen wird, nur weil ihm nachträglich der Denkmalstatus aberkannt wurde. Denn es wirke wie ein Teil des Ensembles. Sein Problem mit dem Entwurf für Biotopia: "Der Entwurf wirkt wie ein Fremdkörper. Das Gebäude hat falsche Fensterformate, einen falschen Torbogen und ist ein Kind des Zeitgeistes. Der Neubau stört das durchkomponierte Gesamtkunstwerk der Schlossanlage."

Münchner, mit Ortskenntnis in Nymphenburg, wundern sich, dass der geplante Zugang zu Biotopia an einer Engstelle an der Maria-Ward-Straße liegen soll, in der Nähe von drei Schulen. "1.800 Schüler frequentieren mehrmals täglich die schmale Straße". Hinzu kommen Elterntaxis, Touristen, Zuliefer-Lkw. "Der Zugang ist für ein Museum mit diesem angestrebten internationalem Rang sehr ungünstig", urteilt die Bürgerinitiative.
Dass das Museum Mensch und Natur "suspendiert, liquidiert und durch Biotopia ersetzt wird", schmerzt ihn tief: Hans-Albert Treff, den früheren Direktor. Zwar ist der 80-Jährige der Überzeugung: "Die Dauerausstellungen sind total veraltet und gehören dringend upgedatet." Aber er bedauert: "Du Baby, wirst nicht ausgebaut, sondern ausradiert", so steht es in seinem offenen Brief, der auf der Webseite der Bürgerinitiative "Gemeinsam für Schloss Nymphenburg" zu lesen ist.
"Es ist noch nicht zu spät für eine bessere Lösung"
Das Konzept für Biotopia ist ein hochmodernes Naturkundemuseum mit digitalen Elementen und der Idee, dass die Besucher experimentieren sollen. Hans-Albert Treff hat dazu eine klare Meinung: "Nichts gegen eine Science-Gallery, auf der viel über Bildschirm und digital präsentiert wird. Das ist respektabel. Aber so eine Präsentation ist kein Ersatz für ein Naturkundemuseum mit Sammlung." Der ehemalige Direktor erklärt: "Ich hänge an der Idee, das authentische Objekt, wie ein seltenes Fossil zu zeigen, das Staunen und Ehrfurcht auslöst. Das Exponat spielt eine riesengroße Rolle, gerade auch für Kinder und Jugendliche. Wofür brauchen wir sonst Kunstmuseen? Wir könnten alle Bilder digital zeigen."

Viele Biotopia-Kritiker befürchten, dass der Freistaat sich in ein "Leuchtturm-Projekt" verrannt hat, das in Corona-Zeiten sowieso zu teuer wird. Obwohl Biotopia auch auf dem Gelände des Botanischen Gartens weiterentwickelt werden könnte, wo heute schon das "Biotopia Lab" eingezogen ist. Kunsthistoriker Neven Denhauser hat diese Hoffnung: "Es ist noch nicht zu spät für eine bessere Lösung. Biotopia kann auch mit dem Museum Mensch und Natur koexistieren. Man sollte den Altbestand würdigen und innen umbauen. Wenn man das Gebäude des früheren Instituts für Genetik rücksichtslos abreißt, finde ich das keineswegs nachhaltig, sondern eher barbarisch." Buchautorin Doris Fuchsberger gibt zu bedenken: "Ich wünsche mir auch ein aktualisiertes Museum Mensch und Natur. Aber Touchscreens passen nicht zu Corona. Da stehe ich lieber vor einer Vitrine und sehe ein ausgestopftes Tier."