Abgelehnt! Ist diese Sekretärin (60) zu alt für einen Job?

Eine 60-Jährige sucht einen Job – bisher vergebens. Sie fühlt sich aufgrund ihres Alters diskriminiert und geht mit den Arbeitgebern hart ins Gericht. Sie ist mit ihrem Schicksal nicht allein.
Lisa Marie Albrecht |
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Christel P. ist mit ihrem Schicksal nicht allein. Absagen für ältere Bewerber auf dem Arbeitsmarkt sind leider keine Seltenheit.
dpa (Symbolbild) / privat (AZ-Montage) Christel P. ist mit ihrem Schicksal nicht allein. Absagen für ältere Bewerber auf dem Arbeitsmarkt sind leider keine Seltenheit.

Eine 60-Jährige sucht einen Job – bisher vergebens. Sie fühlt sich aufgrund ihres Alters diskriminiert und geht mit den Arbeitgebern hart ins Gericht. Sie ist mit ihrem Schicksal nicht allein.

München - Bewerbungen abschicken, hoffen, das Telefon bewachen, das Mailpostfach checken - enttäuscht werden. Und wieder von vorn.

So sieht seit Mai 2018 ein großer Teil des Alltags von Christel P. aus. Über 30 Bewerbungen hat die 60-Jährige, die in der Nähe von München lebt, bereits geschrieben. Bei einer überregionalen Zeitung inseriert sie am Wochenende, durchsucht die Angebote des Jobcenters und von Stellenmarktportalen im Internet und meldet sich auf Inserate in lokalen Zeitungen. Bisher ohne Erfolg.

P. hat eine kaufmännische Ausbildung als Sekretärin, arbeitete viele Jahre als Bauleitungssekretärin bei verschiedenen Projektbüros in München und Umgebung und schloss 1995 ihre Ausbildung zur Immobilienwirtin mit "sehr gut" ab. Seit 40 Jahren sei sie im Berufsleben, seit 28 Jahren ausschließlich in der Baubranche tätig - "und die boomt", sagt sie der AZ.

Altersangabe in der Bewerbung kein Muss

Doch seitdem P. ihre letzte Arbeitsstelle im Baustellensekretariat aufgeben musste - ihr ohnehin befristeter Vertrag wurde aufgelöst, weil es Probleme mit dem Auftraggeber gab - ist sie auf Jobsuche. Inzwischen ist sie verzweifelt. Dass noch keine neue Stelle in Aussicht ist, hat für sie einen klaren Grund: ihr Alter.

"Ich gebe das Alter im Lebenslauf inzwischen nicht mehr an", sagt P. resigniert. Das muss sie rein rechtlich auch nicht. Doch auf die Bewerbungen, bei denen sie die Angabe weggelassen habe, bekam sie erst gar keine Antwort. Die Sekretärin ist sauer auf die Personaler: "Am liebsten wollen sie eine 20- oder 30-Jährige, aber mit 40-jähriger Berufserfahrung." Offiziell sage ihr natürlich niemand, dass sie zu alt sei. Doch bei den diversen Vorstellungsgesprächen werde sie immer nach dem Alter gefragt. Bei einer Immobilienverwaltung im Landkreis München sei ihr klar gesagt worden, dass eine 40-Jährige dem Chef lieber wäre.

Altersdiskriminierung ist oft sehr schwer nachzuweisen

Diese Deutlichkeit sei aber selten. Sie bekomme die "üblichen Ausreden" zu hören: Man habe sich leider für jemand anderen entschieden, sie entspräche nicht der Qualifikation – "obwohl das Aufgabenziel genau meinen Tätigkeiten entsprach", sagt die 60-Jährige. "Und obwohl ich wirklich nicht so aussehe, als ob ich schon einen Rollator brauche."

Ist Christel P. ein Opfer von Altersdiskriminierung? Das sei in der Praxis häufig schwierig zu beurteilen, weiß Kathrin Blaha. Sie arbeitet bei der Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung, die zur Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin gehört. Es ist bundesweit die einzige Stelle dieser Art, die spezifisch Alter und Behinderung in den Blick nimmt, andere Anlaufstellen betrachten alle Arten von Diskriminierung.

Deutschlandweit ist dafür die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zuständig. Diese hat in einer Umfrage aus dem Jahr 2012 herausgefunden: Jeder fünfte Deutsche hat sich schon einmal wegen seines Alters diskriminiert gefühlt. Bei der Einschätzung der Berufschancen für Menschen ab 45 zeigten sich Frauen deutlich pessimistischer als Männer, und je höher der Bildungsgrad war, desto optimistischer waren die Befragten.

"Junges Team" oder "Nachwuchstalent" gesucht

Diskriminierungsberaterin Blaha weiß aus ihrer täglichen Arbeit, dass etwa 15 Prozent der Anfragen ausschließlich das Alter betreffen - diese können natürlich sowohl von Älteren wie auch von Jüngeren kommen. "Wenn es Anfragen zu Altersdiskriminierung gibt, dann bezieht es sich in der Regel auf den Beruf", sagt Blaha. "Das ist ja auch der größte Bereich unseres Lebens." Eine direkte Altersgrenze, ab wann es im Berufsleben schwierig wird, könne sie nicht ziehen. Auffällig sei aber, dass es bei Älteren vor allem beim Wiedereinstieg in den Beruf zu Problemen komme.

Diskriminierung am Arbeitsplatz nicht zulässig

Allerdings sei es sehr schwierig, nachzuweisen, dass man etwa eine Arbeitsstelle aufgrund seines Alters nicht bekommen hat. Offiziell ist Altersdiskriminierung verboten. Die Details regelt das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichberechtigungsgesetz (AGG). Es besagt, dass niemand aus rassistischen Gründen, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität durch private Akteure, zu denen auch Arbeitgeber zählen, diskriminiert werden darf. Wer einen Verstoß wittert, kann auf Entschädigung klagen - theoretisch.

Im Alter auf das Geld angewiesen

"Wenn man rechtlich vorgehen möchte, ist man in der Pflicht, klare Indizien für Altersdiskriminierung vorzulegen", sagt Blaha. "Das ist eine hohe Hürde." Denn Arbeitgeber bemühen sich aufgrund des AGG, eine möglichst neutrale Stellenausschreibung ohne Altersangaben zu formulieren. Ein paar versteckte Hinweise gibt es trotzdem, sagt die Beraterin.

Etwa, wenn von einem "jungen, dynamischen Team" die Rede ist oder "Nachwuchstalente“ gesucht werden. Dennoch: Altersdiskriminierung konkret nachzuweisen ist eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass das AGG nur eine kurze Frist vorsieht, in der man der Person, gegen die sich der Vorwurf richtet, diesen schriftlich mitteilen muss: zwei Monate.

Während es auf der einen Seite viele gibt, die sich schon einmal wegen ihres Alters diskriminiert gefühlt haben - vor allem im Beruf - fordern Unternehmensverbände wie die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), ältere Mitarbeiter länger im Unternehmen zu halten.

Rente mit 63 in der Diskussion

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels benötige man eine "höhere und längere Erwerbsbeteiligung Älterer", sagte vbw-Chef Bertram Brossardt - auch über das gesetzliche Rentenalter hinaus. Die vbw fordert, ebenso wie andere Wirtschaftsverbände, eine Abschaffung der Rente mit 63, weil dadurch dem Arbeitsmarkt wertvolle Fachkräfte entzogen würden.

Diese Aussagen klingen für die arbeitssuchende Christel P. derzeit wie blanker Hohn. Die Realität sehe anders aus. "Das entbehrt jeder Grundlage", sagt P. Kritik an der Forderung kam auch vom Sozialverband VdK Bayern - die Landesvorsitzende Ulrike Mascher sagte der AZ, dass viele Arbeitnehmer, wenn sie ihre Arbeit verlören, aus dem System fielen.

So weit will und kann P. es nicht kommen lassen. Sie sei verwitwet und auf das Geld angewiesen. Sie wohnt zur Miete, es sei finanziell sehr eng. "Aber ich gehe auch gerne arbeiten", sagt P. "Ich empfinde das nicht als Belastung. Und ich bin keine Angestellte, die im Kalender die Tage bis zur Rente abkreuzt."


Wer sich wegen seines Alters diskriminiert fühlt, kann sich an die Antidiskriminierungsstelle wenden (Telefon: 030 18555-1855, juristische Erstberatung: Mo 13–15, Mi und Fr 9–12 Uhr).

Haben Sie eine Arbeitsstelle für die Protagonistin? Schreiben Sie gerne eine Mail an albrecht.l@az-muenchen.de

Haben Sie schon einmal Altersdiskriminierung erlebt? Schreiben Sie uns ihre Erfahrung an leserforum@az-muenchen.de

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