Abenteuer Island: Zwei Münchner überqueren den größten Gletscher Europas
München - Der Münchner Filmemacher (49) hat mit dem Radl 20 Mal die Alpen überquert, den Gipfel des 6.300 Meter hohen Chimborazo in Ecuador bestiegen, ist mit Walhaien im Indischen Ozean getaucht und im kanadischen Yukon einen Halbmarathon gelaufen - über Eis, bei minus 20 Grad. Demnächst reist er in den Libanon für einen Film über die "Zeltschule", die Kindern mit Hilfe aus München Schulunterricht ermöglicht. Zum Vatnajökull-Training kann man auf ihrer Website einen Filmtrailer anschauen.
In 14 Tage über einen isländischen Gletscher
Neulich waren sie nochmal oben im Taschachgletscher, zum Trainieren. Der Gepäckschlitten war zu schwer, der Schlafsack zu dünn für die minus 20 Grad in der Nacht, das Campinggas festgefroren. Und die Sache mit der Gletscherspaltenbergung bedarf auch noch der Übung, bevor es losgeht in drei Wochen. Was sie planen, soll zwar Spaß machen, kann aber bitterernst werden.

Der Münchner Filmemacher Markus Henssler (49) und sein Abenteurer-Freund, der Linzer Erlebnispädagoge Christian "Kortschi" Korherr (45), wollen ab 20. Mai ohne Führer und Handyempfang allein den größten Gletscher Europas außerhalb des Polargebiets überqueren: den Vatnajökull in Island. 1.000 Höhenmeter an Islands Südostküste rauf. Dann 150 Kilometer quer durchs ewige Eis. Und auf der Rückseite wieder herunter. In 14 Tagen. Wieso, um Himmelswillen, macht man sowas?

Mit guter Vorbereitung ins isländische Abenteuer
AZ: Herr Henssler, Sie sind ein guter Skifahrer, aber das war's dann auch mit Gletschererfahrung, stimmt's?
MARKUS HENSSLER: Naja, wir haben drei Vorbereitungscamps gemacht, oben am Dachstein und im Pitztal. Um zu sehen, wie kommen wir mit Langlaufskiern bergauf? Wie kommen wir mit dem Gewicht im Gepäckschlitten bergauf? Und was machen wir, wenn einer von uns in eine Gletscherspalte stürzt.
Bergauf mit Langlaufskiern?
Wir steigen mit den dünnen Latten hoch, weil die leichter sind als Tourenskier. Wir starten auf Meereshöhe und gehen am ersten Tag die 1.000 Höhenmeter hoch. Das wird auch gleich das gefährlichste Stück sein, weil auf der Strecke Gletscherspalten sind.
Risse im Eis: Gefahr von Gletscherspalten
Gletscherspalten sieht man nicht, oder?
Richtig, das sind zehn oder auch mal 50 Meter tiefe Risse im Eis. Darüber liegen Schneebrücken, die brechen ein. Und dann gibt es drei Szenarien: Dem Vordermann, der reinfällt, geht es gut. Dann kann er sich selber am Seil zwischen uns herausziehen. Oder er ist verletzt. Dann muss man einen Flaschenzug bauen, um ihn hochzuziehen. Oder er ist ohnmächtig.
Na bravo. Wie lang ist das Seil zwischen Ihnen beiden?
Zehn Meter, und jeder hat noch um die 18 Meter Restseil, mit dem man arbeiten kann. Wir müssen also nicht nur wissen, was wir tun. Wir müssen auch sofort alles am Mann haben: die Eisschraube, die Steigeisen, die ganzen Schnüre, alles.

Gefahrentraining per Internetvideo
Wie haben Sie das Herausretten aus so einer Spalte gelernt?
Über Übungsvideos im Internet.
Nein, oder?
Na doch, das geht. Wir haben erst in einer Hütte geübt, dann an einem Jägerhochstand, und jetzt haben wir uns irgendwelche Hänge hinuntergeworfen und den anderen hochgezogen.
Aha. Welches Wetter erwarten Sie am Gletscher?
Da kann alles kommen: Sonne und kurze Hose, es kann auch dauerregnen, schneien oder stürmen. Da ist ja offenes Gelände ohne Schutz. Wir stellen uns auf das Schlimmste ein und hoffen, dass es nicht eintritt.
Zwei Wochen alleine im Expeditionszelt
Sie könnten ja vorher in den Wetterbericht schauen?
Nö. Wir haben beschlossen, an welchem Tag wir losgehen, und das Wetter in den Bergen ändert sich eh von jetzt auf gleich.
Kommen da eigentlich Karawanen anderer Leute vorbei?
Nein. In Coronazeiten sowieso nicht. Wir werden da zwei Wochen sehr allein sein.
Wie schnell steht Ihr Expeditionszelt?
Die Zeltroutine mit aufbauen, einrichten und Essen kochen dauert zweieinhalb Stunden. Abbauen und verstauen genauso. Wir müssen also fünf Stunden am Tag dafür einplanen.

Bis zu 30 Kilo Gepäck schleppen die Münchner über den Gletscher
Wie viele Kilometer wollen Sie denn täglich schaffen?
Zwölf bis 15. Das wird aber nicht immer zu schaffen sein. Neulich im Camp mussten wir ein paar Mal über Lawinenabgänge, wo riesige Brocken lagen. Da musst du den Schlitten ziehen, der verklemmt sich irgendwo, du musst ihn freiziehen, an jedem Abhang rutscht er weg, überholt dich seitlich, das ist schon beschwerlich.
Was haben Sie alles dabei?
Auf dem Schlitten sind Zelt, Isomatte, Schlafsack, Kleidung, Verpflegung, Ausrüstung wie Kletterzeug und Helm. Das sind 25 bis 30 Kilo. Also: kein Platz für ein zweites Paar Schuhe.
Und wenn die Schuhe nass sind?
Der Kortschi wird dünne Nylonsocken tragen, zieht Plastik drüber und darüber warme Socken. So wird nur die Nylonsocke feucht und die Schuhe bleiben innen trocken. Die Nylons trocknen dann nachts im Zelt, auf seiner Schulter liegend.
Typ MacGyver, der Kortschi?
Absolut. Als er 2.500 Kilometer von Linz nach Barcelona geradelt ist, hat er auf halbem Weg den gebrochenen Fahrradrahmen mit einem Schnürsenkel repariert.
Der ganze Trip nach Island wird gefilmt
Schau an. Dann schleppen Sie wohl auch kein Wasser mit.
Nein, das schmelzen wir aus Schnee. Zum Essen haben wir Expeditionsnahrung dabei. Das sind Beutel, in die man heißes Wasser kippt. Da gibt es alles von Boeuf Stroganoff über Chili bis Milchreis. Das isst man halt als Brei, schmeckt ganz okay.
Sie wollen filmen, richtig?
Klar. In meinem Rucksack trage ich eine Drohne und die Kamera. Dazu ein Stativ und einen Koffer mit der Actioncam.
Warum tut man sich das an?
Wie lösen Sie das Problem, dass Sie dafür Strom brauchen?
Strom gewinnen da oben wird nicht gehen. Also habe ich Akkus dabei, die ich warmhalten muss. Ich habe eine Anglerweste gekauft, in die stecke ich die Powerbanks und trage sie am Körper. Auch nachts im Schlafsack. Auf meiner Haut ist also kein Platz zum Sockentrocknen. Bei mir sind die Akkus wichtiger als warme Füße.
Mal im Ernst, warum machen Sie das?
Aus Abenteuerlust.
Oder weil Sie 50 werden?
Nein, zum 50er plane ich eine Matterhornbesteigung. Da klettert man in Fels und Eis. Wenn du runterfällst, bist du tot.
Na toll. Noch mal: warum?
Der Vatnajökull liegt auf einem Vulkan. Da ist Feuer und Eis sehr nah beieinander. Dem Gletscher sagt man voraus, dass er irgendwann in die Luft fliegt.
"Ich will raus aus der Komfortzone"
Also schnell nochmal da spazieren gehen?
Genau! Und ich will raus aus der Komfortzone. Ohne die Möglichkeit, zu sagen, es ist ungemütlich, dann gehen wir jetzt halt ins Hotel oder heim.
Irgendeine Absicherung haben Sie aber eingeplant?
Handyempfang gibt's dort nicht. Aber wir teilen der isländischen Rettungseinheit ISAR unsere Route mit und haben einen GPS-Funkpiepser dabei. Wenn die keine Meldung mehr von uns erhalten, verstehen sie es als: Bitte kommen. Aber keine Sorge, soweit kommt's nicht.
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