9 Monate Wartezimmer
MÜNCHEN - Ein Münchner kam aus dem Urlaub mit einem Verdacht auf Grünen Star zurück. Der Kassenpatient wollte sich beim Augenarzt einen Termin geben lassen. Vorschlag der Praxis: 17. Dezember, 11 Uhr. Anders ergeht es da Privatpatienten, wie ein AZ-Test ergab.
Es war in Prag, als Heinz Kindermann in seinem Urlaub manchmal doppelt und verschwommen sah. Seine Augen spielten einfach verrückt – der Verdacht: Grüner Star, eine Krankheit, die blind machen kann. Gleich am Montag rief der Opernregisseur in der Praxis „Augenärzte am Stachus“ an. Zwecks Termin. Den bekam er. Aber nicht in der nächsten Woche. Auch nicht im nächsten Monat – erst in neun Monaten, am Mittwoch, den 17.Dezember, 11 Uhr. Weil er Kassenpatient ist, mutmaßt Kindermann. Und kommt sich vor wie ein „Mensch zweiter Klasse“.
Eine aktuelle Studie der Universitäten Lahr und Ilmenau gibt dem 62-Jährigen Recht: Im Schnitt warten gesetzlich Versicherte viel länger auf Termine bei Ärzten und Kliniken als betuchte Privatpatienten – selbst bei akuten Schmerzen.
Schlechtere Behandlung, billigere Medikamente
„Die Lage ist wirklich dramatisch“, sagt Adelheid Schulte-Bocholt von der Patientenberatungsstelle. „Wir bekommen ständig Beschwerden von Kassenpatienten. Sie müssen länger auf Termine warten und bekommen viel öfter eine schlechtere Behandlung und billigere Artzney.“
Bei Augenärzten, Gynäkologen und Spezialbehandlungen wie Magnetresonanztherapie dauere es besonders lange, meint Schulte-Bocholt. „Wir haben längst eine Zwei-Klassen-Medizin.“ Bekam Heinz Kindermann bloß deshalb so spät einen Termin, weil er Kassenpatient ist? Die AZ wollte es genau wissen und rief am Freitag in der Klinik einfach mal an ...
"Private finanzieren Kassenpatienten"
Die erste AZ-Mitarbeiterin gab sich als Kassenpatientin aus, klagte über Druck auf den Augen und verschwommene Sicht. Termin: unmöglich. „Dieses Jahr haben wir nichts mehr frei“, so die Dame am Telefon. Zweiter Versuch. Zweite AZ-Mitarbeiterin, gleiches Leiden, nur eben privatversichert. Termin: gleich um 12 Uhr – oder Montag, falls das besser sei.
Der Chef der Praxis, Christoph Baur, bestreitet das alles gar nicht – und gibt den Kassen die Schuld. „Wir bekommen von den Gesetzlichen Kassen pro Quartal und Patient nur rund 25 Euro“ sagt der Augenarzt. „Wir dürfen auch nur eine bestimmte Anzahl von Patienten in einem Quartal behandeln. Sind es mehr, kriegen wir bloß einen Bruchteil.“ Jeder Privatpatient bringe ihm dagegen im Schnitt 125 Euro – klar, dass die bevorzugt werden. „So finanzieren wir die Kassenpatienten“, sagt Baur. „Ich kenne keinen, der umsonst arbeitet.“
Heinz Kindermann geht es übrigens gut. Seine Krankenkasse vermittelte ihm einen Termin – für Freitag. „Meine Augen sind in Ordnung“, sagt Kindermann. Gut so – er hätte sonst wohl weitere Termine gebraucht.
Thomas Gautier
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