„80 Prozent der OPs sind völlig überflüssig“
MÜNCHEN - Wie behandelt man einen Bandscheibenvorfall richtig? Sicher ist: oft wird's falsch gemacht: "In Deutschland wird viel zu schnell und viel zu oft operiert", kritisiert der MünchnerArzt Martin Marianowicz. Was Betroffene und Patienten wissen sollten.
Der Vorwurf des Münchner Promi-Arztes Martin Marianowicz wiegt sehr schwer: „Über 80 Prozent aller Bandscheiben-Operationen sind medizinisch völlig überflüssig.“ Das wären allein in Deutschland rund 80 000 im Jahr. „Die Entscheidung, zu operieren, wird hierzulande oft verfrüht und unbedacht getroffen“, klagt der Facharzt für Orthopädie an, der bereits Patienten wie Boris Becker, Uschi Glas und Helmut Dietl erfolgreich behandelt hat.
Das Credo des Rückenexperten: „Operative Wirbelsäulen-Eingriffe sind nicht nur riskant, sondern belasten die leeren Gesundheitskassen mit Milliarden Euro.“ Dabei reiche in den meisten Fällen eine orthopädische Schmerztherapie oder minimal-invasive Behandlungen ohne OP aus, um den Beschwerden ein Ende zu bereiten. Das alternative Therapiespektrum umfasse Akupunktur, bildgesteuerte Injektionen und Schmerzkatheter bis hin zur Entfernung von Teilen der Bandscheibe mit Laser.
Im Rahmen einer eigenen Langzeituntersuchung hat Martin Marianowicz, der in München das „Zentrum für Moderne Orthopädie“ betreibt, insgesamt 12 000 Fälle analysiert: „Dabei handelt es sich um Patienten, bei denen Bandscheibenvorfälle diagnostiziert und andernorts Operationen empfohlen worden waren. Wir mussten weit unter 20 Prozent tatsächlich operieren.“ Sein Rat an alle Patienten mit Rückenproblemen: „Holen Sie sich in jedem Fall vor einer OP eine zweite Facharztmeinung ein.“
Internationale Studien sehen Operationen leicht im Vorteil
Es könne schon sein, dass in einigen Fällen zu früh oder zu viel operiert worden ist, sagt auch Professor Bernhard Meyer vom Klinikum rechts der Isar der TU München. Der Direktor der dortigen Neurochirurgie widerspricht seinem Kollegen: „Die zwei aussagekräftigsten Studien, die das renommierte ’New England Journal of Medicine’ veröffentlich hat, ergeben einen leichten Vorteil für OP-Verfahren im Vergleich zu konservativen Therapien. Patienten, die operiert wurden, können demnach schneller in ihren Alltag und ihre Arbeit zurückkehren.“ Der Nutzen von neuen minimal-invasiven Therapieverfahren sei dagegen bis heute wissenschaftlich nicht eindeutig erwiesen, so Meyer.
Fakt ist: „Das Komplikationsrisiko ist laut Studien bei beiden Verfahren – OP oder konservative Schmerztherapien – sehr gering. Und die Zufriedenheit der Patienten ist jeweils nach einem Jahr gleich hoch.“ Beide Behandlungswege seien also denkbar, so Meyer: „Letztlich muss der Patient nach einer fachlich guten Aufklärung und Beratung entscheiden.“
Der Goldstandard für Operationen: Die Mikrodiskektomie
Bei einem Bandscheibenvorfall bricht ein Stück heraus und drückt auf den Nerv. Helfen keine konservativen Therapien, sei „der Goldstandard zur Behandlung eines Lendenwirbel-Bandscheibenvorfalls das minimal-invasive OP-Verfahren der Mikrodiskektomie“, sagt Prof. Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgie am Klinikum rechts der Isar der TU. Dabei wird der Teil der Bandscheibe entfernt, der herausgebrochen ist, auf den Nerv drückt und zu Schmerzen führt. In manchen Fällen kann man die OP auch endoskopisch machen.
Michael Backmund