61-Jährige in Angst - Rüder S-Bahn-Fahrer schockt Behinderte

MÜNCHEN - Per Durchsage diffamiert er eine 61-jährige S-Bahn-Kundin in aller Öffentlichkeit als Schwarzfahrerin – Mitreisende helfen der verzweifelten Frau.
Es sind nur sechs Stationen von Daglfing an den Stachus. Eine Viertelstunde Fahrzeit – aber die 15 Minuten in der S8 hat Margit W. am Sonntag Blut und Wasser geschwitzt.
Alles begann damit, dass die gehbehinderte 61-Jährige an der S-Bahnhaltestelle Daglfing länger nach einem Parkplatz suchen und anschließend ein gutes Stück weit weg parken und zu Fuß zur S-Bahn zurücklegen musste. Trotz Extra-Zeitpolster war sie spät dran. „Ich war froh, als ich um 13.46 Uhr gerade noch rechtzeitig am Bahnsteig ankam“, erzählt die ehemalige Rektorin einer Grundschule in der Messestadt Riem, die als Kind an Polio erkrankte und seitdem zu 80 Prozent schwerbehindert ist.
Als sie den Zugführer der schon eingefahrenen S8 keuchend fragte, ob sie noch Zeit für einen Fahrkartenkauf habe, schüttelte der den Kopf: Nein, gleich sei Abfahrt. Margit W. tat das, was vielleicht politisch nicht ganz korrekt ist, aber wohl die meisten tun würden: „Weil ich mit einer Freundin ins Kino verabredet war, bin ich ohne Fahrkarte in den Zug gestiegen. Am Ostbahnhof, von wo aus mehrere S-Bahnlinien zum Stachus fahren, wollte ich wieder aussteigen und mir ein Ticket kaufen“, versichert Margit W.
"Ich bin noch nie schwarzgefahren - auch nicht für zwei Haltestellen"
Die Bahn fuhr an – und die Daglfingerin saß mit einem unguten Gefühl im Bauch im Waggon. „Ich bin noch nie schwarzgefahren – auch nicht für zwei Haltestellen“, erzählt Margit W. Kaum waren die Türen der S-Bahn zu, kam eine Durchsage, die die 61-Jährige bis ins Mark erschütterte: „Der Schwarzfahrerin teile ich mit, dass ich ab Leuchtenbergring eine Fahrkartenkontrolle angefordert habe“, teilte der Zugführer per Lautsprecherdurchsage mit. „Absolut unmöglich und denunzierend“, fand Margit W. das. „Sollte ich die Türen gewaltsam öffnen und aus dem Zug springen? Sollte ich eine Notbremsung veranlassen, um 2,30 Euro bezahlen zu können? – Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf“, erzählt Margit W.
In ihrer Not wandte sie sich an Mitreisende. Ein Fahrgast verkaufte ihr daraufhin zwei Streifen seiner Fahrkarte, ein junger Mann spurtete an der Haltestelle Leuchtenbergring aus der Bahn, stempelte ab und kam zurück in den Zug. Drei Männer beschwerten sich anschließend beim Fahrer über dessen rüdes Benehmen. Ein Kontrolleur ließ sich (natürlich) nicht blicken.
„Dass der Zugführer nicht warten wollte, bis ich mir eine Fahrkarte gekauft habe, verstehe ich absolut“, sagt Margit W. rückblickend, „aber die Durchsage hätte es nicht gebraucht.“
"Wenn die Durchsage so getätigt wurde, müssen wir uns entschuldigen"
Das sieht auch die Bahn so: „Wenn die Durchsage in der Form tatsächlich getätigt wurde, dann wäre das nicht korrekt. Dann würden wir uns dafür entschuldigen“, sagt eine Bahnsprecherin, die den Sachverhalt mit dem betroffenen Zugführer aber noch nicht abschließend klären konnte. Andererseits, so die Sprecherin, dürfe eine S-Bahn auch nur mit gültiger Fahrkarte betreten werden. Wer zu spät komme, könne ja die Bahn 20 Minuten später nehmen.
Oder einfach auf eine verspätete warten: Auf dem Rückweg nach Hause nämlich harrte Margit W. geschlagene 15 Minuten auf dem Bahnsteig aus – mit Ticket natürlich. Ihre S-Bahn hatte Verspätung. In Zukunft will Margit W. wieder häufiger das Auto nehmen.
Daniela Transiskus