50 Jahre Ude in der SPD: "Mir gefällt dieser Laden"

Am 15. Oktober 1966 trat Christian Ude mit 18 in die SPD ein. Zum 50. Jubiläum spricht er über den Streit mit Hans-Jochen Vogel, die Krise seiner Partei – und fehlende Gegner.
AZ: Herr Ude, wie dürfen wir uns Christian Ude im Oktober 1966 vorstellen?
CHRISTIAN UDE: Als einen sehr interessierten und gut informierten, aber auch gschaftlhuberischen Schülersprecher und Schülerzeitungsredakteur.
Warum entschieden Sie sich für die SPD?
Dafür war eine Persönlichkeit entscheidend: Jürgen Böddrich, den ich schon im Landtagswahlkampf im Münchner Norden unterstützt hatte. Er war stellvertretender Schulleiter am Sophie-Scholl-Gymnasium. Und erlaubte meine Schülerzeitung dort wieder, die die Rektorin verboten hatte. Ich habe mir gedacht: Wenn die SPD solche Leute hat, gefällt mir dieser Laden. Dazu kam die Rolle von Sozialdemokraten im Dritten Reich und die Ost-Politik von Willy Brandt – das gefiel mir.
„Gegen Vogels Autorität hatte man keine Chance“
Warum war die Schülerzeitung verboten worden?
Ich hatte in einem Artikel das Buch „Katz und Maus“ von Günter Grass angepriesen. Und da kam das schreckliche Wort „Onanie“ vor.
Zurück zur damaligen SPD: War für Sie überhaupt kein Hindernis, dass sich die jungen Linken an OB Hans-Jochen Vogel rieben?
Zu der Zeit war das noch nicht so. Vogel war ein Idol der Münchner Gymnasiasten, er hat uns imponiert als ein Vertreter von Urbanität und Wissenschaft.
Wie sehen Sie heute die späteren Konflikte mit Vogel?
Damals haben wir Vogel erlebt als jemanden, der mit seiner Amts- und Fachautorität so großen Einfluss hatte, dass man keine Chance hatte, sich durchzusetzen. Vogel stand ja eigentlich weit links. Im Rückblick war es kein politischer Konflikt, sondern ein Generationenkonflikt.
Was unterschied die jungen Linken in der SPD in München von anderen Städten?
In Berlin zumindest lief vieles eher an der Universität ab als in der SPD. In Frankfurt gab es wie in München Linke, die innerhalb der SPD gegen das Establishment gekämpft haben.
Mal ehrlich: Wenn Sie heute 18 wären, würden Sie in die Münchner SPD eintreten?
Das ist die schwierigste Frage. Ich stelle sie mir auch selbst immer wieder. Wenn ich heute wieder die politische Lage von 1966 vorfinden würde: selbstverständlich.
Wir haben aber nach 2016 gefragt.
Heute ist die Situation durch eine neue Unübersichtlichkeit gekennzeichnet. Durch den erstarkenden Rechtspopulismus ist eine starke SPD wichtiger denn je. Ich weiß aber nicht, ob mich das als junger Mensch ausreichend motivieren würde.
Was war so anders 1966 in der SPD?
Die Zukunftsbegeisterung, die Aufbruchsstimmung, die klare Unterscheidung zu einer autoritären, allmächtigen CSU.
Haben Sie je überlegt, aus Ihrer SPD wieder auszutreten?
Nein. Ich habe schlimme Konflikte mitgemacht, aber in der SPD immer meine politische Heimat und meinen Freundeskreis gesehen.
Was raten Sie Ihrer kriselnden Partei heute?
Die Frage ist nicht, ob man einen halben Meter nach links oder rechts rückt, da verliert man immer auf der anderen Seite. Es geht um die Rückgewinnung der politischen Glaubwürdigkeit. Wir brauchen zum Beispiel einen Mieterschutz, der wirklich Partei ergreift für die Mieter. Die Leute wollen Taten sehen – gerade wenn die Glaubwürdigkeit angeschlagen ist.
Sie kämpften noch als OB gegen eine CSU, die bei Mieterschutz, Kita-Plätzen, Christopher Street Day ganz andere Positionen vertreten hat. Fehlt der SPD heute ein Gegner, von dem man sich unterscheiden kann?
Natürlich. Auch auf Bundesebene wird das ja zum Problem. Wehrpflicht, Kernenergie, Kinderbetreuung: Die Union ist überall eingeschwenkt.
Rot-Grün war gerade auch in München ein Generationenprojekt der Alt-68er. Glauben Sie, dass die Stadt eines Tages wieder so regiert werden wird?
Es ist natürlich richtig, dass es eine Generation war, die das lange konzipiert hat und glücklicherweise mit Georg Kronawitter in die Tat umsetzen konnte. Sie steht jetzt an der Grenze zum Rentenalter – und es gab einen Entfremdungsprozess sowohl bei Sozialdemokraten als auch bei Grünen.
„Hoffentlich hält sich die SPD Koalitionen mit den Grünen offen“
Also keine Zukunft für Rot-Grün?
In der Stadt zumindest ist eine rot-grüne Mehrheit ja noch denkbar. Ich hoffe, dass man sich diese Konstellation wenigstens offenhält. Für die SPD ist das auch wichtig, um sich in den Wahlkämpfen behaupten zu können.
Die SPD wird 2017 einen Kanzlerkandidaten stellen. Wer ist Ihr Favorit: Martin Schulz oder Sigmar Gabriel?
Ach, die K-Frage. Es rührt mich, wie sich Medien den Kopf der SPD zerbrechen. Immerhin zeigt die Frage, dass man sich bereits mindestens zwei Sozialdemokraten als Kanzler vorstellen kann. Ich teile diese Einschätzung – und weise darauf hin, dass man nur über Bewerber verfügen kann, die auch zur Verfügung stehen.