40 Jahre Oktoberfest-Attentat: Gemeinsames Gedenken

München – Eigentlich wollte Renate Martinez am 27. September 1980, das war ein Samstag, Bergsteigen gehen. Deshalb machte sich die Münchnerin am Vorabend gegen 22.20 Uhr auf den Heimweg. Doch dann passierte etwas, das ihr Leben für immer verändern sollte: Eine Bombe schleuderte Splitter in ihre Lunge, in ihre Beine, sie hatte Splitter im Kopf, "Tausend kleine Splitter im ganzen Körper", berichtet Martinez.
Sie ist eine der Überlebenden des Anschlags, der sich vor 40 Jahren am Haupteingang der Wiesn ereignete. Und bei dem zwölf Opfer ihr Leben verloren, 221 weitere Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer.
Auch der Attentäter Gundolf Köhler starb an dem Tag. Erst nach einer Wiederaufnahme der Ermittlungen hat die Bundesstaatsanwaltschaft die Tat nicht mehr wie in den 1980er Jahren als unpolitisch bewertet, sondern als eine rechtsextremistisch motivierte Tat.
Die erste große Liebe verloren
Gudrun Lang überlebte den Anschlag – wenn auch verletzt. Sie verlor an dem Tag ihre erste große Liebe, Axel Hirsch. "Seiner Mutter bin ich bis heute verbunden", sagt Lang.
Zusammen mit weiteren Überlebenden und Angehörigen gedenkt Lang dem Tag vor genau 40 Jahren. Sie erklärt: "Für viele von uns, die Angehörige oder Freunde verloren haben, heilt die Zeit keine Wunden. Hier stehen zu können, lindert aber den Schmerz."
Neben Überlebenden und Angehörigen sind auch Vertreter aus Verwaltung und Stadtrat, OB Dieter Reiter (SPD), Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier (SPD) erschienen. Er appelliert: "Wegschauen ist nicht mehr erlaubt." Er mahnt, dass die Bedrohung durch rechtsextreme Täter "40 Jahre später nicht kleiner geworden" ist.
Nicht das Werk von Verwirrten
Und: Die Anschläge seien nicht das Werk von Verwirrten. "Die Täter waren eingebunden in Netzwerke des Hasses und der Gewalt oder ließen sich zu ihren Taten anstiften", sagt Steinmeier. Und appelliert: "Diese Netzwerke müssen wir bekämpfen – noch entschiedener als bisher!"
Reiter und Söder räumen beim Gedenkakt nicht nur Fehler bei den damaligen Ermittlungen, sondern auch bei der politischen Einschätzung ein – und entschuldigen sich bei den Opfern. "Ihre Hilferufe hat man ignoriert, ihre Forderungen nach Unterstützung wurden oft genug abgelehnt", sagt Dieter Reiter. Der OB gibt ganz offen zu: "Auch von Seiten der Münchner Stadtpolitik und der städtischen Verwaltung gab es in der Vergangenheit Versäumnisse, die ich zutiefst bedauere."
Söder: "Ich entschuldige mich für die Fehler"
Markus Söder sagt: "Es tut mir leid und ich entschuldige mich für die Fehler, die in den Ermittlungen, aber auch in der Einschätzung zu der Tat gemacht wurden."
Er spreche als Rechtsnachfolger aller anderen Ministerpräsidenten und als Verantwortlicher für den Freistaat. Und gibt ein Schutzversprechen ab: "Wir werden nicht zulassen, dass Rechtsextremismus, Hass, Antisemitismus, Rassismus geduldet, akzeptiert oder irgendwie unterschätzt werden."

Gegen das Vergessen soll auch der neue Dokumentationsort an der Theresienwiese helfen. Unter freiem Himmel erinnern nun die rund 200 lebensgroßen Silhouetten der Opfer an die Ereignisse des 26. September 1980.
Zudem haben Bund, Land und Stadt München am Mittwoch einen Opferfonds mit einem Volumen von 1,2 Millionen Euro auf den Weg gebracht, um den Überlebenden und den Angehörigen zu helfen.
Zwei Geschwister unter den Opfern
Robert Höckmayr bezeichnet die Kultur der Erinnerns als "starkes Signal einer wachsamen Gesellschaft". Höckmayr hat an jenem 26. September zwei Geschwister verloren. "40 Jahre Gedenken – das ist für mich vor allem ein Denken an 40 Jahre ungelebtes Leben", sagt er. Und fügt hinzu: "Wir können vielleicht einiges verdrängen – doch vergessen können wir nicht."
Renate Martinez hat viele Wünsche, die sie vermutlich nie wieder realisieren kann. "Den Wunsch, wieder laufen zu können, konnte ich mir nur durch meine Jugend, meinen Ehrgeiz und harte Arbeit erfüllen", sagt die Münchnerin. Doch noch immer gibt es viele Dinge, die vor dem Attentat selbstverständlich, jetzt aber unmöglich für sie geworden sind. Martinez: "Ich möchte endlich wieder auf einen Berg steigen, mit dem Rad um den Starnberger See fahren."
Die Täter sollten "im Knast landen"
Am allermeisten hat Martinez sich gewünscht, dass die Mittäter verurteilt werden "und im Knast landen". Doch heuer im Juni wurden die Ermittlungen eingestellt - und trotz umfangreicher Ermittlungsarbeit mit über 1000 Vernehmungen konnten mögliche Mittäter nicht überführt werden.
Dimitrios Lagkadinos war 17 Jahre alt, als er hier beide Beine verlor. Heute ist Lagkadinos Ehemann und Vater. Er mahnt: "Gerade junge Menschen, die sich perspektivlos fühlen, stellen für rechtsextreme Gruppierungen eine leichte Beute dar. Lagkadinos beendet seine Rede mit einem emotionalen Appell: "Nehmen Sie Ihr Leben in die Hand und richten Sie den Blick nach vorne", sagt er. "Stellen Sie sich nicht die quälenden Gedanken nach dem Weshalb und Warum. Und glauben Sie mir eines: Das Leben ist schön."
