40 Jahre danach: So war Olympia in München

Für die Gäste aus aller Welt poliert das „Millionendorf“ sein Image auf, der Stadtrat verlängert die Ladenöffnungszeiten, und ein Dackel sorgt für Umsatz.
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Olympia 72: Was sich alles verändert hat!
Dpa, Kunz (AZ Montage) Olympia 72: Was sich alles verändert hat!

Vom 26.August bis zum 11.September 1972 wurden die Spiele der XX.Olympiade in München, Kiel (Segeln) und Augsburg (Wildwasser) ausgetragen. Welchen Herausforderungen sich die Landeshauptstadt stellen musste und was dann in der City los war, lesen Sie in dieser AZ-Serie. Teil 1

Für die Gäste aus aller Welt poliert das „Millionendorf“ sein Image auf, der Stadtrat verlängert die Ladenöffnungszeiten, und ein Dackel sorgt für Umsatz - die spannende Zeit der Olympiade.

München - Im April 1966 vergibt das Internationale Olympische Komitee (IOK) die Sommerspiele 1972 überraschend an München – und das Millionendorf, oft als provinziell und verschlafen verspottet, steht vor einer Herkulesaufgabe. Nicht nur logistisch, finanziell und stadtplanerisch. Auch das Image muss aufpoliert werden. Darum soll sich eine eigene Werbeagentur kümmern. Der Stadtrat hat fortan Einiges zu beschließen – und Merchandising-Artikel sollen die Olympia-Kassen füllen.

 


  

WALDI BELLT WELTWEIT

Unter unzähligen Christbäumen strahlt Weihnachten 1971 die Olympia-Spirale, das offizielle Logo: auf Kerzen und Krügen, Ketten und Manschetten, Kulturtaschen und Schminkbeuteln, Korkenziehern und Kartenspielen. Rund 700 Artikel haben bisher die Vermarktungs-Lizenz des Olympischen Komitees (OK) erhalten. Bis zum Februar, schätzt man im OK, werden über 1000 Olympia-Souvenirs auf dem Markt sein.

Das Geschäft mit der „Schnecke“, wie der Volksmund die Design-Spirale nennt sowie mit den Fünf Ringen, blüht. Bis Weihnachten haben die Geschenkartikel fünf Millionen Mark erlöst – so viel war insgesamt erwartetworden. Deswegen wird der Voranschlag verdoppelt.

Klarer Favorit ist Dackel Waldi. Das bunt gestreifte Maskottchen bellt bereits in über 100 Ländern und wird bis zum Beginn des Olympiajahres über zwei Millionen Mal in vielen Macharten verkauft, vom Aufkleber für eine Mark bis zum zehn Zentimeter großen Waldi aus Gold, der für 54 DM zu haben und an einer Kette zu tragen ist. Neu ist der Dackel als Duftschaumbehälter, außerdem soll er bald als aufblasbares Badetier auftauchen. Schon jetzt hat Waldi die Verkaufsrekorde aller früheren Sportmaskottchen überrundet.

Dass das Lizenzgeschäft möglichst nicht zum Kitsch ausartet oder sonst Anstoß erregt, wird von den „visuellen Gestaltern“ des OK und der generalbevollmächtigten Werbeagentur überwacht. So hat man von vornherein keine Artikel genehmigt, die mit Sex, Intimhygiene, Unterwäsche, politischen Parteien oder Religionsgemeinschaften zu tun haben. Auch Zigaretten- und Alkoholwerbung ist verboten.

Trotzdem versuchen viele Geschäftemacher, imFahrwasser des Olympia-Souvenirs im Trüben zu fischen. Denn im Gegensatz zur „Schnecke“ sind die Fünf Ringe nicht geschützt. Und auch unter den Waldis laufen viele falsche Hunde herum. IOK-Präsident Avery Brundage rügt die wirtschaftliche Verwertung des Emblems generell – zumal der tatsächliche Ertrag relativ gering sei.


 

EIN PLATZ IM STADION

Einige hundert von rund 5000 Münchner Dackeln wackeln am ersten Sonntag im Januar 1972 durch die neue Fußgängerzone. Noch-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel und sein langhaariger „Stups“ marschieren auch mit. Die Viecherei ist Auftakt der Olympia-Lotterie. Diese hat das Motto „Ein Platz im Stadion“ und soll vor allem den Einwohnern der Region München die Chance geben, an der Eröffnungs- und Schlussfeier teilzunehmen. Denn für diese Veranstaltungenwurden deutsche Bundesbürger bislang nur über die „Glücksspirale“ bedacht. Rund 40 000 Tickets wurden und werden auf diese Weise ausgespielt. Die übrigen Karten für Eröffnung und Schluss – insgesamt 160 000 Plätze – sollen ins Ausland gehen oder an Ehrengäste und Journalisten. Über die neue Losbriefaktion werden nun weitere 15 038 Karten ausgespielt. Sie kosten normalerweise bis zu 100 Mark. Für nur zwei Mark pro Los kann nun doch jeder gemeine Bürger dabei sein. Eine Million der Lotterieerlöse gehen an die Stadt München; der Zuschuss soll für die olympische Ausschmückung, für die Beflaggung, Bestrahlung und Begrünung von Straßen, Brücken und Gebäuden verwendet werden.


 

SHOPPEN BIS BIS 21 UHR

Der olympische Geist hat auch die Stadträte beflügelt, so dass sie im Februar 1972, nach heftigen Vorrundenkämpfen, weit über den eigenen Schatten springen: Sie beschließen, dass die Geschäfte während der Spiele bis 21 Uhr offen bleiben dürfen. Allerdings: Nur eine Mehrheit von vier Stimmen erspart der Stadt eine weltweite Blamage.

Und die Gegner der Ausnahmeregelung argwöhnen, dass so das Ladensschlussgesetz in der ganzen Bundesrepublik in Frage gestellt werde. In aller Stille hat die Stadt zuvor einem Antrag des Hotel- und Gaststättenverbandes nachgegeben, wonachMünchner Lokale unter bestimmten Bedingungen auch in Zukunft rund um die Uhr ausschenken dürfen. Langsam aber sicher also will München seinem eigenen Weltstadtanspruch gerecht werden.


 

RUND UM DEN GLOBUS

Alles über die Spiele erfährt man aus einem offiziellen Führer, der für 6,80 Mark verkauft wird. Der 263 Seiten starke Brillantpapier- Guide soll ein „komplettes Drehbuch und Erinnerungswerk für jedermann“ sein. Er ist das letzte größere Produkt der Abteilung „Werbung und Öffentlichkeitsarbeit“. Ziel erreicht, meldet Werbechef Otto Haas. Es gäbe kein Ereignis mit ähnlicher Ausstrahlungskraft wie die Olympischen Spiele.

Mit 13 Motiven, die verschiedene Sportarten in verfremdeten Farben andeuten, werden 800 000 Plakate in die Welt verteilt; jenseits des Eisernen Vorhangs verweigert nur die DDR die Plakatierung. Weitere 28 Poster werden von namhaften Künstlern entworfen und gut verkauft, vor allem das farbenfrohe Bild von Friedensreich Hundertwasser. Die drei Kino- und zehn TVFilme über die Vorbereitungen werden preisgekrönt und in 110 Ländern gezeigt, auch auf Schiffen, Messen und in Flugzeugen. Sie erreichen 40 Millionen Menschen. Auf einer Goodwill-Tour, die wegen der Kosten kritisiertwird, legt eine Delegation hoher Olympier in 18 Tagen rund 37 000 Kilometer zurück.

Auch Sonderaktionen wie die „Olympiade der Gastfreundschaft“, die 40 000 Privatbetten zusätzlich zu den 100 000 Hotelbetten bringt, die Olympia-Schallplatte „Stunde der Stars“ und zwei glanzvolle Bälle haben die Werber durchgezogen. Aber Otto Haas verschweigt nicht, dass da und dort auch eine gewisse Olympia-Müdigkeit oder gar blankes Desinteresse anzutreffen war. So wurde versucht, in der Gastgeberstadt Jugendliche für bestimmte Aktivitäten zu gewinnen. Auf ein Rundschreiben hin kam aus den Schulen keine einzige Antwort.

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