40 Jahre CSD in München: Eine schwule Stadtgeschichte

Seit 40 Jahren gibt es den Christopher Street Day in München. Von einer Petition, die tanzende Männerpaare zulässt bis zur ersten Männerhochzeit – eine queere Chronik Münchens.
von  Bernd Müller
Demo gegen die umstrittenen Maßnahmen der Staatsregierung 1987.
Demo gegen die umstrittenen Maßnahmen der Staatsregierung 1987. © imago

München - Die Stadt München feiert die Vielfalt, jetzt in der Pride Week und am Wochenende beim CSD. Doch das war nicht immer so.

1969 Am 25. Juni wird der Paragraph 175 reformiert. Männliche homosexuelle Handlungen sind somit nicht mehr strafbar. Sprecher aller Parteien betonen jedoch, dass homosexuelles Verhalten nach wie vor moralisch verwerflich sei. Sex mit Unter-21-Jährigen, Prostitution oder Ausnutzung eines Arbeitsverhältnisses werden weiterhin verfolgt. Dennoch ist der Weg frei zur Entfaltung einer sichtbaren schwulen Szene. Frauen finden in diesem Strafgesetz übrigens keine Erwähnung. Die schwulen Münchner Kneipenwirte fordern in einer Petition die Zulassung von tanzenden Männerpaaren.

Erste emanzipatorische Schwulengruppe in der Deutschen Eiche

1971 Rosa von Praunheim tingelt mit seinem Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" durch Deutschland und gibt den Startschuss für die Gründung von Schwulengruppen. Am 9. November entsteht mit der Homosexuellen Aktion München (HAG) die "erste emanzipatorische Schwulengruppe" in der Deutschen Eiche.

1973 Eine weitere Reform des Sexualstrafrechts führt dazu, dass vom Paragraph 175 als strafrechtlich relevant nur noch der Sex mit Minderjährigen übrig blieb. Praunheims "Nicht der Homosexuelle ist pervers ..." wird in der ARD ausgestrahlt, der BR schaltet sich aus.

1974 Der Münchner Löwen Club wird als "Verein für Motorradfreunde" gegründet – bis heute ist der MLC einer der größten schwulen Leder- und Fetischvereine der Welt.

Erster CSD in München mit 150 Teilnehmern

1975 Am 3. November eröffnet mit Lillemor’s der erste bundesdeutsche Frauenbuchladen in der Arcisstr. 57. Sechs Feministinnen schafften einen Treff- und Infopunkt für Frauen. Seit 2015 wurde Lillemor’s viermal mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet.

1977 Erstmals feiert der Münchner Löwen Club (MLC) ein Oktoberfesttreffen auf der Theresienwiese. Zunächst trifft man sich auf dem Balkon im Schottenhamel, ab 1989 auf dem der Bräurosl, wo am ersten Wiesn-Sonntag das größte queere Event der Wiesn stattfindet.

1980 Am 28. Juni findet die erste CSD-Demo in München statt. Etwa 150 mutige Frauen und Männer kommen zu diesem Event zusammen und laufen, teils vermummt, unter dem Motto "Schwul, na und?" vom Sendlinger Tor bis zum Geschwister-Scholl-Platz. Von Medien, Politik und Öffentlichkeit wird die Demo kaum wahrgenommen, aber von vielen Zivilpolizisten fotografiert. Im Anschluss wird am Chinesischen Turm gefeiert.

Münchner Aids-Hilfe wird 1984 gegründet

1981 Ordnungshüter beschlagnahmen in der Münchner schwulen Buchhandlung Sodom zahlreiche Bücher, Zeitschriften und sogar Arbeitshefte für die Sekundarstufe, die sich mit Prostitution und Pornografie auseinandersetzen.

1984 Mitte Januar wird die Münchner Aids-Hilfe e.V. als erste regionale Aidshilfe in Deutschland gegründet. Mit Gerd Wolter zieht im März der erste offen schwule Mann für die Grünen in den Münchner Stadtrat ein. Als er fünf Jahre später dem Rotationsprinzip zum Opfer fällt, kommt es zur Gründung der Wählerinitiative "Rosa Liste".

1985 Im Februar verhindert das Komitee ehemaliger Häftlinge des KZ Dachau, einen Erinnerungsstein für die homosexuellen Opfer in der Gedenkstelle aufzustellen. Der steinerne rosa Winkel wird daher viele Jahre in der evangelischen Versöhnungskirche ausgestellt. Polizeipräsident Häring bestätigt die Vermutung, dass bei der Polizei noch immer "Rosa Listen" geführt würden: Von Homosexuellen gehe "eine besondere Aids-Gefahr" aus.

Gründung des Sub 1986

1986 Anfang September wird das Schwule Kommunikations- und Kulturzentrum München – kurz Sub – gegründet.

1987 Der "Bayerische Maßnahmen-Katalog zur Verhütung und Bekämpfung der Immunschwächekrankheit AIDS" wird Ende Februar veröffentlicht. Peter Gauweiler (CSU) tritt darin für scharfe Regelungen in Bayern ein, Horst Seehofer will Aidskranke sogar in "speziellen Heimen" sammeln. 8.000 Menschen demonstrieren am Stachus bei der Aktion "Wehrt Euch" dagegen. Die internationale Presse berichtet, die Staatsregierung rudert zurück.

Demo gegen die umstrittenen Maßnahmen der Staatsregierung 1987.
Demo gegen die umstrittenen Maßnahmen der Staatsregierung 1987. © imago

1989 Am 2. September findet die Gründungsveranstaltung der Rosa Liste im Münchner Zunfthaus statt. Bei der ersten Wahlversammlung am 8. Oktober wird der Student Thomas Niederbühl zum Spitzenkandidaten nominiert.

1990 In Folge 225 der "Lindenstraße" vom 25.3. küsst Carsten Flöter seinen Freund Robert Engel 2,72 Sekunden lang. Nicht der erste schwule TV-Kuss, aber der folgenschwerste: Den Sender erreichen Protestbriefe, Beschimpfungen und Bombendrohungen.

Forderung beim CSD 1990: ein Schwulenzentrum.
Forderung beim CSD 1990: ein Schwulenzentrum. © privat

Erstes Hans-Sachs-Straßenfest 1991

1991 Mit Dagmar Rummelsberger wird im Januar erstmals eine lesbische Frau in den Münchner, später auch Bundesvorstand, der Schwusos gewählt. Anlässlich des fünften Sub-Geburtstags steigt im August das erste Hans-Sachs-Straßenfest.

1994 Der "Schwulenparagraf" §175 wird am 11. Juni ersatzlos aus dem Grundgesetz gestrichen. Mit Christian Ude übernimmt erstmals ein Münchner OB die Schirmherrschaft über den Münchner CSD.

Christian Ude ist der erste OB, der einen Münchner CSD anführt.
Christian Ude ist der erste OB, der einen Münchner CSD anführt. © Frank Mächler/dpa

1995 In München erregt die polizeiliche Kennzeichnung ausländischer Pässe mit dem Vermerk "Homo-Strich" und "Homo-Szene" die Gemüter. Nach Szene-Protesten wird diese Praxis eingestellt. Im September ruft die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen (BASJ) zur Aktion "Standesamt" auf, zu der auch in München viele Heiratswillige zum Standesamt am Maria-Hilf-Platz kommen.

1996 Mit Thomas Niederbühl wird am 10. März erstmals ein Vertreter der schwul-lesbischen Wählerinitiative Rosa Liste in den Stadtrat gewählt. Damit ist sie bis heute europaweit die erste schwul-lesbische Wählergruppe, die in ein Kommunalparlament eingezogen ist. Am 22. Juni findet das Straßenfest zum CSD erstmals auf dem Marienplatz statt.

Eingetragene Lebenspartnerschaften für Schwule und Lesben

2000 Der Münchner CSD wird zum ersten Mal vom amtierenden Oberbürgermeister, damals Christian Ude (SPD) angeführt, zudem ist der Marienplatz erstmals mit Regenbogenfahnen beflaggt. Die Lesbenberatungsstelle LeTRa bezieht ihre neuen Räume in der Angertorstraße.

2001 Der Münchner Stadtrat beschließt, bereits im August Eingetragene Lebenspartnerschaften vor dem Notar möglich zu machen, was im Rest Bayerns und Sachsens offiziell erst ab November machbar ist. Stadtrat Thomas Niederbühl und sein Partner Heinz Bänziger sind die Ersten, die von OB Christian Ude verpartnert werden.

2002 Mit Lydia Dietrich (Bündnis 90/Die Grünen) und Irene Schmitt (SPD) werden im Februar erstmals zwei offen lesbische Frauen in den Münchner Stadtrat gewählt. Ende September nimmt die "Städtische Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen" ihre Arbeit auf.

2003 Die Stadtwerke München unterzeichnen im Februar als bundesweit erste Institution ihrer Art die "Betriebsvereinbarung partnerschaftliches Verhalten", die auch sexuelle Orientierung einschließt. Im Rahmen des CSD München feiert das Rathausclubbing Premiere – die CSU zeigt sich empört über die "Schwulen-Party im Rathaus".

"Pink Christmas" ist Deutschlands erster queerer Weihnachtsmarkt

2004 Unter dem Motto "Munich s’ports the Rainbow" finden vom 29. Juli bis 8. August die bislang größten Eurogaygames mit rund 5.500 Sportlerinnen in München statt. Bis heute gilt das Event als eines der stimmungsvollsten und finanziell solidesten queeren Sportfeste weltweit.

2004 feiert München mit queeren Sportlern die Eurogaygames.
2004 feiert München mit queeren Sportlern die Eurogaygames. © imago

2005 Auf dem Stephansplatz feiert "Pink Christmas" als erster queerer Weihnachtsmarkt Deutschlands Premiere.

2006 Im Vorfeld der CSD-Parade stoppt die Polizei das Papamobil der Deutschen Eiche und des Magazins Sergej, das sich gegen die Politik Papst Benedikts wendet – der Klage von Eiche-Wirt Dietmar Holzapfel gegen diese Maßnahme wird Jahre später stattgegeben.

2009 Ende Januar beschließt der Münchner Stadtrat einen erweiterten Antidiskriminierungszusatz bei Stellenausschreibungen – bereits 1999 war München die erste Stadt Deutschlands, die eine solche Maßnahme umsetzte.

Ehe für alle

2011 Um mehr lesbische Sichtbarkeit zu demonstrieren, soll der Münchner CSD einmalig zum "Christina Street Day" werden – wütende Proteste bis hin zu Unterschriftenaktionen sind die Folge, das Vorhaben wird fallengelassen.

2013 Am 25. Mai demonstrieren 17 Münchnerinnen um Bürgermeister Hep Monatzeder und Stadträtin Lydia Dietrich beim Gay Pride in Münchens Partnerstadt Kiew zusammen mit etwa 100 Teilnehmerinnen unter hohem Polizeischutz.

2014 Ärger um den Münchner Familienpass: Auf dem Titelblatt des Gutscheinhefts werden lesbische und schwule Eltern mit ihren Kindern gezeigt – homophobe Schreiben erreichen die Stadt, die nicht zurückrudert.

2017 Am 30. Juni wird im Bundestag die "Ehe für alle" beschlossen, nachdem drei Tage zuvor Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Frage in einem Interview als "Gewissensentscheidung" bezeichnet hat und die CDU/CSU tags darauf den bisher geltenden Fraktionszwang aufhob.

Getraut: Thomas Niederbühl (l.) mit seinem Mann Heinz Bänziger (r)., in ihrer Mitte steht Oberbürgermeister Dieter Reiter.
Getraut: Thomas Niederbühl (l.) mit seinem Mann Heinz Bänziger (r)., in ihrer Mitte steht Oberbürgermeister Dieter Reiter. © Sven Hoppe/dpa

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