2500 Bomben liegen noch in München
„Sie sind über die ganze Stadt verteilt“, teilt das Kommunalreferat mit. Vor allem in der Nähe von ehemaligen Kasernen schlummern die Blindgänger
München - Vielleicht liegt eine direkt unterm Marienplatz. Oder mitten in Schwabing. Vielleicht auch im nächsten Loch, das die Stadtwerke wieder aufreißen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächsten Bomben auftauchen. Sie sind nämlich überall.
Im Zweiten Weltkrieg war München als „Hauptstadt der Bewegung“ und Industriezentrum ein wichtiges Ziel für britische und US-amerikanische Bomber. Von 1942 bis 1945 überflogen sie die Stadt 73 Mal. Sie hinterließen eine vernichtete Altstadt und zig Blindgänger. Geschätzte 2500 Stück liegen noch im Münchner Boden – 70 Jahre nach dem Krieg!
„Sie sind über die ganze Stadt verteilt“, sagt Bernd Plank vom Kommunalreferat. Und: In der Nähe von ehemaligen Kasernen ist höchste Vorsicht geboten.
Die waren Primärziele, zur Zeit des Zweiten Weltkriegs waren elf große in Betrieb: Die Bayernkaserne und die Funkkaserne in Freimann, die Eisenbahnkaserne in der Dachauer Straße, die Luitpold- und Prinz-Leopoldkaserne in Schwabing, die Marsfeldkaserne und die Türkenkaserne in der Maxvorstadt, die Max-II- und die Oberwiesenfeldkaserne in Neuhausen und die Stetten-Kaserne am Ackermannbogen.
Das Stetten-Areal erklärte die Stadt 2011 sogar zum Sperrgebiet – weil ein Dutzend Blindgänger hier vermutet wurde. „Bei Kasernen lassen wir immer tiefer graben als anderswo“, sagt Plank.
Auch Fabriken wie die Giesinger IG Farben-Werke und das ehemalige Agfa-Gelände in der Nähe des Grünwalder Stadions, die Flughäfen in Riem und Schleißheim oder die Feldherrnhalle als Versammlungsort der NSDAP bildeten erste Ziele der Bomber.
Angriffe auf Haupt- und Ostbahnhof sollten den Verkehrsknotenpunkt lahmlegen. Deshalb tauchen an der Stammstrecke immer wieder Blindgänger auf.
Auch nach dem Krieg landeten Munition und Minen bei amerikanischen Übungen im Boden. Kampfmittelräumer Martin Tietjen (siehe Interview unten) hat mit seinen Kollegen allein 2011 ganze 60 Tonnen Kampfmittel aus der Erde geholt. Fast jeden Tag rückt die Truppe aus. Tietjen: „Ich habe grad frei – aber ein Kollege ist schon wieder in München unterwegs.“
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AZ: Wie funktioniert die Bombe, die Sie aus dem Strafraum geholt haben?
MARTIN TIETJEN: Per Aufschlagzünder. Sie wird in der Luft entsichert und explodiert beim Auftreffen auf dem Boden.
Welcher Sprengstoff war drin?
Das kann man nicht sagen, weil die Aufschrift nicht mehr lesbar war. Aber wahrscheinlich TNT.
Was wäre passiert, wenn die 225-Kilo-Bombe explodiert wäre?
125 Kilo davon ist der Anteil des Sprengstoffs. Eine Druckwelle wäre entstanden und es hätte eine Splitterwirkung gegeben. Das Dach des Stadions hätte einiges abgehalten, aber die erste Häuserzeile wäre getroffen worden. Deshalb haben wir sie evakuiert.
Wie gehen Sie beim Entschärfen vor?
Erst einmal wird nachgeschaut, welcher Zünder vorliegt. Je nachdem wird die Bombe dann per Hand oder Fernentschärfung entschärft.
Fernentschärfung?
Dabei wird ein Gerät mit Videokamera auf der Bombe installiert, das dann aus der Distanz gelenkt werden kann und den Zünder rausdreht. Geht auch das nicht, wird die Bombe kontrolliert gesprengt.
Wie lief’s bei der Stadionbombe?
Das haben wir mit der Hand erledigen können.
2010 ist ein Kollege von Ihnen bei einer Explosion ums Leben gekommen. Haben Sie Angst beim Job?
Nein. Angst ist da fehl am Platze. Wir sehen das eher technisch.
Und was sagt Ihre Freundin dazu?
Naja, sie hat mich so kennengelernt.
Sie wusste, worauf sie sich einlässt?
Genau. Und ich hoffe, sie drängt mich nie, den Job aufzugeben.
Werden uns Bombenfunde noch lange begleiten?
Meine Generation hat noch viel zu tun. Dann wird’s ruhiger.