25 Bewerber, ein Zimmer: WG-Casting in München
In der Küche stehen drei Tragl mit leeren Bier- und Weinflaschen, am Kühlschrank hängt der Putzplan, im Wohnzimmer pappen alte Flyer und selbst geschriebene Gedichte an der Wand. Einen Aschenbecher gibt’s auch – eine alte Ananas-Konservendose am Wohnzimmertisch muss dafür herhalten. Eine Studenten-Wohngemeinschaft wie aus dem Bilderbuch. Und genau hier wird jetzt ein Zimmer frei: 13 Quadratmeter groß für 304 Euro warm, Internet inklusive. Für München ein Schnäppchen.
Klar, dass die Interessenten Schlange stehen – beim WG-Casting. 25 Bewerber gibt es – die zwölf symphatischsten hat Bastian (29) zu drei Terminen eingeladen. Jeder hat eine Stunde, sich von seiner allerbesten Seite zu präsentieren. Bastian hat vor kurzem sein Sportstudium beendet. Jetzt will er für sechs Monate verreisen und sucht einen Zwischenmieter.
Verena (21), die an der FH Tourismusmanagement studiert, ist die Erste, die er durch die WG führt. Sie hatte bisher wenig Glück bei der Wohnungssuche. Seit Januar sucht sie ein Zimmer. „Zwei Mal wurde mir erst zu-, dann wieder abgesagt“, sagt sie. Auch beim Studentenwerk hat sie’s versucht. Die Wartezeit dort beträgt aktuell mindestens zwei Semester ... Bastian öffnet die Tür zu seinem WG-Zimmer. Groß ist es nicht. Für Verena aber kein Problem: „Mir ist nur wichtig, dass ich in keiner Zweck-WG wohne.“
Dann wird sie in die Mangel genommen: „Kochst du, Verena?“, fragt Manuel (23), einer von drei Mitbewohnern Bastians. „Magst du Musik?“ „Machst du Sport?“ Die Standardfragen. Verena antwortet nur das Nötigste. Sie erzählt wenig von sich, beobachtet lieber. Ihren Mantel hat sie gleich angelassen. Ob das die richtige Strategie ist?
Es klingelt. Der nächste Bewerber. Marius (25) steht vor der Tür. Er will für ein Praktikum bei BMW von Karlsruhe nach München ziehen. Er ist gestresst: Gerade war er auf einem WG-Casting mit sechs Mitbewerbern. „Die Zimmersuche ist krass. Ich habe 20 bis 30 Leute angeschrieben und nur drei Antworten bekommen.“ Marius hat nur eine halbe Stunde Zeit. Der letzte Zug nach Karlsruhe fährt früh. „Ich bin kontaktfreudig, lärmunempfindlich und feiere gern mit“, sagt Marius. Er präsentiert sich fast zu selbstbewusst, redet ohne Punkt und Komma. Bastians Mitbewohner Jana (24) und Manuel werfen sich skeptische Blicke zu.
Der Nächste. Diesmal ist es ein Franzose. Clement (24), der ein Erasmus-Semester an der Technischen Universität verbringt. Sein Deutsch ist noch nicht perfekt. Dafür lächelt er viel und trinkt ein Bier mit. „Also, ich hätte dich jetzt genommen“, sagt Jana. Aber: Clement will im August schon wieder zurück nach Frankreich, Bastian will das Zimmer bis 31. Oktober vermieten. Clements Chancen stehen also schlecht.
Wieder klingelt’s: Nurcan (26). Die letzte Bewerberin an diesem Abend. Mit dem Studium ist sie schon fertig. Die nächsten Monate will sie kellnern, schauspielern und als freie Journalistin arbeiten. Dafür wäre Schwabing natürlich perfekt. Und plötzlich stimmt die Chemie. Die Stimmung lockert sich, der Smalltalk funktioniert. Es ist dunkel geworden und alle sitzen mit einem Bier um den kleinen Heizstrahler im Wohnzimmer. Nurcan erzählt von ihrer alten WG und wie sie Partys für 200 Leute geschmissen hat. „Bei uns ist auch schon ein paar Mal die Polizei aufgetaucht“, sagt Jana lachend. In Nurcans alter WG stand eine Bar mitten in der Wohnung. „Das wär doch was für uns!“, sagt Jana. Und Manuel meint: „Wir könnten die Abstellkammer zur Bar umfunktionieren.“ Nurcan ist locker, lässt die WG-Bewohner auch mal selbst zu Wort kommen. Klar, dass sie sich letztlich für sie entscheiden. „Nurcan war einfach authentisch“, sagt Bastian.
Doch Nurcan sagt ab. Ein Kumpel hat ihr bereits ein Zimmer in seiner WG angeboten. Jetzt darf also doch der Franzose Clement in die Schwabinger WG einziehen. Unter der Bedingung, dass er ab August, wenn er wieder in Frankreich ist, einen Zwischenmieter findet. Angesichts der Münchner Wohnungsnot dürfte das allerdings das kleinste Problem für ihn sein.
So voll wird es an den Münchner Unis
Über 320 000 Studenten waren 2011 in Bayern eingeschrieben — so viele wie noch nie. Grund: Der doppelte Abiturjahrgang und die Aussetzung der Wehrpflicht. Zum Sommersemester kommen zwar weniger Studenten an die Unis als im Winter. Trotzdem wird’s wieder eng. Viele Studenten haben mit dem Studium erstmal abgewartet — und ein soziales Jahr, eine Reise oder ein Praktikum gemacht. So voll wird’s im Sommer an Münchens Unis:
Hochschule München: An der FH hat das Sommersemester bereits am 15. März begonnen. Über 16000 Studenten sind dort zurzeit immatrikuliert, 1000 mehr als 2011.
TU München: Auch Münchens Technische Universität ist heiß begehrt: Derzeit büffeln hier 29000 Studenten, vor einem Jahr waren’s noch 26 000. TU-Sprecher Klaus Becker prognostiziert noch mehr Studenten für das kommende Wintersemester: „Wir erwarten neben den diesjährigen Abiturienten Studienanfänger aus dem Doppel-Abiturjahrgang 2011, die dem Ansturm aus dem Weg gehen wollten.“
LMU München: Deutschlands zweitgrößte Uni wird noch größer — im Sommersemester 2011 waren noch knapp 43.900 Studenten eingeschrieben, jetzt sind es etwa 44.900. Dafür studieren weniger Erstsemester: Während sich vor einem Jahr 850 Studienanfänger immatrikulierten, sind es heuer nur 570.