200. Aufführung des Brandner Kaspar im Volkstheater - die Macher im Interview

MÜNCHEN - Intendant Christian Stückl und Schauspieler Alexander Duda über das Erfolgsgeheimnis des Boandlkramer - und wie wir alle den Tod im Leben ganz gern ein bisserl bescheißen. Am Samstag wird der Brandner Kaspar im Volkstheater zum 200. Mal aufgeführt.
AZ: Herr Stückl, Herr Duda, das Paradies selbst sieht man im Brandner Kaspar nicht. Aber als der Brandner reinschaut, sieht es aus wie seine Heimat. Ist das bayerischer Größenwahn?
CHRISTIAN STÜCKL: Es ist auf jeden Fall die Gewissheit, dass es dort nicht schlechter ist als daheim. Und es ist eine sehr kindliche Vorstellung. Denn solange wir Kinder waren, haben wir alle ans Paradies geglaubt und hatten da Bilder davon. Erst später kommt man ins Wanken: Wie viel ist dann da? In dem Stück taucht man wieder bissl in die Naivität des Kindes ein.
ALEXANDER DUDA: Deswegen macht es die Herzen auf.
STÜCKL: Meine Tante hat auch gedacht, dass danach nix ist und hat immer so ein Lied gesungen: „30 Jahre in der Gruft, in der Gruft, da kommt der Holzwurm angeschlurft, angeschlurft.“ Und als sie dann tatsächlich im Sterben lag, hat sie zu meiner Mama gesagt: „Roswitha, hol den Pfarrer. Sicherheitshalber.“
Josef Vilsmair hat nach Ihrem Erfolg mit Bully einen Brandner-Film gemacht. Sind Sie da stolz drauf oder nervt das?
STÜCKL: Vilsmaier ist ja zu mir gekommen und hat gesagt, er möchte den Brückner als Boandl und ihm gefällt auch das Gwand so gut. Und dann möcht er auch noch die Musiker aus Riedering haben. Dann hab ich gsagt: „Soll ich da des Gwand auch gleich mitliefern?“ Vilsmaier hat mir vorgeschlagen, ich würde im Abspann als „Himmelsberater“ auftauchen. Ich hab’ mir nur gedacht: Fällt euch gar nix eigenes mehr ein? Aber letztlich haben wir was angeschoben, sodass der Vilsmair auch gemerkt hat, dass das ein gutes Stück ist.
Wieso haben Sie ausgerechnet das Stück gemacht, das im Resi Kult war?
STÜCKL: Dieter Dorn hat den Brandner 2001 abgesetzt. Als sie ihn empört gefragt haben, warum, sagte er, den soll der Stückl machen, zu dem passt des. Ich habe ihn angerufen und gesagt: „Dieter, mach du deinen Spielplan und ich mach meinen.“ Ich hab mich geweigert. Ich wollte mit den Riederinger Musikanten viel lieber die Dreigroschenoper machen. Aber wir haben die Rechte nicht bekommen, dass wir die Musik uminstrumentieren dürfen. Also haben wir gesagt: Bevor wir gar nix machen, mach mer den Brandner.
Herr Duda, anfangs hieß es, Sie sind viel zu jung für den Brandner. Hatten Sie Bedenken, an einem Denkmal wie Fritz Strasser zu rütteln?
DUDA: Natürlich. Brückner haben auch alle für viel zu jung gehalten. Aber wir haben von Anfang an gesagt, wenn, dann müssen wir so frech sein wie’s nur geht. Christian hat uns ordentlich angetrieben.
Ihr Stimme klingt als Brandner komplett anders.
DUDA: Das ist einigermaßen anstrengend. Und das ganze Gesicht juckt.
Wie lange dauert die Maske?
DUDA: Eine Stunde, der Bart wird in Stücken angeklebt, damit er beweglich ist, eine Perücke, die Schminke, Augenringe, rote Nase, Falten.
Maxi Brückner springt aus dem Stand mit den Füßen auf den Tisch. Hat er sich diese Akrobatik selbst ausgedacht?
STÜCKL: Ich mache auf der Bühne sehr viel vor. In dem Fall kann man aber sicher sein, dass ich ihm garantiert nie vorgemacht habe, wie er auf den Tisch springen soll.
DUDA: Das Geniale daran ist, den Tod eben nicht als siechendes Gerippe zu zeigen, sondern als jungen, schnellen Typen. Er trinkt den Schnaps wie ein kleiner Bua, der zum ersten Mal Schnaps trinkt – dadurch wird der Boandl auch so sympathisch.
Manche Feuilletons behaupten, der Reiz des Stückes sei der respektlose Umgang mit Religion, Tod und Göttlichem.
STÜCKL: Ich denke nicht, dass es respektlos ist. Am Aschermittwoch haben wir zum Beispiel keine Weißwürscht auf der Bühne, sondern Steckerlfische. Der Hintergrund ist: Keiner weiß, wie man mit dem Tod umgehen soll. Und beim „Jedermann“ denke ich jedesmal, das ist eigentlich zu schwer. Das Komödiantische ist für mich der einzige Weg, wie man das aushalten kann.
Also ist der Brandner Kasper eher tröstlich?
DUDA: Auch, ja. Es ist ein naiver Glaube, ein Volksglaube, und der ist ja fröhlich.
STÜCKL: Am letzten Wiesnwochenende gehen wir nach der Vorstellung immer mit allen Zuschauern auf die Wiesn. Da kam eine Frau zum Maxi Brückner, hat ihm einen Kerschgeist mitgebracht, mit ihm getrunken und gefragt: „Gibst ma noch a paar Wochen?“ Der Maxi sagt: „Freilich“ und sie: „Der Arzt gibt mir keine mehr.“ Sie wusste, dass sie bald sterben wird, aber sie hat auch gesagt: „Heut hab ich wirklich gelacht.“ Und es ist ja schon eine schöne Vorstellung, dass die da oben auch mal lachen.
Selbst in Brasilien haben Sie den Brandner aufgeführt – mit Untertiteln. Kann ein Brasilianer diesen Humor verstehen?
STÜCKL: Bei den Witzen über Jäger und Wilderer hat’s nicht funktioniert, den Unterschied gibt’s dort einfach nicht. Aber wenn der Petrus sagt: „Ich war grad ganz oben, alle drei haben sie gelacht, und die Maria“, dann kapiert nur ein Teil der Münchner, dass es um Dreifaltigkeit geht und sie brauchen lange dafür. In Brasilien dagegen haben alle sofort schallend gelacht.
DUDA: Immer wenn’s ins Katholische ging, waren die Brasilianer sofort dabei. Das ist ja auch gelebter Katholizismus: Die Freude darüber, dass der Brandner, der sture Hund, der nicht dran glauben will, am Schluss geläutert wird und oben steht und sagt: Jetzt fängt’s Leben erst richtig an.
STÜCKL: Worüber die Brasilianer verwundert waren: Dass bei uns lauter männliche Engel im Himmel waren. Nach deren Vorstellung sind die Engel alle Mädels. Ich hab gesagt, da sollten wir den bayerischen und den brasilianischen Himmel zamschmeißen.
Ist das Stück auch was für Nicht-Katholiken?
DUDA: Natürlich. Selbst der ärgste Nichtgläubige steht ja am Ende da mit dem Thema Tod, ob er will oder nicht. Das Stück hat einen gigantischen Kern. Wenn zum Beispiel der Petrus sagt: Es ist im himmlischen Plan nicht vorgesehen, dass einer den Tod beim Kartenspielen bescheißt.
STÜCKL: Man könnte heute in einer modernen Inszenierung zeigen, dass wir das letztlich alle tun würden, wenn wir könnten. Mit Schönheitsoperationen und Antiaging und mit jedem Krankenhaus versuchen wir ja letztlich alle, den Tod ein bissl zu bescheißen.
Auf Ihrem Brandner-Plakat spricht Franz Josef Strauß vom Himmel herab.
STÜCKL: Das war die Idee von unserem Grafiker.
Und, sind Sie sicher, dass der Strauß drin ist, im bayerischen Himmi?
STÜCKL: Die Gnade des Herrn ist größer, als wir sie uns vorstellen können. Wahrscheinlich wird er ihn auch genommen ham.
Interview: Tina Angerer