20 000 Menschen feiern die "Lange Nacht der Musik"

20 000 Menschen haben in die „Lange Nacht der Musik“ gefeiert. Zum zehnten Mal wurden überall in der Stadt Live-Konzerte, Theater, Tanz und Kleinkunst angeboten - das Spektrum reichte von Klassik über Indie-Rock bis zu Elektromusik.
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Die lange Nacht der Musik, hier die Unilounge am Geschwister Scholl Platz.
Ronald Zimmermann Die lange Nacht der Musik, hier die Unilounge am Geschwister Scholl Platz.

MÜNCHEN - 20 000 Menschen haben in die „Lange Nacht der Musik“ gefeiert. Zum zehnten Mal wurden überall in der Stadt Live-Konzerte, Theater, Tanz und Kleinkunst angeboten - das Spektrum reichte von Klassik über Indie-Rock bis zu Elektromusik.

Das Herz schlägt schon am Nachmittag laut und heftig. Das Herz der langen Musiknacht. Die Trommler der Percussiongruppe „Bateria Z“ hämmern den Münchnern am Stachus das Motto ein: hören, tanzen, genießen. Die Passanten verinnerlichen es sofort und wippen fleißig mit. Spätestens jetzt sollte auch der Letzte mitbekommen haben, dass Beats und Melodien den Takt dieser Nacht vorgeben.

Rund 20 000 Menschen feiern am Samstag in der ganzen Stadt beim zehnjährigen Jubiläum der Langen Nacht der Musik. Neben dem blauen Band an der Hand outet vor allem der fragende Blick in das Programmheft die Musikschwärmer. Bei über 100 Spielorten ist die schwierigste Aufgabe, sich ein passendes Programm auszusuchen. Denn das Angebot ist unüberschaubar. Musik, wohin die Gehörgänge reichen: in Cafés, Bars, Clubs, Kirchen. Ganz München ist ein Klangerlebnis – unüberhörbar.

Die Tram riecht zwar seltsam - aber die Stimmung ist super

Selbst beim Location-Wechsel kann man sich beschallen lassen. Zum Beispiel in der „Ois is Blues-Tram“, in der sich schon am frühen Abend ein Dunst entwickelt, der dem Mundgeruch eines Alkoholikers gleicht – was aber niemanden stört.

„Der Fahrplan ist zwar völlig im Eimer, aber die Stimmung ist spitze“, freut sich der bärtige Trambahnfahrer bei einer Zigarettenpause am Sendlinger Tor. Kippe aus und weiter. „Seid ihr alle da?“, röhrt es aus den Lautsprechern und „Free Beer and Chicken“ fangen wieder an zu spielen. Gitarre, Bass, Mundharmonika. „No Woman – No Cry“ als Bluesinterpretation.

Ein Mann mit Elvis-Tolle tanzt mit der Haltestange und Inga im lila Samtkleid sucht einen Mann ohne Unterhose. Sie feiert ihren Jungesellinnenabschied. Leider ist kein Schotte in der Straßenbahn, nur ein Russe, der Inga aber enttäuscht. Er trägt Boxershorts.

Im Gasteig trommelt selbst die Garderobiere

Nächste Station Gasteig. Im Foyer rocken „JB’s First“ und die zwei Frontfrauen geben sich alle Mühe, das etwas steife Publikum in Bewegung zu singen. An der Garderobe kommt der Rock-Funk-Soul-Mix gut an. Die Garderobiere trommelt auf ihren Schenkeln und gibt fast verschämt zu, dass sie in ihrer Jugend selbst das Schlagzeug bearbeitet hat. „Ab und zu kommt es noch hoch“, sagt sie lachend.

Im Gasteig ist auch für ruhige Gemüter ein umfassendes Angebot zusammengestellt. In der „Black Box“ singt Alev Lenz Emotionales am Klavier und im Anschluss tanzt Gisa Michelons Flamenco Masterclass. Leider bleiben viele außen vor, die Box ist proppenvoll, enttäuschte Gesichter vor verschlossenen Türen.

Starker Andrang auch im Tal. Vor der „Rock Box“ drängeln sich Rock- und Punkfans wie vorm Wiesnzelt. Auch in der Bar herrscht Bierzeltatmosphäre. Gefühlte 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, die vier Jungs von „Blue Bastards“ grölen über Oktoberfestbier, auf der Theke steht ein Kerl als Captain Hook verkleidet und schunkelt zum Punk-Schlager.

Auch Tanzen will gelernt sein

Läuft man zwei Minuten Richtung Isartor, erlebt man ein Schauspiel der anderen Art. Im „Club de los Salseros con Chispa“ ist „Geduld und Herzlichkeit“ gefragt. Beim Mitmachprogramm der Tanzschule sollen die Gäste in die Geheimnisse des karibischen Hüftschwungs eingeführt werden. Doch aller Anfang ist bekanntlich schwer und so gleichen die Versuche eher einem Ententanz. Es braucht eben Geduld.

In der „unilounge“ am Geschwister-Scholl-Platz ist es ungleich einfacher, eine gute Figur zu machen. Kopfnicken genügt. Im Souterrain wummern minimalistische Beats aus den Boxen, Lichinstallationen blinken auf Flachbildschirmen. Peter Becker und seine Studenten vom Institut für Kunstpädagogik präsentieren ihre Bild- und Klangforschung. Beckers DJ- und VJ-Teams arbeiten sonst auch mit Clubs wie dem Ultraschall oder der Registratur zusammen, aber Becker freut es besonders, dass sein „lebendiges Projekt mal intern auftritt“. Im Nebenraum hetzt Drum ’n’ Bass das Partypublikum. Dass dort eigentlich eine geschlossene Gesellschaft feiert, stört keinen der Besucher. Die Bude ist voll – die Party geht weiter.

"Die Griechen müssen halt sparen"

Wer runterkommen will, und das wollen viele, findet sich nachts um ein Uhr in der schmuck renovierten Salvatorkirche ein. Im Programmheft ist ein byzantinischer Kantorenchor angekündigt. Doch um 1.15 Uhr flimmert immer noch eine alte Fernsehübertragung über eine Leinwand am Altar.

In den voll besetzten Reihen macht sich Verwunderung breit. Ein vollbärtiger Grieche gibt geknickt zu, dass es einen Dreher im Programm gegeben habe. Der Kantorengesang ist längst gesungen. Eine Zuhörerin fängt ob der skurrilen Situation an zu witzeln: „Mei, die Griechen müssen halt sparen."

Doch am Ende versöhnen der Vollbärtige und zwei Kollegen das müde Publikum. Ihre Hymnen sind traurig und ergreifend, sie klingen wie ein Abgesang auf die vergangenen Krisen-Wochen. Der klare Gesang verspricht aber auch: eine Auferstehung.

Johan Kornder

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