19 Jahre Wartezeit – so lahm ist die Stadtverwaltung

Wieso ein Stadtratsantrag aus dem Jahr 1990 plötzlich ungeahnte Aktualität bekommt. Und wo Bürger Einiges an Geduld aufbringen müssen. Die Abendzeitung zeigt, wo die Verwaltungs-Mühlen besonders langsam mahlen.
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Das Rathaus in München - hier wird offenbar so manche Stadtrats-Initiative gestartet, die dann im Sande verläuft.
dpa Das Rathaus in München - hier wird offenbar so manche Stadtrats-Initiative gestartet, die dann im Sande verläuft.

MÜNCHEN - Wieso ein Stadtratsantrag aus dem Jahr 1990 plötzlich ungeahnte Aktualität bekommt. Und wo Bürger Einiges an Geduld aufbringen müssen. Die Abendzeitung zeigt, wo die Verwaltungs-Mühlen besonders langsam mahlen.

Im Juni 1990 war Deutschland noch nicht wiedervereinigt. Der damalige Fußball-Nationalspieler Jürgen Klinsmann war gerade auf dem Weg zur Weltmeisterschaft. Und in München stellte ein Stadtrat einen Antrag für den Neubau einer Kindertagesstätte am Krankenhaus Harlaching. Warum letzteres überhaupt erwähnenswert ist? Erst jetzt ist der Antrag erledigt worden – fast 19 Jahre lang dümpelte er irgendwo in der Verwaltung vor sich hin.

Ein ganzes Paket solcher Alt-Anträge ist im März im Gesundheitsausschuss aufgegriffen worden. Alle 26 standen in Zusammenhang mit den früheren Krankenhaus-Eigenbetrieben der Stadt – und stammten aus der Zeit vor der Gründung der Klinikum München GmbH. Die Anträge wurden in der Zeitspanne von 1990 bis 2004 gestellt. Genau 23 davon erklärte der Stadtrat jetzt für geschäftsordnungsgemäß erledigt, und zwar – kein Witz – „durch Zeitablauf“.

Darunter auch den ältesten von allen: Vor fast 19 Jahren hatte Reinhard Wieczorek sich gemeinsam mit einer SPD-Kollegin für eine Kindertagesstätte stark gemacht. In der Zwischenzeit sind die Kinder, die von der Einrichtung hätten profitieren sollen, erwachsen. Und Wieczorek selbst ist erst Wirtschaftsreferent geworden und dann in Ruhestand gegangen. Wie kann so etwas passieren?

Die CSU spricht von "Arbeitsverweigerung"

„Das schaut nach Schlamperei aus!“, wettert CSU-Stadträtin Evelyne Menges. Zumal die Anträge teils gute Themen aufgegriffen hätten. Menges schätzt, dass etwa fünf Prozent der Initiativen einfach im Sande verlaufen. Und warum haken die Stadträte selbst nicht immer nach, ob ihre Anträge unter den Tisch fallen? „Man darf sich doch eigentlich darauf verlassen, dass sie fristgerecht behandelt werden. Deswegen haben wir eine Geschäftsordnung!“ Innerhalb von drei Monaten sind Anträge demnach im Rat zu behandeln. Außer es wird eine Terminverlängerung gewährt.

Für CSU-Mann Hans Podiuk ist das Ganze ein Zeichen von „Arbeitsverweigerung“ der Verwaltung. „Mehr als 18 Jahre wird an dem Antrag nichts getan – dann wird er für erledigt erklärt. Genauso stellt der Bürger sich das vor!“

Dabei sind es freilich nicht nur Anträge aus dem Gesundheitsbereich, die im Aktenberg verschwinden. Und auch nicht nur Anträge der Opposition. Ein Blick ins „Ratsinformationssystem“ zeigt: Zahlreiche Anträge sind „in Bearbeitung“ – und das mitunter seit mehr als sieben Jahren. Das ergab auch ein stichprobenartiger Test des Presseamts, um den die AZ gebeten hatte.

Für Stadträtin Menges kann das so nicht weitergehen. Sie will erreichen, dass eine „offene Posten-Liste“ eingeführt wird. Das heißt: Der Stadtrat soll regelmäßig über den Stand der unerledigten Anträge informiert werden. Ob’s mit dem Vorschlag was wird? Mal sehen: Menges hat nun mit zwei anderen CSU-Stadträten einen Antrag gestellt...

Angehörige müssen auf Sterbeurkunden bis zu sechs Wochen warten

Doch nicht nur die Bearbeitung von Stadtrats-Initiativen kann eine halbe Ewigkeit dauern. Auch in anderen Bereichen verlangt die Verwaltung einem Geduld ab. Beispiele?

Derzeit dauert es vier bis sechs Wochen, bis eine Sterbeurkunde ausgestellt wird. Dabei ist das Dokument nach einem Todesfall extrem wichtig. Angehörige brauchen die Urkunde für Banken, für Versicherungen, den Erbschein oder für die Rente. Damit wenigstens das Geld nicht ausbleibt, haben Stadt und Rentenversicherungsträger vereinbart, dass im Moment als Notlösung eine „mündliche Bestätigung“ ausreicht. KVR-Sprecher Christopher Habl spricht von einer „angespannten Situation“. Der Grund: Drei von sieben Mitarbeitern seien dauererkrankt.

Oder das Beispiel Bade- und Bootverordnung. 32 Jahre ist das Regelwerk alt. Im September beschloss der Rat, dass es novelliert werden soll – lang ersehnte Lockerungen inklusive. Doch im Umweltreferat ist man unsicher, ob die überarbeitete Fassung heuer noch fertig wird.

Julia Lenders

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