18 Jahre Deutsche Einheit: München – deine Ossis

Zehntausende Bürger aus den neuen Bundesländern zieht es auch 18 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nach Bayern, auf der Suche nach Arbeit und Ausbildungsplätzen - vor allem in die Landeshauptstadt München
MÜNCHEN Sie arbeiten bei der S-Bahn, in Kliniken oder in der Gastronomie. Viele pendeln regelmäßig nach Hause – hunderte Kilometer weit. Andere sind längst weitergezogen nach Österreich oder in die Schweiz, weil sie dort mehr Geld verdienen als in München: Arbeitnehmer aus Ostdeutschland. Eine Spurensuche zum 18. Geburtstag der Deutschen Einheit.
In München leben derzeit 26619 Menschen, die vorher in einem der neuen Bundesländer gemeldet waren. Mit knapp 12000 stammen die meisten aus Sachsen, gefolgt von rund 5500 Männern und Frauen aus Thüringen. Platz drei geht an etwa 3300 Brandenburger. Frauen und Männer machen jeweils etwa die Hälfte aus.
Enrico Hohlfeld ist Sachse. Seit 2000 bietet der 37-Jährige in München Ostprodukte an, online und in der Planegger Straße 21 – mittlerweile unter dem Namen "elando“. Denn als noch "Ossiladen" an der Tür stand, gab es oft Anwohnerbeschwerden. Warum, kann sich Hohlfeld nicht erklären. Knapp 100 Stammkunden hat der einstige S-Bahnschaffner. Die Renner sind "Nudossi“, die Ost-Nutella, die im Kühlschrank nicht hart wird. Der Likör "Pfeffi", der nach flüssigem After Eight schmeckt und "Stichpimpulibockforcelorum", ein Likör aus Königslutter, an den sich auch ältere Münchner noch erinnern – 0,7 Liter sind für 16,49 Euro zu haben.
Doch nicht alle Ossis, die im Freistaat arbeiten, sind hier dauerhaft sesshaft geworden. Viele pendeln nach wie vor. Hohlfeld erzählt: "Mein Schwiegervater ist 60 und arbeitet hier als Polier. Jedes Wochenende fährt er heim zu seiner Frau nach Dresden.“ Sie könne nicht nach München ziehen, weil sie in ihrem Alter keinen Job in der Landeshauptstadt mehr fände.
Warum sind Menschen aus den neuen Ländern so mobil? Hohlfeld sagt: "Wir wurden oft zu Neuem gezwungen". So stammten noch vor wenigen Jahren 36 Prozent der Nicht-Münchner Azubis, die hier das Hotelfach oder einen IT-Beruf erlernten aus den neuen Bundesländern. Bei den Fleischereifachverkäufern waren es sogar 97 Prozent. Die schlechte Ausbildungssituation im Osten zwang sie zur Mobilität.
"In letzter Zeit sind die Azubi-Zahlen aber stark zurückgegangen", sagt Sibylle Bauer von der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Der Grund sind geburtenschwache Jahrgänge im Osten, aus denen weniger Schulabgänger hervorgehen. Deshalb haben Azubis nun wieder größere Chancen, dort eine Lehrstelle zu finden.
In der Gastronomie hingegen zieht die Karawane derzeit weiter gen Süden. Das bestätigt auch Frank-Ulrich John, Sprecher des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes: "Viele sind nach Österreich und in die Schweiz abgewandert.“
Ein Blick in die Statistik verdeutlicht die Auswirkungen beider Trends: Während 2002 noch mehr als 40300 Menschen aus den neuen Bundesländern nach Bayern zuzogen, waren es im Jahr 2007 nur noch 30400. K. Rieger, N. Kettinger