13-Jähriger stirbt nach OP - Anklage gegen die Ärzte
Augsburg/München Das erste Jahr danach ist man unter Schock“, sagt Anna Elisabeth H. (52), „im zweiten Jahr danach fragt man sich „Warum?“. Warum musste sie ihr einziges Kind Johannes (13) verlieren? Und: Ist jemand Schuld an seinem Tod?
Die Staatsanwaltschaft sagt „Ja“. Gegen zwei Ärzte wurde Anklage erhoben. Wegen fahrlässiger Tötung. Den Medizinern der Augsburger Hessingklinik wird vorgeworfen, ihren Patienten nach einer Wirbelsäulen-OP nicht ausreichend kontrolliert zu haben.
Und das obwohl die Mutter angesichts der Schmerzen über die Johannes klagte, immer wieder bei Pflegern und Ärzten weitergehende Diagnosen einforderte. „Wir sind nicht ernst genommen worden. Johannes war in deren Augen wehleidig und ich überbesorgt.“ Das bittere Fazit von Vater Johann H. (52): „Um Johannes ist nicht gekämpft worden.“
Johannes H. litt unter einer starken Wirbelsäulenverkrümmung. Der 60-jährige Arzt Hans F. (Name geändert) rät dem 13-Jährigen und seinen Eltern zur operativen Anbringung eines Fixateurs, um die Wirbelsäulenverkrümmung zu beheben und damit Gefahren für Herz und Lunge vorzubeugen. Er und der mitangeklagte Chirurg Fritz C. (49) führen die Operation am 6. April 2010 durch.
Fritz C. machte am Mittwoch den Augsburger Gerichts- zum Hörsaal, schilderte am Modell einer Wirbelsäule was gemacht wurde, schildert unter anderem wie er die Schrauben zur Fixierung des Fixateurs angebracht hat und welche Vorsichtsmaßnahmen bei der OP getroffen wurden.
Doch zwei Schrauben sollen trotzdem übergestanden sein, eine soll dann auch die Speiseröhre von Johannes verletzt haben. Laut Anklagevorwurf haben die Angeklagten eine ausreichende Kontrolle des Ergebnisses der Operation, vor allem eine geeignete Röntgendiagnostik unterlassen.
Alles normale Symptome, wurden Johannes’ Eltern vertröstet, wenn der Bub über Bauch- und Rückenschmerzen sowie über einen Blähbauch klagte. Erst als acht Tage nach der OP Fieber und erhöhte Entzündungswerte dazu kamen, reagierte das Krankenhaus. Johannes wurde in die Augsburger Kinderklinik verlegt.
Doch auch in der besser ausgestatten Klinik seien sie nicht ernst genommen worden, sagt Johannes’ Mutter. Die Computer-Tomographie (CT), die die Fehllage der Schrauben hätte zeigen können, ließ weiter auf sich warten. Stattdessen verabreichte man ihrem Sohn Antibiotika, die auch anzuschlagen schienen.
Angesichts des Leidens ihres Kindes ließ Anna Elisabeth H. den Ärzten keine Ruhe. Schließlich wurde am 19. April eine CT angeordnet. „Das machen wir aber nicht wegen Johannes, sondern wegen Ihnen“, habe ihr ein Arzt daraufhin gesagt. Und wenn Johannes aufgrund der Strahlenbelastung später Krebs bekomme, sei das auch ihre Schuld, schreibt die Mutter in ihr Gedächtnisprotokoll.
Die überstehende Schraube wurde von den Ärzten dann im CT zwar gesehen, aber eine große Dringlichkeit löste das nicht aus. Die Hessingklinik wolle man erst am nächsten Tag benachrichtigen, sagte man den Eltern. Die nächste Fehleinschätzung.
An diesem 20. April saß Anna Elisabeth H. am Bett ihres Sohnes, der sich plötzlich übergeben musste. „Erst kam Schaum mit Blut, dann nur noch Blut“, erinnert sie sich an diesen schrecklichen Moment. Die Ärzte versuchten, den Buben zu reanimieren. Doch nach 45 Minuten mussten sie aufgeben.
Die Staatsanwaltschaft hatte in diesem Verfahren auch gegen einen Arzt der Kinderklinik Anklage erhoben. Das Amtsgericht hatte aber die Zulassung der Anklage gegen ihn wegen mangelndem Tatverdacht abgelehnt. „Das können wir nicht nachvollziehen“, erklärten die Eltern und Ihr Anwalt Hermann Hammermaier.
Die Todesursache ist laut der Münchenr Gerichtsmedizinerin tatsächlich die Fehllage einer Schraube. Die Schraube verletzte die Speiseröhre. Es kam zu einer Entzündung, die dazu führte, dass aus der benachbarten Aorta Blut austrat. Johannes starb an einem Verblutungsschock.
Falsch sitzende Schrauben kommen vor, so ein Gutachter. Wichtiger ist die Frage, ob Johannes nach der OP ausreichend kontrolliert wurde. Die Ärzte kontrollierten lediglich mit Röntgenaufnahmen, sahen keinen Grund zur Besorgnis. Eine CT hätte sie wohl eines Besseren belehrt.
Doch die CT war zumindest 2010 kein Standard nach solchen OPs, wäre nur bei atypischen Symptomen bei Johannes angesagt gewesen. Die gab es aber aus Sicht der Ärzte offenbar nicht.
Beide Ärzte sagen, dass es ihnen zwar leid tue, sie sich aber nichts vorzuwerfen haben. Das passt zu den Bemerkungen, die Johannes’ Mutter nach dem Tod des Buben auch in der Kinderklinik hören musste. Man habe ihr dort gesagt, dass man mit so etwas nicht rechnen konnte, sagt sie. Und: „Hoffentlich behalten Sie unser Krankenhaus trotzdem in guter Erinnerung.“ Es muss ihr wie blanker Hohn vorgekommen sein.
Nach der Verhandlung stehen die Eltern von Johannes noch vor der Gerichts-Pforte, als Hans F. auf die Mutter zugeht. „Es tut mir leid“, sagt er. Man nimmt es ihm ab. Johannes’ Mutter aber wirkt perplex. Ein langer Moment vergeht. Dann dreht sie sich um, flüchtet weinend in die Arme ihres Mannes.
Der Prozess wird am 27. März fortgesetzt.