1.128 Jahre Knast für einen Falsche-Polizisten-Clan in der Türkei
München/Izmir - Über Jahre haben Gauner, die sich als Polizisten ausgaben, arglose Menschen vor allem in Bayern und Baden-Württemberg ausgenommen. Nun hat das Landgericht in der türkischen Stadt Izmir 67 Männer und Frauen der international agierenden Bande wegen organisierten Callcenter-Betrugs verurteilt. Die Haftstrafen addieren sich auf 1.128 Jahre.
Der Ermittlungskomplex wurde über ein Jahr unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen vor dem Landgericht Izmir verhandelt. Nach elf Prozesstagen sieht es die Kammer für organisierte Kriminalität als erwiesen an, "dass die 67 angeklagten Männer und Frauen schuldig sind und vor allem in München arglose Menschen um viel Geld gebracht haben", sagt Polizeisprecher Benjamin Castro Tellez.
Banden-Chef: Haftstrafe von 400 Jahren und sechs Monaten
Der Kopf der Bande wurde nach Informationen türkischer Medien zu 400 Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Die Nummer zwei auf der Anklagebank zu 199 Jahren und drei Monaten. Zwei weitere Angeklagte erhielten 103 bzw. 89 Jahre Gefängnis, ein weiterer Angeklagter knapp 52 Jahre. Zudem hat das Gericht in Izmir Vermögenswerte von umgerechnet mehr als 60 Millionen Euro eingezogen, teilte das Polizeipräsidium München am Mittwoch mit.
Der jetzt verurteilte Clan-Chef hatte sich 2012 von Bremen in die Türkei abgesetzt und in Izmir das Callcenter eingerichtet. Telefonisten, auch Keiler genannt, riefen von dort aus die Opfer in Deutschland an und gaben sich als Polizisten aus, um mit erfundenen Geschichten ihren Opfern Geld und Wertgegenstände zu entlocken. Im Dezember 2020 waren der Anführer und weitere Mitglieder des Clans bei einer Razzia in Izmir festgenommen worden.
Seit 2017 waren Beamte aus Bayern und Baden-Württemberg sowie des Bundeskriminalamtes den Tätern auf der Spur. Besonders viele der Opfer lebten in München. "Nach unseren Ermittlungen sind diese Bandenstrukturen ein Milieu mit höchster krimineller Energie, denn die Täter schrecken auch vor schweren Straftaten nicht zurück", betonte Hans-Peter Chloupek, der bei der Polizei in München die darauf spezialisierte Ermittlungseinheit AG Phänomene leitet.
Urteil ist noch nicht rechtskräftig
Chloupek sprach von einem Urteil mit Signalwirkung für ähnliche Verfahren im In- und Ausland. "Die enge Zusammenarbeit mit den Behörden in der Türkei bei der Aushebung solcher Callcenter hat sich über Jahre hinweg etabliert und ist sehr gut." Er hofft nun auf ein gutes Ende für die Betrogenen, auch mit Blick auf die Vermögenswerte, die eingezogen wurden. "Wir hoffen, dass damit die Opfer nun auch finanziell von den türkischen Behörden entschädigt werden können", sagte er.
Es könnte noch Zeit vergehen, das Gerichtsurteil ist noch nicht rechtskräftig. Andere Banden sind unterdessen mit der Masche weiter aktiv. 6,1 Millionen Euro erbeuteten Kriminelle 2021 in Bayern nach Angaben des Justizministeriums allein, indem sie sich als Polizisten ausgaben. Die Polizei registrierte nach Angaben des Ministeriums zudem im vergangenen Jahr 4.168 sogenannte Schockanrufe im Freistaat mit einem Gesamtschaden von 3,7 Millionen Euro.