1000 Euro für 10 Quadratmeter

MÜNCHEN - Maria S. teilt sich ein marodes Zimmer mit einer fremden Frau. Sie ist eine von 1300 Obdachlosen in München, die in sogenannten Wohnpensionen untergebracht sind. Die horrenden Kosten zahlt der Staat. Ihr Vermieter findet: „Wir tun viel Gutes.“ Das Wohnungsamt sieht keine Alternative.
Die Wohnung von Maria S. ist 4,60 Meter lang und 2,20 Meter breit. Auf diesen zehn Quadratmetern wohnt sie nicht allein: Eine weitere Frau ist hier untergebracht. Die beiden sind obdachlos. Die Stadt stellt ihnen das Zimmer in einer Giesinger Pension zur Verfügung. Was kostet es, zwei sozial Bedürftige auf Kosten des Staates auf zehn Quadratmetern unterzubringen? Für den Geschäftsführer der Pension ist das ganz klar: knapp 500 Euro im Monat – pro Person. 1000 Euro. Für zehn Quadratmeter Wohnfläche.
Es sind 1000 Euro, die vom Steuerzahler übernommen werden. Für den gleichen Preis könnten die beiden Frauen locker eine Drei-Zimmer-Wohnung in Schwabing anmieten. 1300 Obdachlose sind in München auf ähnliche Weise in Wohnpensionen untergebracht. Werden so Hunderttausende Euro Steuergelder verprasst?
Sowohl die Stadt München als auch der Geschäftsführer der Pension weisen diesen Vorwurf zurück: Das Amt für Wohnen und Migration teilt mit, dass die Pension die günstigste Unterkunft für Wohnungslose sei. Und der Geschäftsführer wehrt sich gegen Vorwürfe, dass er mit der Not der Wohnungslosen ein Riesen-Geschäft macht.
Doch Münchens Sozialverbände kritisieren das Geschäft mit den Wohnpensionen. Der Vorwurf: Bessere Sozialarbeit für Betroffene wäre viel billiger – und brächte Menschen in Not mehr Hilfe.
Für Maria S. (58) ist der Fall klar: „Leute, die im Knast sitzen, haben mehr Platz als ich.“ In ihrem Pensions-Zimmer hängen Spinnenweben, Fliesen im Bad sind beschädigt. Darf sich Maria S. darüber beschweren? Es ist klar, dass man Abstriche machen muss, wenn man auf den Staat angewiesen ist. Doch das Pensionszimmer wird nicht etwa zum Sozialpreis abgerechnet, sondern laut Stadtverwaltung zum normalen Hotel-Preis.
Der Geschäftsführer der Pension weist die Vorwürfe zurück: „Wir haben ordentliche Zimmer“, sagt er zur AZ. „Wir tun viel Gutes und haben Spaß daran.“ Die Preise seien völlig in Ordnung, schießlich müsse die Heizung, der Strom, die Bettwäsche, die Reinigung und die Haustechnik gezahlt werden. „Wir sind eine Art Sozialdienst“, behauptet der Mann. Bei der Frage, ob er die Wohnpension aus Profitstreben oder aus Nächstenliebe betreibt, weicht er aus. Die AZ erfährt von der Stadt München: Sein Haus ausgebucht. Weil die Stadt alle Zimmer mit Obdachlosen belegt. 160 Wohnungslose bedeuten für die Pension schätzungsweise 80000 Euro im Monat.
„Ich gebe zu, das ist viel Geld“, sagt Renate Hufnagel. Sie ist Fachbereichsleiterin für die Unterkünfte beim Münchner Amt für Wohnen und Migration. Der Preis, der für die Unterbringung von Maria S. fällig ist, liege im Durchschnitt, sagt die Beamtin. Das bedeutet: Im Jahr fallen für die 1300 Obdachlosen in Wohnpensionen 7,8 Millionen Euro an. Die Stadt habe die Pflicht, jedem Obdachlosen eine Unterkunft zuzuweisen, sagt Hufnagel. „Die Wohnpensionen sollen nur vorübergehend genutzt werden. Unser Ziel ist es, die Betroffenen schnell wieder in eine eigene Wohnung zu bringen.“ Die Stadt betreibe selbst Notunterkünfte mit eigenem Personal. „Die Pensionsbetriebe sind deutlich günstiger.“ Über den Umsatz mit der Not sagt Hufnagel: „Für die Stadt München sind die Wohnpensionen ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Wir machen unser Geschäft. Und der Pensionsbetreiber macht seins.“
Mignon Drenckberg vom Caritasverband München und Freising kritisiert das Geschäft mit den Wohnpensionen. „Es wäre richtig, die Stellen aufzustocken oder überhaupt erst einmal einzurichten, die konkret bei drohendem Wohnungsverlust beraten können und schnelle Hilfe organisieren“, sagt sie zur AZ. „Da wäre dann ein Zuschuss viel billiger als die Unterbringung in der Pension und würde auch weiterführende Hilfen mit einschließen.“
Anton Auer, der die Obdachlosen-Teestube „Komm“ des Evangelischen Hilfswerks leitet, findet, dass Betroffene in Einrichtungen untergebracht werden sollten, in den sie von Sozialprädagogen betreut werden. Auers Meinung: „Die Pensionen sind wenig effektiv, weil sie die Probleme der Betroffenen nicht lösen.“
Volker ter Haseborg