100 Tage Grün-Rot in München: Begeisterung und leise Zweifel

100 Tage Grün-Rot im Rathaus sind vorbei. Die SPD gibt sich sehr zufrieden. Doch kleinere atmosphärische Störungen mit dem Koalitionspartner gibt es offenbar auch.
von  Hüseyin Ince, Felix Müller
Von links: SPD-Stadträte Christian Vorländer, Roland Hefter, Bürgermeisterin Verena Dietl, Andreas Schuster, SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner am Riesenrad "Umadum".
Von links: SPD-Stadträte Christian Vorländer, Roland Hefter, Bürgermeisterin Verena Dietl, Andreas Schuster, SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner am Riesenrad "Umadum". © Daniel von Loeper

München - Ein bisserl symbolträchtig ist das ja schon, dass die SPD-Fraktion am Sonntag unterm Riesenrad "Umadum" am Ostbahnhof eine Presserunde veranstaltet, um die ersten 100 Tage im Rathaus zu bilanzieren. Symbolisch gemeint ist es auf jeden Fall. Grün-Rot will in den kommenden fünfeinhalb Jahren am großen Rad der Stadtpolitik drehen – und München relativ radikal "menschenfreundlich" umgestalten. Ganz München will man da im Blick haben, das soll die Botschaft sein – und nicht nur Klientelpolitik betreiben.

Und all das zusammen mit den Grünen, jenem alten Herzensbündnis vieler Münchner SPDler. Doch es gibt offenbar auch schon kleinere atmosphärische Störungen in der Koalition. Die Grünen hatten ihre öffentliche Bilanz schon am Freitag gezogen – und das, ohne es mit der SPD abzusprechen, wie deren Vertreter am Sonntag ungewöhnlich offen erklärten.

Zweiter Lockdown im Herbst? Dietl möchte Familien zur Seite stehen

Die 100-Tage-Presserunde von SPD (und der Ein-Mann-Stadtratsgruppe Volt, die sich der Fraktion angeschlossen hat) sei jedenfalls eine Reaktion auf diese Überraschung des Koalitionspartners, heißt es am Sonntag. Doch Neu-SPD-Stadtrat Roland Hefter beschwichtig: "Das ist kein Problem." Oder doch? "Wir mögen sie wirklich, die Grünen", betont Hefter noch einmal. Und die Fraktionsvorsitzende Anne Hübner ist bemüht, die Aufmerksamkeit Richtung des alten Koalitionspartners, der CSU, zu lenken. "Wäre schön, wenn die mal wieder von ihrem Krawall-Kurs abkommen und konstruktiv mitarbeiten", schimpft sie.

Anna Hanusch (Grüne).
Anna Hanusch (Grüne). © Grüne

Eigentlich wollen die SPDler aber natürlich eh nicht über die anderen reden, sondern über die eigenen Erfolge. Als die Gondel des Riesenrads den Höhepunkt bei etwa 70 Metern erreicht, geht es los: Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Gewofag und GWG verzichteten freiwillig auf Kündigungen, falls Mieter wegen Corona zahlungsunfähig sind, die soziale Infrastruktur sei gesichert worden, mit einem 100-Prozent-Rettungsschirm für alle sozialen Träger, Takt-Verdichtungen der U-Bahn, Pop-up-Radlwege, breitere Fußwege, die Gastronomie auf den Parkplätzen mit etwa 4.400 zusätzlichen Gastplätzen, 6.000 Leih-Tablets für bedürftige Familien, um während der Homeschooling-Zeit nicht abgehängt zu werden. Weitere 2.000 sollen folgen, wie SPD-Bürgermeisterin Verena Dietl ankündigt.

Mit Sorge blickt die SPD auf den Herbst und Winter. Dietl möchte vor allem Familien zur Seite stehen, die bei einem eventuellen zweiten Lockdown wieder die Kinderbetreuung übernehmen müssen. "Für den Fall werden wir die Bildungseinrichtungen auffordern, ein einheitliches Kommunikationskonzept mit den Familien einzuhalten", sagt Dietl.

Wie viele der angekündigten Reformen werden übrigbleiben?

Denn während des ersten Lockdowns sei das nicht optimal gewesen – und nicht einheitlich: "Manche Schulen und Tagesstätten haben einfach nur mitgeteilt, dass jetzt geschlossen ist. Manche Lehrer wiederum haben täglich Kontakt zu ihren Schülern aufgenommen", sagt Dietl.

Die SPD ist also begeistert – und ein bisserl besorgt. So ähnlich hatten sich am Freitag auch schon die Grünen gegeben. Die Fraktionsvorsitzende Anna Hanusch hatte gemeinsam mit ihrem Kollegen Florian Roth vor allem die Fortschritte beim Verkehr und der Umverteilung des öffentlichen Raums betont. Die Grünen, inzwischen stärkste Fraktion, sehen sich selbstbewusst als den Motor der Koalition. Hanusch kündigte ein "Konzept für den Autoverkehr insgesamt" an – und erklärte, der Haushalt 2021 müsse "der erste grün-rote Haushalt und erkennbar vom Reformwillen geprägt sein".

Wie viele der angekündigten Reformen dann übrigbleiben, dürfte tatsächlich spannend werden. Die Rathaus-Opposition zumindest lästert schon, von grün-roten Träumereien werde am Ende wenig übrig bleiben – wenn die Gewerbesteuer so einbricht wie befürchtet. Dann könnte es um die Prioritäten noch deutlich ernsthafteren Streit zwischen den Partnern geben als nur den um die Frage, wer wann wen zu einer Riesenrad-Fahrt einlädt.

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