100 Jahre Wohn-Wahnsinn in München

1911 wird das Münchner Wohnungsamt gegründet: Schon damals gibt es zu wenig Unterkünfte für die rund 600.000 Bürger.Ein Blick in die Geschichte und Geschichten.
Irene Kleber |
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1911 wird das Münchner Wohnungsamt gegründet: Schon damals gibt es zu wenig Unterkünfte für die rund 600000 Bürger.

München - Es wird immer enger in München. 1,4 Millionen Menschen leben aktuell in der Stadt, allein in diesem Jahr sind 20000 neue zugezogen, doppelt so viele wie erwartet. Viele davon kommen aus eigener Kraft nicht über die Runden – und brauchen Hilfe.

Insgesamt 10000 Münchner warten aktuell auf eine Sozialwohnung. Bei der Hälfte der Betroffenen eilt’s, weil sie ihre Miete nicht mehr zahlen können. Weil sie kurz davor stehen, obdachlos zu werden. Oder weil sie zu fünft in eineinhalb Zimmern hausen und die Enge nicht mehr auszuhalten ist.
Bloß: Wo sollen die alle wohnen in der eh schon überfüllten Stadt?

Klingt dramatisch – ist für München aber beileibe kein neues Problem. Denn schon vor 100 Jahren – damals wurde das Wohnungsamt gegründet – war die Lage kaum anders.

Um 1911

Die Industrialisierung zieht Ende des 19. Jahrhunderts tausende Arbeiter, Kleinhandwerker und niedrige Beamte in die Königliche Haupt– und Residenzstadt München. Die Bevölkerung explodiert: Bis 1901 verdoppelt sich die Einwohnerzahl auf 500000, 1911 sind es schon 600000. Und während in Schwabing die Bourgeoisie luxuriös in Herrschaftshäusern residiert, hausen an der Isar Menschen in elendsten Verhältnissen.

In der Au teilen sich etwa sieben Familien mit 22 Kindern eine einzige Wohnung. Im Westend, in Haidhausen ist es kaum anders. Viele Münchner mieten sich als „Schlafgänger” tageweise ein Bett und müssen dafür zwei Tageslöhne berappen. Ein „förmliches Wohnungselend” beklagt der sozialdemokratische Verein. Und Beamte fürchten „bedeutende Gefahren hygienischer und moralischer Art”. Die Stadt muss handeln – und gründet am 26. Oktober 1911 das Wohnungsamt.
Zehn Beamte sollten die Aufsicht über die 140000 Münchner Wohnungen übernehmen, gegen Hygienemängel und die viel zu hohe Belegung vorgehen.

Nach dem Ersten Weltkrieg

Soldaten kehren heim, heimatlose Flüchtlinge drängen in die Stadt – die nächste Zuwanderungswelle. Der Magistrat richtet Massenquartiere und Notwohungen für 8500 Menschen ein, um die größte Not zu lindern. Und das Wohnungsamt greift massiv ein: Es verhängt Höchstgrenzen für Mieten. Verbietet die Zweckentfremdung von Wohnungen, zwingt Vermieter, freie Zimmer zu melden. Und lässt in drei Jahren 12000 Menschen zwangseinquartieren.
13 Millionen Mark investiert die Stadt 1926 und 1927, um zu bauen, bis 1931 entstehen 14500 Wohnungen (wie die Gewofag-Siedlungen in Neuhausen). Trotzdem stehen tausende Familien, Kranke, Kriegsversehrte auf der Straße.

Nationalsozialismus

Die NSDAP setzt den Wohnungsreferenten Karl Preis ab und zwingt jüdische Bürger, ihre Wohnungen zu räumen.

Wiederaufbau

Nach dem Zweiten Weltkrieg liegt München in Schutt und Asche. Von 260000 Wohnungen sind nur noch 180000 bewohnbar. Dazu suchen an die 300000 Flüchtlinge Hilfe in der Stadt. Das neugegründete Wohnungsamt zählt 1946 769000 Menschen. Karl Preis wird wieder ins Amt gesetzt. Wohnungen von hohen NS-Funktionären werden der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt.

Die Millionengrenze

1957 zählt die Verwaltung den Millionsten Einwohner. Als die Zusage für die Olympischen Spiele 1972 kommt, ist das der Startschuss für die Entwicklung Münchens zur europäischen Metropole. Die Hochhäuser am Olympiadorf entstehen – und hunderte neue Sozialwohnungen. Bis 1986 wächst die Zahl der Wohnungen auf 600000 an.

Die Lage heute

Heute leben die Münchner in rund 750000 Haushalten, jeder beansprucht – statistisch gesehen – 38 Quadratmeter für sich (in den 1960ern waren’s noch 22). Die Hälfte der Einwohner lebt allein – in der Mehrzahl alleinstehende Alte.

Das Wohnungsamt, das dem Sozialreferat zugeordnet ist, hat nur auf ein Zehntel des Wohnbestands Zugriff und kann im Jahr 3500 Wohnungen vergeben – viel zu wenig, bei 10000 Bewerbern jedes Jahr. Sozialreferentin Brigitte Meier spricht von „Mangelverwaltung”.

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