"100 000 Euro, wenn Sie ausziehen"

In der Blütenstraße 8 in der Maxvorstadt möchte der neue Hausbesitzer die Mieter aus den Wohnungen haben. Bis zu 100. 000 Euro bietet er ihnen. Aber die Bewohner wollen nicht weichen
von  Laura Kaufmann
Kaum zu glauben, aber dieses Haus steht nicht leer – hinter einer dieser Türen wohnt jemand. Zehn Parteien sind schon ausgezogen.
Kaum zu glauben, aber dieses Haus steht nicht leer – hinter einer dieser Türen wohnt jemand. Zehn Parteien sind schon ausgezogen. © Martha Schlüter

In der Blütenstraße 8 in der Maxvorstadt möchte der neue Hausbesitzer die Mieter aus den Wohnungen haben. Bis zu 100.000 Euro bietet er ihnen. Aber die Bewohner wollen nicht weichen

Fatema Mian ist stolz auf ihre Wohnung. Die Holzdielen, die sie selbst freigelegt hat, sind blank geputzt, der kleine Balkon bepflanzt, das Sofa ist mit Kissen geschmückt. Ihre Nachbarn aus dem zweiten Stock haben beide ihre Doktorarbeit in ihrem Zuhause geschrieben, sie leben hier seit ihren Studentenzeiten. Und der Kulturhistoriker nebenan wohnt zwischen hohen Bücherregalen, die blitzenden weißen Fliesen in seinem Bad hat er selbst verlegt. „Ist das menschenunwürdig?“, fragt Fatema Mian.

Mit diesem Wort hatte ihr neuer Hauseigentümer zuletzt vor Gericht argumentiert: Die Mieter sollten ausziehen, damit er endlich sanieren könne.

Unwürdig wird es allerdings erst im Hausflur. Der Putz von der Wand abgeschlagen, Zeitungen in die Mauerspalten gestopft, nackte Ziegelsteine und herunterhängende Klingelknöpfe, grell von Baustellenlampen ausgeleuchtet.

So ist das seit bald eineinhalb Jahren, Anfänge einer nie durchgeführten Sanierung, für die monatelang lautstark der Putz von den Wänden geklopft worden war. Seitdem ist nichts passiert, und die verbleibenden vier Mietparteien fegen täglich den Staub von der Treppe. Das Baugerüst, das an der rosa Fassade klebt, nutzen nur Gäste aus der nahen Punk-Kneipe zu nächtlichen Turnübungen.

Die Blütenstraßler haben gelernt, damit zu leben. Sie lieben ihre Wohnungen in Nummer8, in dem Haus, in dem Rainer Maria Rilke 1897 lebte. Der Kulturhistoriker Jozo Džambo hat ein Rilke-Gedicht an dessen geliebte Salome, mit Absender-Adresse, eingerahmt in der Wohnung stehen. Zwischen 23 und 35 Jahren leben die Mieter hier, halbe Leben, und die damaligen Bruchbuden haben sie eigenhändig saniert und renoviert.

„Das war die Abmachung mit unserem alten Hausbesitzer“, sagt das Professorenpärchen aus dem dritten Stock: „Wir kümmern uns selbst um die Wohnungen, dafür bleibt die Miete niedrig.“ Der alte Hausbesitzer starb, seine Frau teilte den Eigentum mit den Kindern, die Kinder wollten verkaufen.

Es kam 2007 die Grünwalder Vermögensverwaltung „Rock Capital“ zum Zug. Die ist bekannt in der Stadt. „Sie hat schon mehrere Anwesen aufgekauft, zum Beispiel etliche GBW-Anwesen in Untergiesing“, sagt Friedhelm Puhlmann vom „Bündnis Bezahlbares Wohnen“. Den GBW-Wohnblock am Candidplatz, heute Hans-Mielich-Carré zum Beispiel.

Alten Mietern drohe das, was Mieterrechtler Puhlmann „Münchner Modell“ nennt: Verkauf, Aufteilung in Eigentumswohnungen, Mieterhöhungen, Luxussanierungen. „Für uns hat das Objekt an sich und das langfristige Wertsteigerungspotential Priorität und nicht die aktuelle Rendite“, erläutert die „Rock Capital“ auf ihrer Internetseite. Ankaufprofil: „Bevorzugt denkmalgeschützter Altbau mit Aus- und Baurechtspotenzial, aber auch Baujahre 1800 bis 1995 ohne Denkmalschutz.“

Die „Rock Capital“ aber behielt die Blütenstraße 8 nicht, nach bewilligtem Antrag auf Ausbau des Dachgeschosses ging das Haus an die Grünwalder Domagk-Gewerbepark GmbH, und 2010 kaufte Geschäftsführer Hubert Haupt seiner Firma das Haus ab.

Auch er ist eine große Nummer im Immobilien-Business, Haupt lässt gerade das 19,5 Hektar große Quartier „Südseite“ in Sendling entstehen. „Ich habe in meinem Leben vorher noch nie so ein Haus gekauft, aber ich fand das Gebäude interessant“, sagt er über die Blütenstraße 8. „Ich bin kein Altbau-Luxus-Sanierer und kein Miethai, ich tue viel Gutes in der Stadt“, sagt Haupt. „Ich habe das Haus für meine Familie gekauft, meine Schwiegermutter – und auch meine 19-jährige Tochter würde gern einziehen.“

Die ausharrenden vier Mietparteien in der Blütenstraße 8 sehen das anders. Nach und nach gingen zehn Mieter, und die vier Parteien, die ausharren, haben erst jeweils 15000 Euro Abfindung ausgeschlagen, dann wurden es 25000. In den Briefen, die in der Blütenstraße 8 landeten, ist stets vom „Interesse einer einvernehmlichen Lösung zur Beendigung des Mietverhältnisses“ die Rede.

„Wir schrieben zurück, wir sind an Geld nicht interessiert“, sagt der Professor. „Wir wollen hier wohnen bleiben.“ Innerhalb des Hauses umziehen, um eine Sanierung möglich zu machen, das wäre für sie in Ordnung gewesen. Besonders interessiert ist Haupt an der Wohnung im Dachgeschoss, wo eine Geschäftsfrau seit 34 Jahren lebt. Ohne ihre Kooperation gibt es keinen Ausbau des Dachgeschosses.

Versehentlich hatte sie die Miete noch an „Rock Capital“ überwiesen – und bald die Räumungsklage wegen Mietrückständen am Hals. „Vor Gericht hat mir Herr Haupt 100000 Euro geboten, wenn ich ausziehe“, sagt sie. „Ich bin mir ein bisschen wie ein ökonomischer Volltrottel vorgekommen, aber ich sagte, ich nehme das Geld nicht, weil ich nicht dabei helfen will, dass meine Mitnehmer ihre Wohnungen verlieren.“

Daraufhin hörte sie vom Gericht: „Ihnen ist Solidarität wichtiger als 100000 Euro?“

„Die redeten über Preise, ich redete über Werte“, sagt die Geschäftsfrau. Sie ließ sich nicht weichklopfen.

Nach der erfolglosen Räumungsklage meldete Hubert Haupt Eigenbedarf an – seine Schwiegermutter wolle in die Dachgeschosswohnung ziehen. Kein Einzelfall, so soll gerade ein Vorstandsmitglied von „Rock Capital“ seinen Bedarf an einem Haus in der Maxvorstadt entdeckt haben: „Das ist der Versuch der Etablierung eines Trends“, sagt Friedhelm Pullmann.

Aber ganz so einfach ist das nicht. Der Richter ließ sich nicht überzeugen von den Umzugswünschen der Schwiegermutter, die derzeit in einer Eigentumswohnung in Unterhaching lebt.

Die Blütenstraßler, die mit im Saal saßen, mussten sich anhören, sie lebten in unwürdigen Verhältnissen – trotz ihrer liebevoll renovierten Wohnungen. „In dieser Verhandlung hat Herr Haupt uns allen je 50000 Euro geboten, wenn wir ausziehen“ sagt Fatema Mian. Alle haben abgelehnt.

Haupt sagt zur AZ: „Ich versuche von Anfang an, mit den Mietern zu reden. Ich habe seit fünf Jahren ein renovierungsbedürftiges Haus und möchte dort gern neuen Wohnraum schaffen. Ich gebe mir immer Mühe, einen Weg zu finden, mit dem alle zufrieden sind, aber es ist schwierig, Lösungen zu finden, wenn man sich nie zusammensetzt. Wenn es ihr Wunsch ist, werde ich auch versuchen, sie innerhalb des Hauses weiter wohnen zu lassen.“

Genau das wäre der Wunsch der Bewohner. Den haben sie immer wieder geäußert – „aber uns ist vermittelt worden, wir sollen ausziehen, um jeden Preis“, sagt Mian.

Mittlerweile sind die Fronten verhärtet. Wenn Mian hört, sie hätten sich gegen Gespräche gesperrt, wird sie wütend. Wie der Richter in der Schwiegermutter-Verhandlung angeregt hat, werden sich die Parteien jetzt doch an einen Tisch setzen. Um den Kampf um das Haus, aus dem Rilke einst glühende Liebesbriefe schrieb, mit Worten auszufechten statt mit Klagen.

 

 

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