Walbekanntschaften in Dschibuti

Schnorcheln mit Walhaien, den größten Fischen der Welt, vor der Küste Dschibutis am Horn von Afrika ist ein einmaliges Naturerlebnis.
Philipp Hedemann aus Dschibuti |
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Dschibuti - Die Walhaie haben es gut. Sie dümpeln zwar unmittelbar unter der Oberfläche, gehen aber nicht an Land. Sie müssen nicht in dunklen Bars zehn Dollar (etwa 7,50 Euro) für ein Bier zahlen, sich nicht ständig von Prostituierte anquatschen lassen oder 100 Dollar (75 Euro) für ein schäbiges Hotelzimmer berappen, in dem bei 40 Grad nicht einmal die Klimaanlage funktioniert. Deshalb kommen sie wahrscheinlich auch jedes Jahr wieder in den Golf von Tadjoura vor Dschibuti zurück. Die Menschen sehen das anders. „Alles Mist, bis auf die Haie“, urteilte einer der wenigen Touristen, die den zwischen Eritrea, Äthiopien, Somalia und dem Golf von Aden eingeklemmten Ministaat am Horn von Afrika besuchten. Die Aussage ist natürlich vereinfachend und tut dem Land selbstverständlich unrecht, aber so ganz falsch ist sie - zumindest aus touristischer Sicht - irgendwie dann auch nicht.

Mit weit aufgerissenem Maul schwimmt ein etwa sechs Meter großer Brocken auf den Taucher zu. Der glaubt, er würde womöglich verschluckt. Der Mann muss an die Geschichte aus dem Kindergottesdienst denken - vom armen Jonas und dem Wal - und taucht lieber ab. Fast wie in Zeitlupe gleitet der riesige Fisch über ihn hinweg. Sieht aus wie ein Flugzeugträger. Der Walhai wäre nicht ausgewichen. Vielleicht denkt er sich: Wir kommen hier seit Jahrtausenden her, um uns im warmen Wasser den Magen mit Plankton vollzuschlagen. Ihr Touristen kommt erst seit ein paar Jahren, da ist ja wohl klar, wer Vorfahrt hat. Auch wenn sie Menschen meist ignorieren, die Touristen müssen den harmlosen Giganten gewaltig auf die Nerven gehen. Jeden Morgen um 9.15 Uhr zerpflügen mehrere Boote mit starken Außenbordmotoren die sonst so stille Oberfläche des Golfs von Tadjoura. An Bord aufgeregte, sonnenverbrannte Urlauber aus Europa, Amerika und Australien, betont coole Mitarbeiter der in Ostafrika tätigen Hilfsorganisationen und muskulöse Soldaten, die ausnahmsweise nicht auf Piraten-, sondern auf Walhaijagd gehen. Sie alle haben viel Geld bezahlt, um die gepunkteten Riesen der Meere zu nerven. Von Oktober bis Februar versammeln sich vor Dschibuti Dutzende Jungtiere und filtern tonnenweise Plankton aus dem warmen Wasser. Wenn die Kapitäne der Touristenboote eine der riesigen Schwanz- oder Rückenflossen aus dem Wasser ragen sehen, rufen sie ihren gut zahlenden Passagieren „Jump“ zu. Mit Taucherbrille und Schnorchel springen die Urlauber ins Wasser.

Man kommt sich klein vor, verdammt klein

Haie und Touristen erschrecken sich dann wahrscheinlich gleichermaßen, denn wer nicht gerade Meeresbiologe ist, für den sehen die friedlichen Planktonfresser zunächst wie normale Haie aus. Nur größer. Im trüben, nährstoffreichen Wasser tauchen die Riesenfische wie aus dem Nichts vor der Taucherbrille auf und verschwinden lautlos wieder im endlosen Blau. Weil die trägen Tiere eher Langstreckenschwimmer als Sprinter sind, kann es dauern, bis so ein Koloss an einem vorbeigezogen ist. Man kommt sich klein vor, verdammt klein. Man kommt sich nicht nur so vor, man ist es im Vergleich zu den größten Fischen der Welt auch. Streichelzoo in Hodenhagen, Whalewatching vor Neufundland, Safari in der Serengeti: Das kann man alles vergessen im Vergleich zu diesem einmaligen Naturerlebnis. Die Walhaie sind aber nicht das Einzige, was in Dschibuti einmalig ist. Man kann hier auch einen einmalig schlechten Service für sein Geld bekommen. Seitdem Piraten aus dem Nachbarland Somalia den Golf von Aden und den Indischen Ozean unsicher machen, haben viele Nationen ihre Soldaten in Dschibuti stationiert, um die Handelswege mit einer riesigen Armada wieder sicherer zu machen. Anstatt ihre Soldaten in Kasernen unterzubringen, haben Armeen ihre Recken zum Teil in den dortigen Luxushotels einquartiert. Die Männer und Frauen der deutschen Marine residieren mit Meerblick im Sheraton und sind neidisch auf die Nationen, die vom viel feineren Djibouti Palace Kempinski aus Krieg gegen die Piraten führen. An einem Freitagvormittag sieht dieser Krieg ganz erträglich aus.

Grotesk aufgepumpte, braun gebrannte und mit allerlei Tattoos dekorierte junge Männer mit kurzen Haaren unterschiedlicher Nationalitäten sitzen an der Bar im Pool und schenken sich ein eisgekühltes Bier nach dem anderen rein. Sie filtern den Alkohol fast so schnell aus dem Corona-Bier wie die Walhaie das Plankton aus dem Wasser. Nach einigen Flaschen sagt ein Soldat zu einem Kameraden: „Ich finde Dschibuti viel besser als Afghanistan und den Irak.“ Man glaubt ihm das sofort, allerdings kommen Touristen selten auf die Idee, in Afghanistan oder im Irak Urlaub zu machen. Traut sich eine Frau auf Frontbesuch in den Pool, kann es ihr passieren, dass eine Horde angeheiterter Kameraden sich grölend auf sie stürzt und Schiffe versenken spielt. Für Psychologen wäre das Plansch- und Trinkbecken das ideale Labor, um zu untersuchen, wie Hitze, Langweile und die Trennung von ihren Frauen sich auf die Psyche der Männer auswirken. Was für Wissenschaftler interessant sein mag, ist für die wenigen Touristen am Pool eher irritierend. Die deutschen Soldaten müssen um 23 Uhr brav in ihrem Hotel sein, doch vor allem die Soldaten der in Dschibuti stationierten französischen Fremdenlegion haben weniger strenge Order. In kurzen Hosen, weißen Kniestrümpfen, drolligen Hüten und ordentlich Alkohol im Blut ziehen sie nachts durch die Bars der Stadt. Viele von ihnen interessieren sich jetzt für die äthiopischen Prostituierte. Die Walhaie bekommen von alldem wenigstens nichts mit. Sie haben es gut. Besser als die Touristen jedenfalls.

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