Verführung zur Beichte

Reporter Andreas Altmann hat die „Gebrauchsanweisung für die Welt“ vorgelegt. Ein Gespräch mit einem eigenwilligen Reisenden.
Dorothee Schöpfer |
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AZ: Herr Altmann, Sie sind seit über 25 Jahren in der Welt unterwegs und schreiben darüber. Wie wird einer zum Reisereporter?
Andreas Altmann: Ich tauge zu nichts anderem. Ich habe sehr früh angefangen, Tagebuch zu schreiben und irgendwann gemerkt, dass ich Talent habe. Das spürt jeder Schreiber, wenn er denn ein Talent hat. Im hohen Alter von 38 Jahren habe ich schließlich einen Text über China an die Zeitschrift „Geo“ geschickt und zwei Tage später erfahren, dass die Reportage gedruckt wird. So wurde ich Reporter.

In Ihren Reisereportagen gibt es selten Landschaftsbeschreibungen zu lesen, dafür begegnet man als Leser umso mehr Menschen. Wie finden Sie die Helden Ihrer Geschichten?
Zunächst einmal: Bin ich ein Reisereporter? Ich bin ein Schreiber, der nebenbei reist. Und: Landschaften kann jeder googeln, alles ist schon in Buchform erschienen. Nicht aber die Frauen und Männer, die ich treffe. Und zum Beichten verführe. Einer spricht, und einer hört zu. Ein wunderlicher, wunderbarer Vorgang. Ich bin meist nicht als Reporter erkennbar, sondern anscheinend nur zufällig vor Ort, habe nur einen winzigen Block und einen Stift, diskret in der Hosentasche. Komme ich großspurig als Presse daher, besteht die Gefahr, dass die Verhörten ihre Geschichte sensationalisieren. Oder verstummen, aus Angst. Ein Schreiber muss die Leute knacken, den Ton treffen, sie entspannen. Sobald der Mensch Vertrauen hat, mache ich mir Stichworte.

Als Reisereporter waren Sie bekannt, berühmt wurden Sie aber mit Ihrem autobiografischen Bestseller „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“. Wer dieses Buch gelesen hat, kann gut verstehen, dass Sie es in Altötting nicht ausgehalten haben. Ist Flucht das Motiv Ihrer Reisen?
Sicher. Die Grundmelodie meines Lebens ist die Abkehr von dem, was mir in Altötting eingebimst wurde. Eben das Gegenteil davon tun: Ich will ein sinnliches Leben, ich will in einer großen, internationalen, bildschönen Stadt leben, ich will nie wieder den pfäffischen Ranz hören.

Die Lust am Leben ist ein Leitmotiv in Ihrem jüngsten Buch „Gebrauchsanweisung für die Welt“. Dabei reisen Sie oft ins Elend: in das kriegszerrüttete Kabul, in ein Crackhouse in New York. Sie hängen am Leben und setzen es aufs Spiel.
Das verheerend schöne Gefühl zu leben stellt sich umso stärker ein, wenn man davongekommen ist. Aber mein Leben ist mir wichtiger als meine Geschichten, auch mein Narzissmus hat Grenzen. Ich überlege mir sehr genau, in welche Gefahr ich mich begebe, vorher! Ich bin nicht tollkühn, ich habe ein bisschen Chuzpe. Mich interessiert eben, wie Menschen in Grenzsituationen handeln, wie sie mit sich und anderen umgehen. Ich lerne dabei gleich auf dreifache Weise: über sie, über die Welt, über mich.

Es stimmt also doch: Unterwegs begegnet man vor allem sich selbst.
Ja. Und dabei entdecke ich auch die Schatten in mir, sehe, dass ich so edel nicht bin, wie ich mich gern hätte, dass die Fratze des Rassismus auch mich bisweilen heimsucht. Wenn 40 Grad brennen und du fünfmal am Tag nur vollgeschissene Toiletten vorfindest, kommst du auf hässliche Gedanken. Aber irgendwann musst du wieder cool werden und begreifen: Es gibt nur zwei Rassen auf Erden, die Hellen im Kopf und die Dunkelbirnen, die geistig Umnachteten.

Was ist der Unterschied zwischen einem Reisenden und einem Touristen?
Als ich anfing zu schreiben, habe ich wie alle Anfänger gedacht, dass ich jetzt das Reisen neu erfinde — und prompt auf die Touristen gespuckt. Aber ich bin längst bescheidener geworden und habe verstanden, dass es komplizierter ist: Auch Daddys mit dem Frotteehut auf der Glatze können neugierig sein, Respekt und Freundlichkeit zeigen. Und Rucksackträger können sich wie die Sau im Wald aufführen, rotzig und arrogant sein.

Spricht etwas dagegen, sich einfach mal zwei Wochen in die Sonne zu legen und vom Alltag abzuschalten?
Nun, ich will nicht glauben, dass das Leben dazu da ist, in der Sonne zu rösten. Aber jeder soll machen, was ihm gut dünkt. Jeder ist seines Unglücks Schmied. Soll er schmoren, bis ein Geysir aus seinem Bauchnabel schießt. Sie sind jetzt altersweise . . . Nein, mir ist nur bewusstgeworden, dass dem großen Haufen nicht zu helfen ist. Lästern werde ich weiterhin. Aber nebenbei will ich das Schöne und Innige sehen, will den Leser verführen, zur Weltwachheit, zur Einsicht, dass auch er nur ein Leben hat.

Plagt Sie unterwegs die Einsamkeit?
Ich bin ja oft in Gebieten unterwegs, wo kein Mensch auf mich wartet. Dann überkommt mich, zum Beispiel, die Sehnsucht, die Nacht mit einer Frau zu verbringen. Doch da steht gerade keine Dorfschönheit herum und ruft: „Altmann, du bist es, großartig, bitte komm in meine Hütte.“ Natürlich bin ich einsam. Aber damit kann ich umgehen. Ich habe ein Buch dabei, Zeitungen, den iShuffle, meinen Mac. Und ein aufblasbares Meditationskissen. Leicht sollte man reisen, denn zehn Kilo wiegen am ersten Tag zehn Kilo, nach 100 Kilometern wiegen sie 100 Kilo.

Sie schreiben, nach 90 Tagen setzt die Erschöpfung ein, dann wird es Zeit, wieder heimzureisen. Warum?
Dann bin ich blind und taub und schlecht gelaunt. Dann nimmt mein Hirn, mein Herz nichts mehr auf. Dann will ich nur noch die fünf Meter vom Futon zu meinem Schreibtisch gehen. Das Schönste am Reisen ist das Reisen, das Zweitschönste ist der Reisepass, sprich, ich darf wieder nach Hause.

Ihre Wahlheimat ist Paris. Wieso gerade diese Stadt?
Weil ich ein Ästhet bin. Schönheit heilt mich, wie sie uns alle heilt. Und ich bin gerne ein Fremder. Ich mag das Getriebe, das Gewirr der Sprachen, die Kinos, die Cafés, das Internationale. Das alles belebt mich, bereichert mich. Besonders mich, der dem Gulag Altötting entkommen ist.

Haben Sie in den letzten 25 Jahren auch einmal Urlaub gemacht?
Nein. Aber ich würde gerne einmal eine Kur machen, in der ich mehrmals pro Tag massiert werde und drei Fangopackungen bekomme. In einem Hotel, das neben einem Wald schlummert. Doch die Kur muss warten, ich habe Buchungen schon abgesagt. Immer jagt mich das Gefühl, dass ich etwas versäume. Bin ich tot, dann ruhe ich aus.

Andreas Altmann geboren 1949 in Altötting. Bevor Altmann Reporter und Schriftsteller wurde, hat er sich als Schauspieler, Parkwächter und Anlageberater ausprobiert. Heute schreibt er über Zugreisen durch Indien oder einen Fußmarsch von Paris nach Berlin. Am 2. November liest er in München im Residenztheater aus seiner „Gebrauchsanweisung für die Welt“ (Piper-Verlag, 14,99 Euro).

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