Übernachten für einen guten Zweck

Behinderte bedienen Nichtbehinderte bereits in 30 deutschen Hotels - und das mit Freude und Herzlichkeit.
von  Abendzeitung
Im Stadthaushotel Hamburg, Foto: R. Klar
Im Stadthaushotel Hamburg, Foto: R. Klar © srt

Hamburg - Behinderte bedienen Nichtbehinderte bereits in 30 deutschen Hotels - und das mit Freude und Herzlichkeit.

Der Mann braucht ein Bett für die Nacht. Er fährt auf der Autobahn von Hannover nach Dortmund und nimmt sein Navigationsgerät zur Hilfe. Das bietet ihm das modern eingerichtete Flussbett-Hotel in Gütersloh an. Er fährt vor und wird freundlich begrüßt. Die rollstuhlgerechte Bauweise fällt ihm genauso wenig auf wie die hohe Anzahl von Schwerbehinderten. Erst als ihm die Frau an der Rezeption erzählt, dies sei ein "integratives Hotel", erfährt er von diesem neuesten Zweig des deutschen Übernachtungsgewerbes.

Tourismus für Alle – Freude, Freundlichkeit und Zuwendung

Integrative Hotels beschäftigen mehr als ein Viertel Schwerbehinderte und stehen für alle Gäste offen. Sie setzen auf Begegnung von Menschen mit und ohne Handicap. Dieser "Tourismus für Alle" scheint ein tiefes Bedürfnis zu treffen: Urlauber steuern diese Häuser gern an, weil sie dort Freude, Freundlichkeit und Zuwendung erfahren - und weil sie stufenlos sind. Auch der Hotel- und Gaststättenverband setzt auf mehr barrierefreie Zimmer, denn der Nachholbedarf ist groß.

Mehr als 30 Hotels quer durchs Land haben sich die Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung auf die Fahnen geschrieben. Die Hälfte davon gehört zum Verbund der Embrace Hotels. Präsident Axel Graßmann sieht die Zeichen auf Erweiterung. Mindestens 25 Prozent der Mitarbeiter müssen schwerbehindert sein, sonst darf sich das Haus nicht integrativ nennen. Und jeder wird nach seinen Fähigkeiten eingesetzt. "Wir möchten den Gästen das besondere Gefühl von Menschlichkeit mitgeben", betont Graßmann, der das Stadthaushotel Hamburg leitet.

In Hamburg find alles an

Dort begann die Bewegung schon vor mehr als zwanzig Jahren. Damals schlossen sich die Eltern von acht behinderten Kindern in der Initiative Werkstadthaus zusammen. Seit 1993 wohnen und arbeiten in dem damals gegründeten Stadthaushotel behinderte Menschen unter einem Dach. Erfahrene Hotelfachkräfte begleiten die Mitarbeiter, von denen viele sonst keinen Arbeitsplatz fänden.

Der Gehörlose zieht seinen Staubsauger durch die Zimmer. Der Taubstumme schneidet in der Küche das Gemüse. Der geistig Behinderte lädt und entlädt den Geschirrspüler und stapelt das Geschirr weg. Der Rollstuhlfahrer sitzt an der Rezeption. "Es gehört Fingerspitzengefühl dazu, jeden da einzusetzen, wo er optimal wirken kann", sagt Graßmann und fragt: "Ist das nicht auch sonst so?"

Die Gäste übernachten zu marktüblichen Preisen (40 bis 130 Euro pro Nacht) in den integrativen Häusern. Wie dem Geschäftsmann in Gütersloh ergeht es vielen - sie merken zunächst gar nichts von der Besonderheit. Und wenn, dann haben sie dieses gute Gefühl, "einen öko-sozialen Mehrwert zu leisten", wie Graßmann sagt. "Wir haben durchweg positive Reaktionen bei unseren Gästen", stellt der Embrace-Chef fest und ergänzt: "Hier wird ein Stück Normalität geschaffen."

Integrative Hotels sind barrierefrei und rollstuhlgerecht

Das erscheint dringend nötig. Behinderte sind nicht nur in der Arbeitswelt schlecht dran, weil viele Betriebe lieber die Schwerbehindertenabgabe zahlen und sich so vom Einstellen eines behinderten Mitarbeiters "freikaufen". Die Betroffenen selbst können auch kaum angemessen verreisen. "Dafür sind diese Hotels natürlich erste Wahl", bestätigt ein Sprecher der Nationalen Koordinationsstelle "Tourismus für Alle" in Düsseldorf, denn die integrativen Hotels sind barrierefrei und rollstuhlgerecht.

"Dafür, dass Behinderte genauso Urlaub machen können wie Nichtbehinderte, kämpfen wir seit 46 Jahren", pflichtet dem Wielant Machleidt bei. Der Vorsitzende der Erholungshilfe Sozialtherapeutische Erlebnisreisen in Hannover hält es für "schlimm, Behinderte überall auszugrenzen". Sein mildtätiger Verein hat seit 1963 mehr als 60000 Menschen mit seelischer, geistiger, körperlicher Behinderung sowie mehrfach Behinderten zu einem Erlebnisurlaub verholfen. Das Motto: Freude ist die beste Medizin.

Justin Blücher

Weitere Informationen

Zu Embrace, dem Zusammenschluss integrativer Hotels, gehören 15 Häuser in Deutschland: Embrace Hotels, Mendelssohnstr. 15c, 22761 Hamburg, Tel. 040/89700732, www.embrace-hotels.de;

Auskünfte und Unterstützung zum barrierefreien Reisen sowie Adressen von Veranstaltern liefert die Nationale Koordinationsstelle Tourismus für Alle: Natko, Kirchfeldstraße 149, 40215 Düsseldorf, www.natko.de

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