Tirol: Der Motivator

Als Rollstuhlfahrer auf die Piste? Wie das geht, macht Sepp Margreiter vor. Er ist gelähmt, leitet eine Skischule und lehrt den richtigen Schwung.
von  Wolfgang Albers aus Alpbach

Alpbach - Direkt vor der Kasse der Pöglbahn in Inneralpbach gibt es zwei Parkplätze. Höchst gelenkige und fitte Großfamilien und Cliquen quellen dort aus Autos und laden direkt am Lift aus. Zwei freie Parkplätze? Ein Schild weist sie als Plätze für Behinderte aus. Was viele nicht stört. So gesehen hat Sepp Margreiter Glück, als er mit seinem Auto vorrollt. Ein Platz ist zwar von einem turbulenten Clan blockiert, aber der zweite gerade frei geworden. Sepp Margreiter öffnet die Tür, greift nach hinten, zieht ein Rad hervor. Noch ein Griff, noch ein Rad, dann noch ein ausklappbares Mittelstück - und neben dem Auto steht ein Rollstuhl. Mit routiniertem Schwung hievt sich Sepp Margreiter hinein. Und rollt Richtung Kasse, Richtung Piste. Rollstuhlfahrer sein und Ski fahren - geht das? Und: Sind Skigebiete überhaupt auf Rollstuhlfahrer eingerichtet?

In Inneralpbach schon. Und das hat viel mit Sepp Margreiter zu tun. Er ist der Leiter der Skischule Alpbach. Seit 1932 gibt es sie schon. Und Sepp Margreiter war ein Haudegen, wie Skischulleiter es sein müssen. Als junger Fahrer war er so gut, dass er von einer Rennkarriere träumen konnte, bis ihn Beinbrüche bremsten. Im Sommer war er in den Bergen unterwegs. Einmal im Jahr machte er eine Tour rund ums Alpbachtal, über jeden Gipfel, der sich links und rechts auftürmte. Eine tierische Runde. „Ja, ich war gut drauf,“ sagt Sepp Margreiter. „Wahrscheinlich hat das mir das Leben gerettet.“ An jenem Maitag im Jahr 1999, als er zum Holzmachen im Wald war. Kreischend fraß sich seine Motorsäge in einen Stamm am Boden, Ohrenschützer dämpften den Lärm. So hörte er nichts: die warnenden Rufe der Mitarbeitenden, den knarzend fallenden Baumstamm, den ein anderer Arbeiter falsch angesägt hatte. Er krachte ihm in den Rücken, brach ihm mehrere Wirbel, zerquetschte den Brustkorb und zerriss die Lunge. Wochenlang lag Sepp Margreiter im Koma, drei Monate wurde er künstlich beatmet. Aber sein Körper war so zäh, dass er überlebte. Sein Geist jedoch war ein einziges schwarzes Loch. Es war sein Therapeut, der ihn aus der Depression herausriss: „Bis Weihnachten hab ich dich so weit, dass du wieder in deiner Skischule bist.“

Manche Rollstuhlfahrer lernen das Skifahren schon nach zwei Tagen

Das kann ich nicht, dachte Sepp Margreiter nur. Aber das ganze Skischulteam spornte ihn an, und eine Charaktereigenschaft half ihm auch: „Ich bin schon ein ehrgeiziger, sturer Typ.“ So dass er zum Jahreswechsel tatsächlich wieder an den Schreibtisch des Skischul­leiters zurückkehren konnte. Aber auf die Piste? Da musste er erst noch warten, zu heftig waren die Lungenverletzungen. Ein Jahr nach dem Unfall versuchte er es wieder. Für Gelähmte gibt es einen Sitz, den die Firma Braschberger bei Kufstein herstellt - ihr Chef ist auch Rollstuhlfahrer. Dieser Sitz wird mit einer federnden Stütze in die Bindung eines Skis gestellt. Der ist der einzige Kontakt zur Piste - und der sollte nicht noch durch Aufkanten geschmälert werden: „Das Gewicht muss immer über dem Ski sein. Wenn der Oberkörper in Seitenlage kommt, fällt man um wie ein Kartenblatt.“ So ging es dem Sepp Margreiter am ersten Tag in dem Mono-Ski. Anfahren, Umkippen, Anfahren, Umkippen: „Ich musste ganz von vorne anfangen.“ Denn da er ab der Brust gelähmt ist, konnte er auch nicht mit dem Oberkörper arbeiten. Die einzige Chance, den Ski zu beeinflussen, sind zwei Handskier: Stöcke, die unten in Skischaufeln auslaufen. Wenn er die andreht, kann Sepp Margreiter eine Kurve einleiten. Der Impuls, über die Arme übertragen, dreht auch den Mono-Ski.

Am dritten Tag hatte er das raus. Inzwischen ist Sepp Margreiter wieder viel auf der Piste. Wenn er es drauf anlegt, schießt er dort so runter, dass nur sehr gute Skifahrer mitkommen. Unter seinen Sitz hat er sich einen Rennski gespannt: Der Ehrgeiz ist immer noch ein guter Motivator. Für die Tirol-Werbung testet Sepp Margreiter Skigebiete auf Barrierefreiheit: „Es gibt noch viel zu tun, aber man bemüht sich schon.“ Vom Alpbachtal kann man einiges abgucken. Am Pögllift rollt Sepp Margreiter wenige Meter zu einem Aufzug. Der bringt ihn zum Einstieg der Kabinenbahn. Dort hat er auch seinen Mono-Ski und die Skibekleidung deponiert. Ein Liftangestellter stellt ihm alles an eine Bank, Sepp Margreiter wuchtet sich vom Rollstuhl in den Skisitz, die breiten Schultern und kräftigen Arme kommen nicht von ungefähr. Ein Liftmann schippt auf die Gummimatten, über die die Skifahrer laufen, eine Schneespur, Sepp Margreiter stößt sich mit seinen Handgriffen - an denen man das Ski­ende hochklappen kann, damit sie nicht wegrutschen - zur Kabine vorwärts. Es ist ein wenig paradox: Ausgerechnet an der Liftart, die für Skifahrer am bequemsten ist, benötigt Sepp Margreiter am ehesten Hilfe. Ein Liftangestellter zieht ihn in die Kabine, oben ein anderer wieder raus.

Sport sorgt für eine bessere Durchblutung

Deshalb steigt Sepp Margreiter an der Mittelstation schon wieder aus und fährt zu einem Schlepplift ab. Dort schiebt er den Bügel in eine Schlaufe, lässt sich hochziehen, oben öffnet er die Schlaufe mit einem Karabiner. Und gleitet aus der Liftspur. Auch Sessellifte sind kein Problem. Ihre Sitzhöhe ist genormt. Also stellt Sepp Margreiter seine Sitzstütze höher, so dass sein Sitz genau in den Sessel passt. Sieht ganz einfach aus - ist aber eine ungeheure Lernleistung für Rollstuhlfahrer. Es sind inzwischen einige, die es unter Margreiters Anleitung lernen. Mit ihnen geht er auf eine flache Wiese, damit die Mono-Ski-Fahrer erst mal ein Gefühl für das Gleiten bekommen. Manche lernen es schon nach zwei Tagen, manche gar nicht. Es ist auch eine Kopfsache: Die Piste am Schlepplift ist eine rote und schon steil. Da muss man sich erst mal trauen.

Etliche seiner Skilehrer haben inzwischen eine Zusatzausbildung, um mit Behinderten Ski zu fahren. Aber am besten kann halt doch der Chef motivieren: „Ein Gesunder weiß doch gar nicht, wie sich das für einen Behinderten anfühlt. Wenn der sagt, du schaffst das, denkt der Behinderte: Der will mir halt Hoffnung machen.“ Das kann Sepp Margreiter natürlich auch. Er geht immer wieder in Reha-Einrichtungen zu den „Frischlingen“, wie er sagt, und motiviert sie, Sport zu machen. „Sport ist wichtig, der sorgt für eine bessere Durchblutung und eine bessere Haut, und das ist bei Rollstuhlfahrern öfters ein Problem.“ Und so sammelt sich jeden Winter eine recht stattliche Rollstuhlfahrer-Gemeinde zum Skifahren. 30 bis 40 sind es jede Saison, schätzt Sepp Margreiter. Vor allem Kinder liegen ihm am Herzen. Ihnen gibt er auch schon mal gratis Unterricht: „Gerade Kinder profitieren sehr vom Skifahren. Ich hatte kürzlich ein geistig behindertes Mädchen hier, das konnte nicht einmal sprechen - aber man konnte sehen, dass sie Spaß gehabt hat.“


 

Anreise
Über München und Rosenheim auf die Inntalautobahn A 12 Richtung Innsbruck, Ausfahrt Kramsach, oder mautfrei über den Achenpass und dann die Inntalbundesstraße 171 bis zur Abzweigung ins Alpbachtal. Skiunterricht für Rollstuhlfahrer Skischule Alpbach: Leiter Sepp Margreiter. Büro im Zentrum von Alpbach. Tel. (00 43) 53 36 / 55 15 oder (00 43) 664 / 3 37 51 63, www.skischule-alpbach.at

Barrierefreie Unterkunft
Der Wildbachhof in Inneralpbach (Hausnummer 685) wurde für seine rollstuhlgerechten Ferienwohnungen mit dem Gütesiegel „Goldener Rollstuhl“ ausgezeichnet. Preise: 98 bis 295 Euro pro Woche. Infos unter www.wildbachhof.com

Skigebiet
Das Hauptgebiet sind die Pisten und Lifte am Wiedersberger Horn. Neu ist eine Verbindungsbahn in das Skigebiet Schatzberg/Wildschönau. Das Skigebiet hat dann 47 Lifte und 145 Pistenkilometer. Spannend ist die Baumgarten-Skiroute, die über acht Kilometer zurück nach Inneralpbach führt und auf der man auch ein paar Tiefschneehänge mitnehmen kann. Gut geeignet für Anfänger und Familien ist vor allem das Skigebiet am Reither Kogel. Ein Tagesskipass kostet 39 Euro, ein 5-Tage-Pass 172 Euro. Ski-Opening ist vom 14. bis zum 16. Dezember, dazu wird ein Weekend-Package ab 104 Euro angeboten, das zwei Übernachtungen und einen 2-Tage-Skipass umfasst. Infos: www.alpbachtal.at.

Was man tun und lassen sollte
Auf jeden Fall sollte man auch mal runter von den fetten Brettern und auf die schmalen Latten steigen. Es gibt viele Langlauf-Möglichkeiten - vor allem das Sonnenplateau in Brandenberg ist ein wunderschönes, kaum bekanntes Langlaufgebiet.

Sehenswürdigkeiten
Ansehen: Alpbach mit seinen Vollholzhäusern - der traditionelle Alpbacher Baustil ist verpflichtend für das ganze Dorf. Rattenberg ist mit 400 Einwohnern die kleinste Stadt Österreichs und hat sein mittelalterliches Stadtbild ziemlich geschlossen erhalten können. Rattenbergs Adventsmarkt gilt als einer der schönsten in Österreich.

Allgemeine Informationen
Alpbachtal Seenland Tourismus, Zentrum 1, A-6233 Kramsach, Tel. (00 43) 53 36 / 60 06 00, www.alpbachtal.at

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