Son und Salsa im Hinterhof

Rasch noch zu Fidel Castro, das alte Kuba erleben – eh’ die Amerikaner kommen. Morbider Charme in der Altstadt, freie Drinks am Sandstrand im Tropenparadies: Kuba fasziniert auf viele Arten.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Kubaner verstehen das Leben zu leben
srt Kubaner verstehen das Leben zu leben

Havanna - Rasch noch zu Fidel Castro, das alte Kuba erleben – eh’ die Amerikaner kommen. Morbider Charme in der Altstadt, freie Drinks am Sandstrand im Tropenparadies: Kuba fasziniert auf viele Arten.

Castro hat wieder geschrieben. Drei Seiten „Reflexionen des Genossen Fidel“ in der Parteizeitung „Granma“. Zwar keine Hasstiraden gegen Uncle Sam, dafür aber nadelfeine Stiche gegen dessen Embargo. Und – kein Wort zu den angekündigten Touristen aus USA. „Obama ruft, aber der Jefe schweigt“, sagt Juanito bekümmert, „der mag keine Amerikaner.“ Die Quadratur der Kuba-Tour – ungelöst?

Juanito, ein drahtiger Mulatte von 35 Jahren, hat Job und Wohnung. Mit Frau, zwei Kindern und schwangerer Schwester wohnt der Wachmann in einem Palast. Eierfriese rahmen die Fenster, Atlanten stützen den Balkon. Solche Prachtfassaden mit Voluten und Stuckgirlanden bröseln überall in Havanna vor sich hin. Sie sind das pompöse Erbe der Zuckerbarone und Sklavenhändler.

Stolz blicken die Kubaner in die Kameras ihrer Gäste

Doch hinter protzigen Portalen tut sich staubige Armut auf. Wie aus der Büchse der Pandora schlängeln sich wirre Kabelbündel aus offenen Schaltkästen in finstere Treppenhäuser. Überall blättert der Putz. Es riecht nach Müll und Katzen. Unbekümmert flattert bunte Wäsche von brüchigen Balkonen. „Wir sind arm, aber alle gleich arm“, hört man immer wieder. Ein schwacher Trost, wenn man die Mangelmärkte mit ihren leeren Fleischerhaken sieht, wo mit dem Volks-Peso CUP bezahlt wird, und dann die schicken Restaurants, wo der Touristen-Peso CUC zum 25-fachen Wert gilt.

Bescheiden aber stolz blicken die Kubaner in die Kameras ihrer Gäste. Kritisieren können sie sich ja selbst. Sicher, sagt Fremdenführer Rafael, das Einkommen ist mies, aber die klinische Versorgung dafür gratis. Die Wohnungen sind katastrophal, aber es wird auch viel saniert. In der Tat strahlen in Alt-Havanna schon ganze Häuserzeilen in neuem Glanz. An der Plaza Vieja trägt nur noch ein Jugendstilhotel Gerüste. Und am Malecon, der kilometerlangen Uferpromenade, werden koloniale Fassaden aufgeputzt.

Morbider Charme verzückt die Besucher

Dabei ist es gerade der morbide Charme vergilbter Grandeur, der die Besucher verzückt. Allein diese Automobile! Einmal in einem offenen weißen 52er Oldsmobile vor dem Capitol vorfahren? Man muss nur ein Taxi rufen! Überall kreuzen sie wie antiquierte Luxusliner – die fetten Buicks, Chevys und Studebakers. Glanzvoll restauriert manche, andere vielfach übermalt und grob geflickt. Spitznasige Desotos aus den 40er Jahren, breithüftige Cadillacs und kühn geflügelte Plymouths aus den 50ern. Unter mancher chromverzierten Haube klopft ein Ersatzherz von Toyota. Improvisacion a la Cuba!

Kuba ist mehr

„4000 Dollar“, lockt ein Mann in Overalls, der einen rundbuckligen Oldtimer schmirgelt, „aber klar, er läuft.“ Dollar? Noch hat man Mühe den „Greenback“ loszuwerden. Ein Peso convertible, ein CUC, ist zwar ziemlich genau sein Gegenwert. Aber hoffähig ist nur der Euro (= 1,25 Peso). In Varadero, dem Zentrum des Tourismus, gilt er gar als zweites Zahlungsmittel. Auf dieser langgestreckten Halbinsel reiht sich Hotel an Hotel. Am weichem Sandstrand bei freien Drinks und überbordenden Büffets ist für viele das Tropenparadies perfekt. Ihre Abenteuerlust erschöpft sich allenfalls in einem Ausflug per Katamaran zur Trauminsel Cayo Blanco. Man schnorchelt unter Korallen und Zebrafischen, speist Languste satt und holt sich einen formidablen Sonnenbrand.

Aber Kuba ist mehr. Mit über einem dutzend Rundreisen lockt beispielsweise Tui tiefer ins Land hinein. Im gekühlten Bus aus China geht’s auf breiter Piste schnurgerade in den Süden. Links ein Farmhaus in pink, garagengroß, mit einem zerbeulten Tank auf Stelzen. Rechts der Bauer beim Pflügen mit dem Ochsengespann. Sein Trecker rostet im Hof. Im Fluss unter der Brücke striegelt einer sein Pferd.

Nach der Wildnis Stadtkultur

Weiter auf der offenen Pritsche eines russischen Militärlasters. Hinauf in die Guamuhaya-Berge. Hier wächst der Kaffee, den wir eben noch an der Tankstelle geschlürft haben. Heiß und stark gebrannt, ein Viertelpeso pro Espresso. Aus dem satten Akaziengrün ragen die glatten silberweißen Stämme der Königspalmen. Agaven klammern sich ins Gestein. In dem von Philodendron überwucherten Drachenbaum blitzen Kubas Farben kurz auf: rot, weiß, blau – ein Tocororo, der Nationalvogel.

Vom hohen El Nicho stürzt frisches Wasser in Kaskaden herab. Junges Volk tummelt sich in den kühlen, klaren Gumpen. In einem schattigen Salettl wird typische Landkost serviert: würzig gebratenes Huhn, Fisch, Schweinernes, dazu Salat. Man reicht leichtes Cristal-Bier, Rumcocktails oder – kubanischen Wein. Man kann ihn trinken, muss aber nicht.

Nach der Wildnis Stadtkultur: Trinidad ist ein mit Kieselsteinen gepflastertes Kleinod aus kolonialen Tagen. An aufgefrischten Fassaden in zauberhaften Pastelltönen werden bei Sonnenuntergang die raumhohen, kunstvoll vergitterten Fenster geöffnet. Frische Abendluft kühlt die Bewohner, die im Schaukelstuhl vor dem Fernseher wippen. In romantischen Hinterhöfen ertönt zum Dinner Son und Salsa. Eine Nummer größer, ebenfalls Weltkulturerbe, dann Cienfuegos. Häuser von Barock bis Art Deco mit endlosen Laubengängen reihen sich zu bunten Perlenschnüren.

Eisenbahn-Abenteuer mit dem Hershey-Train

Fehlt nur noch eine Fahrt mit dem Hershey Train. Mit Tempo 30 rumpelt die E-Lok mit dem 80 Jahre alten Waggon zwischen Havanna und Matanzas dahin. US-Schoko-König Milton Hershey hatte mit der Zuckerbahn seine Raffinerie erschlossen. In seiner Modellstadt „Hershey“ lebten die Arbeiter in Häuschen wie in Pennsylvania und zahlten mit Gutscheinen. Hotel, Kirche, Kino, alles träumt nun vor sich hin. Die Fabrik – eine Ruine im Dornröschenschlaf. Doch der Prinz hat schon die Lippen gespitzt: Reto Rüfenacht, ein cleverer Schweizer, schaukelt mit seinen Cuba Real Tours die ersten Touristen nach Hershey und bastelt bereits an einem Erlebnispark. Die Loks dazu rosten noch mitten in Havanna hinter einem roten Bauzaun vor sich hin. Aber wenn dann die ersten Amis kommen...

Gerhard Merk

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.