Saas-Fee: Wo ein Pfarrer den Skisport erfand

Pfarrer Johann Joseph Imseng war einer der ersten Tourismus-Pioniere der Schweiz. Mitte vorletzten Jahrhunderts bot er in seinem Pfarrhaus in Saas-Grund erstmals Gästebetten an. Imseng gilt als erster Schweizer Skifahrer.
Günter Schenk |
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Das Denkmal für Pfarrer Imseng auf dem Dorfplatz von Saas Fee.
Günter Schenk Das Denkmal für Pfarrer Imseng auf dem Dorfplatz von Saas Fee.

Der katholische Pfarrer Johann Joseph Imseng (1806-1869) war einer der ersten Tourismus-Pioniere der Schweiz. Mitte vorletzten Jahrhunderts bot er in seinem Pfarrhaus in Saas-Grund erstmals Gästebetten an und führte Fremde im Sommer auf die umliegenden Berge.

Saas-Fee - Bekannt aber wurde er, weil er im Winter 1849/50 erstmals zwei Holzbretter mit Riemen und Schnüren unter seine Schuhe schnallte und so von Saas-Fee nach Saas-Grund hinab rutschte. Seitdem gilt der umtriebige Geistliche aus dem Saastal als erster Schweizer Skifahrer.

„Das war nicht ganz einfach“, sagt Konrad Rieder. „Mit den fast zwei Meter langen Brettern, mit denen mein Vater einst Nostalgierennen gefahren ist, ist das Skifahren kein Vergnügen“. Rieder ist begeisterter Snowboardfahrer, Tourenskigeher und heute Pfarrer von Saas Fee - und inzwischen auch Filmstar, wie das eine oder andere Imagefilmchen auf der Internet-Plattform YouTube zeigt.

In schicken Clips sieht man ihn dort in wehender Soutane verschneite Hänge hinab rutschen und damit an einen seiner Vorgänger erinnern, der Mitte des 19. Jahrhunderts den Tourismus im Saastal begründete: Pfarrer Johann Joseph Imseng, den sie in der Schweiz gern als ersten Skifahrer feiern. Gerade wurde die Kirche von Saas Fee, umgeben von vielen Dutzend Hotels und noch mehr Pensionen und Ferienwohnungen, saniert. Die Hälfte der Kosten von rund 1,5 Millionen Schweizer Franken brachte die Gemeinde selbst durch Spenden auf.

„Die Leute hier sind großzügig“, freut sich Pfarrer Rieder. Auch wenn es ihnen längst nicht mehr so gut geht wie vor der Eurokrise, die den Schweizer Franken und damit den Urlaub in der Eidgenossenschaft verteuerte. „Wir haben mehr als ein Drittel unserer Gäste verloren“, heißt es im Verkehrsbüro. „Unsere Hotels sind im Durchschnitt nur noch zu 30 Prozent ausgelastet“. Hinzu kommt, dass die Gäste nicht mehr wie früher zwei bis drei Wochen bleiben, sondern im Durchschnitt nicht einmal mehr fünf Tage – im Winter immerhin noch einen halben Tag länger als im Sommer.

Längst vorbei sind die Zeiten, als immer neue Bergbahnen immer neue Gäste brachten. Allein der Bau einer unterirdischen Bahn 1984 auf den Allalin ließ die Zahl der Besucher jährlich um eine halbe Million steigen. Und auch Georg Michael, der vor drei Jahrzehnten in Saas-Fee mit der Gruppe Wham! das Video zum Welthit „Last Christmas“ drehte, brachte den einen oder anderen Wintergast ins Saas-Tal.

„18 Viertausender liegen vor unserer Haustür“

Früher dominierten die Sommergäste, heute die Wintersportler. 1948 baute man den ersten Skilift, drei Jahre später eröffnete die erste Skischule. 150 Pisten-Kilometer stehen Wintergästen inzwischen zur Verfügung, Abfahrten aller Schwierigkeitsgrade. Im Sommer locken 20 Kilometer Pisten auf den Gletschern. Daneben stehen Urlaubern 350 Kilometer ausgeschildeter Wanderwege und 70 Kilometer Mountainbike-Strecken zur Verfügung. Berg- und Seilbahnen schaffen den Gast in die Höhe, erlauben Einblicke in alpine Welten, die früher nur mühsam zugänglich waren.

„18 Viertausender“, wirbt man in Saas-Fee, „liegen vor unserer Haustür“. Saas-Fee verdankt seinen Namen dem Vieh („fee“), das einst zu Füßen der alpinen Berge weidete. Auf Wiesen, die ein gutes Dutzend einheimischer Familien bewirtschaftete. „Das Saastal“, notierte 1787 ein Berner in seinem Buch „Reisen durch die merkwürdigsten Gegenden Helvetiens“, sei die „schäusslichste Wildnis der Schweiz“. Fleischsuppe, Magermilch, Speck und Brot gab es zum Frühstück. Mittags Gemüse und gesottenes Schaffleisch, hin und wieder auch Käse oder Kartoffeln. Und mit einer Suppe aus Gerste, geschwellten Kartoffeln, Roggenbrot und Magermilch ging es abends ins Bett.

Die ersten Gästezimmer im Pfarrhaus

Nicht einmal 250 Einwohner zählte Saas-Fee anno 1850, als der Tourismus – 1825 waren die ersten Engländer im Tal aufgetaucht – immer mehr an Bedeutung gewann. Die neuen Gäste blieben meist den ganzen Sommer, interessierten sich für Botanik und Geologie. Weil es damals aber keine Hotels gab, bot der Saas-Grunder Pfarrer Johann Joseph Imseng Quartier im Pfarrhaus, wo er ein paar Gästezimmer einrichtete. Gleichzeitig offerierte er den Bergfreunden seine Dienste als Fremdenführer. Um die Gäste bei Laune zu halten, lernte der Geistliche, der als Bub gern Ziegen hütete, Englisch und Französisch.

Und weil die Touristen immer mehr wurden, animierte er seine Landsleute zum Hotel- und Gasthausbau. 1833 öffnete das erste Gasthaus in Saas-Grund, 1881 das erste Hotel in Saas-Fee. Für den umtriebigen Pfarrherrn war klar, dass nur der Tourismus den Menschen im Saastal auf Dauer eine Perspektive bieten konnte. Was im benachbarten Mattertal wie in Zermatt florierte, wo er zuvor als Pfarrer gewirkt hatte, müsste auch im Saastal funktionieren. Pfarrer Imseng, 1806 als zweites von acht Kindern in Saas-Fee geboren, wurde so zum Pionier des Fremdenverkehrs.

Ihm zu Ehren haben sie auf Saas-Fees' Dorfplatz ein Denkmal gestellt. Es zeigt einen großen Mann mit großem Hut. Einen Helden, sagen manche im Dorf. Denn ohne ihn, so ihre Argumente, wäre das Saastal nicht zu dem geworden, was es heute ist. Eindrucksvoll sind die alten Skimodelle an den Wänden des Dorfmuseums. Lang und wenig bequem waren sie, nicht zu vergleichen mit den Carving-Ski von heute.

Die ersten Skier in Saas-Fee soll übrigens Pfarrer Imseng gefahren haben, der im Winter 1849/50 während einer Dorfvisite zu einem Versehgang nach Saas-Grund gerufen wurde und sich kurzerhand ein paar Holzbretter ohne Kanten mit Riemen und Schnüren unter die Schuhe schnallte und so zu dem Sterbenden ins Tal rutschte. Im Dorfmuseum steht noch ein Stuhl aus Imsengs Pfarrhaus. Darüber hängt ein Porträt des Geistlichen, der nicht unumstritten war. Mancher neidete ihm sein Leben. Schließlich verdiente er als Bergführer an einem Tag soviel wie viele Bewohner in der ganzen Woche, die sich im Sommer beim Tunnel- und Straßenbau auswärts verdingten - oder im Winter aus Eisenstangen Schuhnägel schmiedeten oder Bahnschwellen fertigten, die sie mit Schlitten zu Tal brachten.

Die Berge als "stille Zeugen seines Todes"

So blieb auch Imsengs Tod bis heute ungeklärt. 1859 fanden Spaziergänger seinen Leichnam im Mattmarksee. Schmuggler hätten ihn getötet, vermuteten einige. Andere tippten auf Selbstmord, schließlich sei der Kirchherr mit seiner Doppelrolle als Seelsorger und Geschäftsmann nicht fertig geworden. „Stille Zeugen seines Todes“, fasst der Dorfchronist Thomas Kalbermatten beim Rundgang durchs Dorfmuseum die Spekulationen zusammen, „waren nur die Berge“.

Kalbermatten zeigt auf alte Schwarz-Weiß-Fotos, die von den Anfängen des Tourismus im Saastal erzählen. Von Einheimischen, die bis 1919 Gäste auf Tragegestellen von Stalden aus ins Tal schafften. Die Eis vom Gletscher holten und damit bis in die späten 1930er Jahre innen mit Blech verkleidete Holzschränke in den Hotels füllten. Stolz zeigt er dem Gast auch eine kleine Maschine, mit der man einst Gletschereis zerstampfte, mit Kakaopulver anreicherte und so zu Schokoeis machte, einer Dessert-Delikatesse.

"Freie Ferienrepublik Saas-Fee“

Seit 1951 führt eine Straße nach Saas-Fee, die auch im dicksten Winter geräumt wird. Das Dorf selbst ist seit damals autofrei. Nur Rettungsdienst, Müllabfuhr, Feuerwehr und Leichenwagen dürfen in die Fußgängerzonen. Sogar die Polizei ist wie die Hoteliers, die ihre Gäste in der Regel am Busbahnhof am Ortseingang abholen, mit kleinen Elektromobilen unterwegs. Spezialanfertigungen, die leicht 100.000 Euro oder mehr kosten. Um sich von den übrigen Skigebieten der Schweiz zu unterscheiden, nennt sich das Saastal seit einiger Zeit „freie Ferienrepublik Saas-Fee“. Zwölf Rechte hat man für jeden Feriengast in einer Deklaration schwarz auf weiß festgeschrieben. Dazu gehört das Recht auf das höchste Drehrestaurant und die höchste U-Bahn der Welt ebenso wie das „Recht auf Spaß mit der ganzen Familie“ und das „Recht auf handzahme Murmeltiere“. Ein Grundgesetz, das auch von Pfarrer Imseng hätte stammen können.

Information

Wallis Promotion, CH 1950 Sitten,
Tel. +41(0)273273571,
www.wallis.ch

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