Radtour zum Moses-Berg
Sinai - Eine Überquerung der Halbinsel mit dem Mountainbike gehört zu den beeindruckendsten Outdoor-Erlebnissen der Welt.
Noch ein Windstoß und ich mutiere zur Sanddüne. Selbst durch die kleinsten Ritzen bläst der Wüstensturm erbarmungslos feine Sandkörner in den Schlafsack. Im Zelt schlafen wäre die Lösung, aber die Weicheinummer ist fast schon Frevel. Die Wüste und ihr bombastischer Sternenhimmel gebieten es förmlich, noch ein wenig die Milchstraße zu bewundern. Endlich mal ein Fernsehprogramm von Niveau, ohne Aufpreis für Zusatzdecoder und die Sparwitze von Dieter Bohlen. Mit ein bisschen Fantasie knirscht sogar der Wüstensand zwischen den Zähnen ähnlich wie Kartoffelchips. Außerdem, was soll's? Das bisschen Sand schüttelt es einem auf den gnadenlosen Wellblechpisten ohnehin schnell aus dem Pelz.
Durstig nach Sonne, Sand und Einsamkeit
Versteinerte Sanddünen, klebriger Asphalt und hinterhältige Sandpassagen sorgen dafür, dass Reifen und Sitzmuskeln bei der Durchquerung der Sinai-Halbinsel per Fahrrad ordentlich was zu tun bekommen. Thomas Hächler, unseren Guide, könnte man bereits als Sandmutanten bezeichnen. Wie ein Kamel liest er die tückischen Areale. Er und auch die anderen Wüstenfüchse, die bereits bei der Trans-Sinai-Trophy am Start waren, erkennen den günstigsten Kurs durch den losen Untergrund schon an der Farbe des Sandes. Dies bringt dem erfahrenen Dünenbiker jede Menge Spaß, dem fluchenden Neuling ein paar saftige Schürfwunden mit Sandpflaster.
Die Trophy-Teilnehmer in unserer Truppe sind allesamt dem Lawrence-von-Arabien-Fieber erlegen. Sie sind durstig nach Sand, Sonne und Einsamkeit. Kein Wunder - Route, Organisation und vor allem die Schönheit der Wüste lassen nichts zu wünschen übrig. Mitten im Transalp-Zeitalter toppen die Schweizer Brüder Andreas und Christoph Schnelli noch so provokante Tourenidee, indem sie ihre Ideallinie mitten durch den Sinai ziehen.
Wüstentripp gegen die Winterdepression
Wenn bei uns die große Winterdepression einsetzt, kann man auf dem 350 Kilometer langen Wüstenritt zwischen dem Golf von Suez und dem Golf von Aqaba den Horizont und das Fahrkönnen erweitern. Und das Beste daran: Der Sinai, diese dreieckige Landmasse, das Bindeglied zwischen afrikanischem und asiatischem Kontinent, ist keine fünf Flugstunden entfernt. Man braucht keine kreislaufschwächenden Impfungen und auch keinen logistischen Wahnsinnsapparat, um an diesem Bike-Abenteuer im Expeditionsstil teilzunehmen. Die Beduinen der Begleitmannschaft kennen dieses unwirtliche Territorium ebenso gut wie die Schrauben ihrer Toyota-Landcruiser. Falls es also an der Wade zwackt oder die körpereigene Betriebstemperatur sich der eines Schnellkochtopfs nähert: Ran an die allradbetriebenen Versorgungsdepots.
Weiter geht es nur mit dem Wüstenschiff
Wer glaubt, so eine Wüste flimmere eintönig flach vor sich hin, der irrt gewaltig. Schon kurz nach dem Start am Golf von Suez bei Serabit el-Khadim klettert die Piste hübsch bergan auf ein Hochplateau. Monotone Wüste wechselt fortan mit Bilderbuchoasen, monumentalen Canyons und unüberwindbar scheinenden Felsriegeln. Kurz vor der Oase Ain Hudra geht es mit unseren bisherigen Mitteln beim besten Willen nicht mehr weiter. Selbst die Reifen der Jeeps wühlen erfolglos im tiefen Sand. Kurzerhand schnallen wir die Bikes auf die wahren Wüstenschiffe, die Kamele. Zwischen den Höckern dieser ausdauernden Tiere erfahren wir ein völlig neues Fortbewegungsgefühl: eine Mischung aus Schaukelei und holpriger Achterbahn. Wieder fest im Sattel cruisen wir durch gigantische Sandkästen, testen die Schwerkraft auf rauen Steindünen, auf denen der Reifengummi wie Marmelade an den Fingern haftet, und schwirren im Formationsflug über die wenigen Asphaltpassagen. Abends schlemmen wir bei Scheichs oder brutzeln Wiener Würstel am Lagerfeuer. Nachts träumen wir immer intensiver von einem Sprung ins Rote Meer. Ist ja eigentlich auch zu dumm - da fliegt man in dieses von herrlichen Stränden und farbenprächtigen Tauchgründen umrahmte Land - und radelt mitten durch die Wüste.
Am Katharinenkloster geht es zu wie auf dem Oktoberfest
Den topografischen und kulturellen Höhepunkt der Sinai-Durchquerung per Rad markiert der 2285 Meter hohe Mosesberg. Eine schwammige Kamelpiste führt bis zu einer Oase etwas unterhalb des wuchtigen Gipfelaufbaus. Dort campieren wir zu Füßen einer riesigen Zypresse, die bereits zu Jesus Christus Geburt dort oben gestanden haben soll. Pünktlich zum Sonnenaufgang steigen wir dann zum Gipfel auf. Dort geht es zu wie auf dem Münchner Oktoberfest. Vom ganzen Sinai werden Touristen in Buskolonnen angekarrt und den ziemlich anstrengenden Steig hochgescheucht. Japaner löffeln ihre Einwegsuppen und folgen brav dem knallroten Regenschirm des Reiseführers. Italiener polieren den Staub von ihren Schuhen. Deutsche beschweren sich über die gesalzenen Preise der Beduinen, die dort oben bei Eiseskälte Minzetee und Kekse verkaufen.
Nach Sonnenuntergang kehrt wieder andächtige Stille ein
Kaum ist die Sonne an den endlosen Dünen, sanften Hügelketten und schroffen Felswänden empor geklettert, eilen alle Besucher wieder hinunter. Dann kehrt die andächtige Stille wieder, die dieser geschichtsträchtige Ort eigentlich benötigt. Der Rundblick in hinreißend herrliche Landschaften entschädigt reichlich für das unwürdige Gerangel auf dem Berg der zehn Gebote. Schließlich ist genau dieser Landstrich von höchster Bedeutung für die drei großen monotheistischen Weltreligionen - Judentum, Christentum und Islam. Und fest steht nach unserer Tour: auch für sonnenhungrige Biker ist der Sinai eine der allerfeinsten Pilgerstätten weit und breit.
Norbert Eisele-Hein
Service Sinai
Allgemein: Die Trans-Sinai ist nur bedingt für Individualisten geeignet. Das zusätzliche Gewicht der Ausrüstung erschwert das Vorankommen im Wüstensand erheblich. Wüstenerfahrung und sicherer Umgang mit GPS sind Grundvoraussetzungen. Vor allem die Trinkwasserversorgung stellt ein Problem dar. Nur eine Fehlplanung und die Wüstentour wird zum Horrortrip.
Veranstalter: Bike Adventure Tours, Sagistr. 12, CH-8910 Affoltern am Albis, Telefon 0041/1/7613765, www.bikereisen.ch, veranstaltet mehrmals jährlich die Trans-Sinai-Tour. Acht Tage inklusive Flug kosten ab 1690 Euro pro Person.
Karten: Gute topografische Karten gibt es nicht. Einen groben Überblick gibt die "Sinai - Maps of Attractions" (Maßstab 1:250000), Steimatzky Verlag. Sie ist vor Ort in Hotels und an den touristischen Knotenpunkten erhältlich. Außerdem: "Sinai und Rotes Meer", Dumont Verlag, klein, handlich und sauber recherchiert, 10 Euro.
Weitere Auskünfte: Ägyptisches Fremdenverkehrsamt, Kaiserstr. 66, 60329 Frankfurt, Telefon 069/252153, Fax 239876, staatlich@aegyptisches-fremdenverkehrsamt.de, www.egypt.travel
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