Prora: Hitlers Ferienfabrik

Prora - Auf Rügen soll die Erinnerung an das gewaltigste Denkmal nationalsozialistischen Urlaubswahns einer modernen Feriensiedlung weichen - ein paar Fledermäuse verzögern das.
Dafür, dass hier das größte Haus der Welt steht, ist es auffällig unauffällig. Zwischen Dünen und Kiefernwald versteckt sich nördlich des Ostseebads Binz ein grauer sechsstöckiger Betonriegel hinterm Strand. Erst wenn man entlang läuft, wird das Besondere daran offenbar: Das Gebäude will einfach nicht aufhören. Stolze 4,5 Kilometer lang ist der "Koloss von Rügen". Auf Hitlers persönlichen Befehl hin wurde er vom NS-Reiseunternehmen "Kraft durch Freude" (KDF) zwischen 1936 und 1939 erbaut und bis zum Rohbau fertiggestellt. 20000 Menschen hätten dort ab 1942 Urlaub machen sollen, wenn der Zweite Weltkrieg nicht begonnen hätte. Die Prospekte waren schon fertig: Für jeweils zwei Volksgenossen waren zehn Quadratmeter Strand und noch mal zwölf Quadratmeter Zimmer vorgesehen - alle mit direktem Meerblick. Zehn Tage Urlaub kosteten 20 Reichsmark, Speisen und Indoktrination inklusive: So sah die Nazi-Vision von All-inclusive-Urlaub aus.
Die Politik hat sich bereits 2004 entschieden - fürs Wegschauen
Es kam bekanntlich anders. Nach dem Krieg machte die NVA eine riesige Kaserne aus dem Monster im Kiefernwald. Und seit der Wende streitet man sich hingebungsvoll über die Nutzung des "KdF-Bades" mit der bezeichnenden Adresse "Objektstraße". Die Politik hat sich immerhin bereits 2004 entschieden - fürs Wegschauen. Da beschloss der Bundestag, die fünf Blocks einzeln an Investoren zu verkaufen und sich dadurch des Erhaltungsaufwands für Europas längste Immobilie zu entledigen. Das ist in der Zwischenzeit auch geschehen. Nur dank einiger winziger Nachtschwärmer ist das einzigartige Denkmal nationalsozialistischen Irrsinns noch nicht komplett in Wellnessresorts und Zweitwohnungen gewendet worden: In den Nischen des Nazi-Stahlbetons nisten seltene Fledermausarten. Und so wurden erst einmal sämtliche Bautätigkeiten eingestellt - Zeit für ein Nebeneinander von Fledermäusen und Urlaubern. Und vielleicht doch noch für ein Nebeneinander von Profit und Museen. Denn das Vakuum hat sich längst auch ohne öffentliche Aufarbeitung des Nazi-Erbes gefüllt. Doch wie das in der Privatwirtschaft ist: Mindestens drei Organisationen machen sich dabei gegenseitig Konkurrenz. Da ist zum einen die KulturKunstStatt Prora: Unübersehbar wirbt sie mit grellbunten Plakaten für ihre "Museumsmeile" in Block 3. Dort gibt es seit 1994 außer einem 18-Meter-Modell der Anlage und einem nachgebauten "KdF"-Ferienzimmer sechs Einzelmuseen. Darunter ist je eins für DDR-Motorräder und für die Feuerwehr von Binz. Vor allem aber zeigt Museumsbetreiber Kurt Meyer ungezählte DDR-Devotionalien, etwa einen Schießstand der NVA und einen Offiziersclub der Volksarmee.
Dauerausstellung "MachtUrlaub"
Ein "kommentarloses Sammelsurium", ärgert sich Jürgen Rostock vom Konkurrenzmuseum "Dokumentationszentrum Prora". Das zeigt im Querriegel von Block 3 seine Dauerausstellung "MachtUrlaub". Der Ableger der Berliner "Stiftung Neue Kultur" tut seit 2000, wozu sich die öffentliche Hand nicht durchringen konnte: Er arbeitet - wissenschaftlich konzipiert und mit EU-Mitteln gefördert - die in Prora Stein gewordene Idee der Nazis auf, die Werktätigen sogar noch im Urlaub gleichzuschalten. Dies geschieht in einem schmalen Gebäudetrakt zwischen der Großdisco "Miami 3" und den Büros der "Beschäftigungsgesellschaft Rügen". Noch - denn schon vor drei Jahren wurde auch der Block 3 verkauft, Käufer war eine Inselbogen GmbH. Die hat dem "Dokumentationszentrum Prora" längst gekündigt, während die konkurrierende "Museumsmeile" mit ihrem DDR-Gruselkabinett weiter machen darf. Kein Wunder: Schließlich ist Museumsmeilen-Chef Meyer beim Investor Inselbogen beteiligt. Schlechtes dem, der Schlechtes dabei denkt...
Hitlers Stahlbeton-Seebad wird zum politischen Schrebergarten
Die Tage des Dokumentationszentrums scheinen gezählt, wenn nicht die große Politik eingreift. Schon hängen Plakate am Eingang, die den Besucher auffordern: "Unterstützen Sie den Erhalt des Dokumentationszentrums und senden Sie eine Postkarte an die Bundeskanzlerin." Schließlich ist Bundeskanzlerin Angela Merkel Wahlkreisabgeordnete. Und von Land und Landkreis kann Museumsleiter Rostock auch wenig erwarten. Rügens Landrätin Kerstin Kassner von der Linkspartei ist selbst bei einer anderen Organisation engagiert: Das "Prora-Zentrum" kümmert sich vor allem um die politische Arbeit mit Jugendlichen, gerade hat die Landrätin im Block 5 den Grundstock für Deutschlands größte Jugendherberge gelegt. Das Land Mecklenburg-Vorpommern schließlich will selbst ein eigenes Dokumentationszentrum einrichten. Schwerpunkt soll allerdings auch da nicht die Nazi-Vergangenheit sein, sondern "die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte" und die "Bausoldaten, die in Prora gegen ihren Willen Dienst tun mussten", so die Landesregierung.
So wird Hitlers Stahlbeton-Seebad 20 Jahre nach der Wende zum politischen Schrebergarten: Jeder baut an, was ihm schmeckt. Und wer Erklärungen für das schwierige Denkmal sucht, für den gibt es künftig ja immer noch Bücher.
Hans-Werner Rodrian