Newcastle: Feiern ohne Kohle

Die ehemalige Bergbaustadt Newcastle upon Tyne zählt heute zu den besten Partymetropolen. Wer Einsamkeit sucht, findet sie im Umland .
Andrea Jenewein aus Newcastle |
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Newcastle - Auf dem zerbeulten Kofferraum des alten Autos, das - wie alle Autos im britischen Königreich - auf der falschen Seite fährt, klebt ein Aufkleber: „Divn’t dunsh us, I’m a Geordie!“ steht darauf. Ein Geordie, das ist jemand, der aus der Umgebung von Newcastle upon Tyne in Nordengland stammt. Und Geordie, so nennt sich auch dessen Dialekt, der ziemlich anders klingt als alles, was man sonst so auf der Insel zu hören bekommt. „Divn’t dunsh us“, das meint eigentlich: „Don’t bump into me“. Ja, die Geordies haben es nicht immer leicht - auch wegen ihres Dialekts -, aber sie haben Humor: Würden sie sonst den Aufkleber mit „Fahren Sie nicht auf mich drauf, ich bin ein Geordie“ auf ihr Auto kleben?

Einer der berühmtesten Geordies ist der Musiker Mark Knopfler von den Dire Straits. Er hat diesem Landstrich sogar in „Fare Thee Well Northumberland“ besungen. Dennoch ist die Grafschaft im Nordosten Englands, direkt an der Grenze zu Schottland, selbst vielen Briten kein Begriff. Das mag daran liegen, dass dort mehr Schafe als Menschen leben: Northumberland hat die geringste Bevölkerungsdichte Englands. Doch es gibt so viele Gründe wie Schafe, warum ein Reisender dort verweilen sollte. Derzeit fahren 80 Prozent aller Touristen, die mit der Fähre aus Amsterdam in Newcastle ankommen, auf dem kürzesten Weg weiter nach Schottland. Dabei muss sich Northumberland, allein was seine Burgen und Schlösser angeht, nicht hinter Schottland verstecken. Die Grafschaft hat eine bewegte Geschichte und war Schauplatz vieler Kriege.

Der Mann hinter dem Tee

Davon zeugen noch heute der Hadrianswall - ein römisches Grenzbefestigungssystem, das Kaiser Hadrian (76-138) nahe der heutigen Grenze zwischen Schottland und England anlegen ließ - wie auch die vielen Burgen. Besonders beeindruckend ist das über einem weißen Sandstrand auf einem Basalthügel thronende Bamburgh Castle. Weltberühmt dagegen ist Alnwick Castle - spätestens seit es in den Harry-Potter-Kinofilmen als Zaubererschloss Hogwarts zu Ehren kam. Im Hinterland erstrecken sich Felder und Weiden sowie die größten zusammenhängenden Waldgebiete Englands. Ein Viertel der Grafschaft steht unter Naturschutz. Inmitten der sanft rollenden Hügel liegt Howick Hall, das von 1782 an der Sitz der Familie Grey war. Charles, der zweite Earl Grey, war das bekannteste Mitglied der Familie. Er war ein führender Politiker, der 1830 Ministerpräsident wurde. Und er war es auch, der dem Tee seinen Namen gab. Über dessen Entstehung kursieren verschiedene Versionen: Eine besagt, ein Mandarin habe Earl Grey den mit Bergamotte-Öl parfümierten Tee serviert.

Laut einer anderen trank Grey Tee, als er einen Zweig der Zitrusfrucht geschenkt bekam; er tauchte ihn in die Tasse. Vielleicht aber krachten auf einem Schiff auch Teekisten und Behälter mit Bergamotte-Öl ineinander. Verbürgt ist, dass der Tee dem Grafen außerordentlich mundete. Eine Tasse Earl Grey kann der Besucher auch heute im Teesalon von Howick Hall einnehmen, der Rest des Gemäuers ist geschlossen. Genau genommen ist es aber sowieso der riesige und bezaubernde Garten, der die Besucher anlockt. Neben dem Tee gibt es ein weiteres berühmtes - und vielleicht noch beliebteres - Getränk: das malzig-dunkle Newcastle Brown Ale. Im Pub bestellt man, wenn man sich nicht als Fremder outen will, aber besser schlicht ein Broon, erklärt Alastair Gilmour. Er muss es wissen, schließlich ist der Journalisten aus Newcastle upon Tyne Herausgeber des preisgekrönten Pub-Magazins „Cheers“. Und Gilmour weiß auch, dass Newcastle einiges an Nachtleben zu bieten hat. Am Wochenende vibriert die Stadt: Junge Menschen - darunter viele Studenten - bevölkern die Straßen, Pubs und Clubs.

„Je kälter es wird, umso weniger haben sie an“

Auf einer Liste der weltweit besten Partymetropolen belegte Newcastle mit seinen knapp 270 000 Einwohnern den achten Platz - noch vor London. Ja, heiß geht es zu, so heiß, dass die Partywilligen selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt halbnackt rumlaufen. „Je kälter es wird, umso weniger haben sie an“, bestätigt die Stadtführerin Jan Williams. Sie steht auf einer der zugigen sieben Brücken, die Newcastle upon Tyne mit der Nachbargemeinde Gateshead verbinden: der Gateshead Millenium Bridge. Auch Williams berichtet vom Wandel und vom neuen Aufschwung der Stadt, die ehemals von der Kohle und vom Schiffsbau lebte. Während böse Zungen behaupten, Newcastle habe, nachdem in den siebziger Jahren die Zechen schlossen, sich auf seine Trinkkultur besonnen und begonnen, diese zur Geldquelle auszubauen, weiß Williams, dass etliche andere Maßnahmen der Stadt halfen, voranzukommen.

Einen Wendepunkt stellte 1990 das Nationale Gartenfestival in Gateshead dar. Dieses gab den Anstoß dazu, dass Newcastle sich kulturell mauserte: Alte Fabrikanlagen wurden zu Museen und Theatern umgewandelt, bei vielen Museen ist der Eintritt frei, und die Stadt wird durch Aktionen wie „A Life after Five“ (Ein Leben nach 17 Uhr) belebt: Die Geschäfte haben länger geöffnet, Parken ist umsonst. Inzwischen ist die Stadt so voll, dass der Aufkleber „Divn’t dunsh us“ eine neue Bedeutung erlangt. Aber schon Marc Knopfler wusste: Ein Geordie ist unerschrocken. „So roll on, Geordie boy, roll“. („Fahre weiter, Junge aus Geordie, fahre weiter“.)


Anreise
Per Schiff: DFDS Seaways bietet eine Minikreuzfahrt von Amsterdam nach Newcastle an. Diese gibt es für zwei Personen in der Seaways-Class-Kabine inklusive Pkw ab 169 Euro: www.dfdsseaways.de.

Per Flugzeug: Von Stuttgart nach Newcastle fliegt man mit British Airways über London (ab 110 Euro, www.britishairways.com ) oder mit KLM Royal Dutch Airlines via Amsterdam oder Paris (ab 160 Euro, www.klm.com ). Von Frankfurt aus fliegen British Airways (ab 154 Euro) oder Air Berlin (ab 157 Euro, jeweils über London). Beide Airlines bieten auch Flüge ab München nach Newcastle an (ab 144 Euro).

Unterkunft
Jurys Inn Newcastle Gateshead Quays, modernes Drei-Sterne-Hotel am Fluss, Doppelzimmer ohne Frühstück ab 97 Euro, www.newcastlehotels.jurysinns.com.

Alternativ: Sleeperz Hotel Newcastle, 15 Westgate Road, modernes Drei-Sterne-Hotel in der Nähe des Bahnhofs, Doppelzimmer ohne Frühstück ab 63 Euro, www.sleeperz.com .

Für Romantiker empfiehlt sich das Hotel Langley Castle in Langley-on-Tyne, Hexham. Gäste wohnen in einer alten Burg oder in den ausgebauten Stallungen, ab 91 Euro ohne Frühstück, www.langleycastle.com.

Allgemeine Informationen
VisitEngland,www.visitengland.com

Sehenswürdigkeiten und Ausflüge
Der Garten des ehemaligen Earl Grey ist einen Besuch wert. Howick Hall and Gardens liegen ca. 60 km nördlich von Newcastle, www.howickhallgardens.org . Sehenswert ist auch Bamburgh Castle in Bamburgh, www.bamburghcastle.com .

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