Natur nur noch durchs Fernsehen“

Der Tierfilmer Andreas Kieling, 54, tourt jetzt wieder mit seiner Multivisionsshow durch Deutschland. Wir sprachen mit ihm über seine Expeditionen.
von  Andrea Weller

Herr Kieling, Sie sind mit Ihrer Multivisionsshow „Mein Leben mit wilden Tieren“ schon zum zweiten Mal auf Deutschlandtournee. Können die Menschen nicht genug bekommen von Tierfilmen?
Ich war selbst davon überrascht, dass wir vergangenes Jahr fast ausschließlich ausverkaufte Hallen hatten. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, die Tour zu wiederholen. Ich glaube, der Erfolg meiner Filme hat zu tun mit einer Sehnsucht der Menschen nach einer gewissen Harmonie, nach Fairness, nach den Gesetzmäßigkeiten der Natur, die erstrebenswert erscheinen. Also nach all dem, was wir in unserem schnellen, hektischen Leben nicht mehr haben. Die Menschen suchen das Gegenstück zu dem, was ihnen der Alltag bietet.

Andererseits ist es doch aber so, dass Tiere eben nicht friedlich sind . . .
Wir alle wissen, es gibt Beutegreifer und Beutetiere. Es war aber schon immer so, dass sich der Mensch gerne in so eine Welt hineinziehen lässt. In dem Moment, wo ein Mensch tatsächlich zum Beispiel mit Grizzlys oder Berg-Gorillas in der Wildnis über Wochen oder sogar Monate zusammenlebt und dann von seinen Erlebnissen authentisch erzählt, geht davon ein großer Reiz aus. Ansonsten nehmen wir echte Natur ja nur noch durch das Medium Fernsehen auf, durch einen Besuch im Zoo, vielleicht bei einer Wanderung oder bestenfalls bei einer Safari, wenn man im Jeep an wilden Tieren vorbeifährt.

Haben Sie ein Lieblingstier?
Nein, das kann man so nicht sagen. Wenn ich mich über eine längere Zeit mit einer Tierart oder auch einem ganzen Lebensraum beschäftige, dann bilden sich aber schon Favoriten heraus. Ich habe zum Beispiel 14 Jahre in Alaska gelebt, da waren es die Grizzlybären. Daher kommt auch mein Name „der Bärenmann“. Den Eisbären habe ich ebenfalls viel zu verdanken, weil sie mich mit meiner Arbeit als Tierfilmer sehr rasch populär gemacht haben. Vor meinem inneren Auge rattern da auch Tiere wie Wüstenelefant, Schneeleopard, Salzwasserkrokodil, Anakonda oder Sibirischer Tiger vorbei. Am stärksten emotional berührt haben mich aber Berg-Gorillas und meine regelmäßigen Aufenthalte im Grenzgebiet von Ruanda, Uganda und Kongo. Sie pendeln sozusagen immer wieder zwischen zwei Welten.

Wie ist das für Sie, wenn Sie nach Monaten in der Wildnis in die Zivilisation zurückkehren?
Als jüngerer Mensch fiel es mir deutlich schwerer, mich im „normalen“ Leben wieder einzugliedern. Das lag vermutlich daran, dass ich meine Arbeit als Tierfilmer mit einer solch unglaublichen Intensität gelebt habe, dass ich aus meinen Expeditionen emotional nur ganz schwer wieder rausgekommen bin. Wenn ich heute einen Ort verlasse, etwa den Amazonas, dann mit einer gewissen Demut und auch Traurigkeit. Aber ich weiß auch, hey, in einem Jahr kannst du wieder hier sein. Da kann ich mich dann schon disziplinieren. Und es liegt ja auch eine gewisse Gefahr darin, dass man „verwildert“, wenn man sich zu lange in der Wildnis aufhält.

Was meinen Sie mit „verwildert“?
Ich habe in den vielen Jahren meiner Arbeit genügend Menschen kennengelernt, die nicht mehr lebenstüchtig genug waren für unsere hier doch sehr hohen Anforderungen. Man führt dort draußen ein sehr einfaches Leben, gerade unter arktischen Bedingungen oder in der Wüste. Das Modernste ist ja eigentlich die Filmkamera. Es gibt zum Beispiel Schlechtwetterperioden, einseitige Ernährung, auch Misserfolge. Und man ist oft einsam, von seiner Familie getrennt - das ist der Preis, den man zahlen muss.

Gibt es ein Gebiet oder einen Lebensraum auf dieser Welt, in dem Sie noch nicht waren und wo Sie sich gerne einmal aufhalten würden?
Nun ja, ich kenne die Antarktis nicht so gut. Aber dafür hatte ich mehr als ein Jahrzehnt Zeit und Gelegenheit, die Arktis intensiv kennenzulernen, so dass ich die Antarktis bisher nicht so richtig vermisst habe. Ansonsten habe ich eigentlich alles auf dieser Welt schon mehr oder weniger gesehen (lacht). Es ist sogar so, dass sich bei mir der Wunsch herausbildet, möglichst oft an die Orte zurückkehren zu können, an denen ich schon war. Bei mir gibt es also eher das Problem, dass ich da wieder und wieder hin möchte . . .

Warum ist das so?
Ich bin auf die Natur und die Tiere nach wie vor sehr neugierig. Das Entscheidende ist die Leidenschaft, die bei mir glücklicherweise noch überhaupt nicht nachgelassen hat, sondern ganz im Gegenteil immer noch zunimmt. Ich interessiere mich auch wieder mehr für Europa und für Deutschland, obwohl ich die exotischen Ziele deshalb nicht außer Acht lasse. Es sind mindestens 70 Jahre, die ich noch bräuchte, um alles machen zu können, was mir so vorschwebt . . .

Woher haben Sie diese Leidenschaft für die Natur?
Die hatte ich schon als Kind. Mit 16 Jahren bin ich aus der ehemaligen DDR geflohen, eine logische Konsequenz meines Fernwehs. Ich wollte nicht mehr eingesperrt sein. Und dann habe ich mein Leben so gelebt, wie ich es bei Jack London, Ernest Hemingway oder Mark Twain gelesen habe - mich haben auch Bücher immer sehr inspiriert.

Andreas Kieling wurde am 4. November 1959 in Gotha geboren. 1976 ist er als 16-Jähriger aus der DDR nach Westdeutschland geflohen. Er hat unter anderem auf verschiedenen Kontinenten als Seemann, Forstwirt und Jäger gearbeitet; ab 1991 Dokumentar- und Tierfilmer; lebt in der Eifel, verheiratet, zwei Söhne. Am Donnerstag, 7. Februar, 20 Uhr, ist Andreas Kieling in der Liederhalle in Stuttgart zu Gast mit seiner Multivisionsshow.

www.kieling-tour.de

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