Moselsteig: Kurven-Reich
Traben-Trarbach - Dekolletierte Damen rekeln sich auf Chaiselongues und zeigen verführerisch viel Bein. Eine hat ihr Kleid so hoch gelüpft, dass schon die Po-Ritze zu erahnen ist. Zu freizügig für Traben-Trarbach. Somit musste die Wiesbadener Malerin Patricia Glass das Wandbild in der Bar des Hotels Bellevue nachbessern und das monierte Hinterteil verhüllen. Die elegante Bar im Pariser Jugendstil wurde vor drei Jahren eröffnet.
Die anderen Räumlichkeiten stammen noch aus der Zeit um 1903. Das Hotel mit dem hohen Erker in Form einer Sektflasche muss damals schon ein Hingucker gewesen sein. Als der Berliner Architekt Bruno Möhring 1898 für den Bau einer Moselbrücke engagiert wurde, fielen weitere Aufträge für ihn ab. Traben-Trarbach war durch Weinhandel wohlhabend geworden. Da leistete sich mancher Großhändler ein repräsentatives Entree, und einigen gefiel der Jugendstil. Darunter die Kellerei Kayser mit dem großen Weindepot am Trarbacher Moselufer schräg gegenüber dem Hotel Bellevue. Heute ist in dem Gebäude aus dem Jahr 1906 ein Buddha-Museum untergebracht.
Das ist tatsächlich mal was anderes im Moselland, wo sonst alles irgendwie mit Wein zu tun hat. Im größten zusammenhängenden Rieslinganbaugebiet der Welt ist das schon Naturgesetz. Wenn man so will, ist auch der Moselsteig neuer Wein in alten Schläuchen. Entlang der 365 km langen Strecke von der deutsch-französischen Grenze bis zur Mündung in den Rhein werden Teile der schon bestehenden Wanderwege miteinander verknüpft. 14-mal wird der neue Fernwanderweg zwischen Perl und Koblenz das Ufer wechseln. Von Bernkastel-Kues bis Zell sind es vier Etappen und 60 Kilometer.
1991 wurde 700-jähriges Bestehen gefeiert
Die Luftlinie ist deutlich kürzer, doch der Moselsteig wird jede Schwingung des mäandernden Flusslaufs mitnehmen. Bernkastel-Kues an der Mittelmosel ist ein Bilderbuchstädtchen mit Fachwerkhäusern, zauberhaften Plätzen und einer prächtigen Burgruine als Krönung. 1991 wurde 700-jähriges Bestehen gefeiert. Doch im Sommer 2012 stellten Archäologen fest, dass Bernkastel viel älter ist. Bei Sanierungsarbeiten an der Burgruine stießen sie auf Reste eines römischen Kastells aus dem 4. Jahrhundert. Für die touristische Vermarktung macht sich ein römisches Etikett gut - wobei der Ort schon jetzt 800 000 Übernachtungen im Jahr zählt und an manchen Tagen von bis zu 30 000 weinseligen Touristen „belagert“ wird.
Es ist leichter, Touristen abzuernten, als 17-mal im Jahr um den Weinstock gehen, sagt man an der Mosel. Fast die Hälfte der etwa 8000 Hektar Rebflächen sind unglaublich arbeitsintensive Steillagen. Zu Beginn der Wanderung brummt ein Hubschrauber im Pflanzenschutzeinsatz über den steilen Doktorweinberg. Zumindest einen Arbeitsgang ersparen sich die Winzer. Wer einen Anteil an der Weinlage Bernkasteler Doctor besitzt, braucht nicht mehr bei allem selbst Hand anzulegen.
Der Boden ist Gold wert, nachdem Boemund II., Kurfürst von Trier, auf der Burg sterbenskrank darniederlag und erst an einem Fässchen Doctorwein genas. Das behauptet die Legende. Tatsache ist, dass der britische König Edward VII. den Wein als Medizin zu sich nahm. Und der süffige Doctor scheint auch bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen geholfen zu haben. Kanzler Adenauer nahm auf der Moskau-Reise 1955 eine Kiste Spätlese als Gastgeschenk mit. Der Weg Richtung Zell führt zunächst durch Wald oberhalb der Weingärten, und erst im Zeltinger Himmelreich - so heißt die hiesige Spitzenlage - begleitet die Mosel den Wanderer. Tief unten tuckern weiße Ausflugsdampfer, die zum Abkürzen verführen. Da bot es sich an, in Kröv das Linienschiff nach Traben-Trarbach zu nehmen.
„Wir soffen uns langsam den Fluss hinab“
Und in Kövenig kam gerade der Zug nach Reil. „Wir soffen uns langsam den Fluss hinab“, schildert Kurt Tucholsky 1930 seine Erfahrungen mit der Moseltalbahn. „Wir fuhren mit dem Saufbähnchen von Trier nach Bulley hinunter . . . dann konnte man auf dem langen Tisch einen naturreinen Mosel trinken . . .“ Die Regionalbahn führt keinen Salonwagen mehr mit sich. Die Fahrt nach Reil dauert auch nur sieben Minuten. Wie sich erweist, hat die idyllische Moselgemeinde die wohl höchste Geburtenrate und die größte Wöchnerinnenstation: Ab Ende März versammeln sich im Dachstuhl der Kirche Maria Heimsuchung bis zu 4000 Große Mausohren (Myotis myotis) zur Aufzucht ihrer Jungen.
Normalerweise haben männliche Fledermäuse keinen Zutritt in die Wochenstube. Doch dieses Quartier ist so groß, dass genug Platz bleibt für eine Männerlounge. Nach Einbruch der Dunkelheit bricht das Jagdfieber aus, und wie eine Rauchfahne steigen die Riesenfledermäuse aus der Dachluke auf, um auf Nahrungssuche zu gehen. Die letzte Etappe nach Zell erfolgt komplett zu Fuß. Zwischen Pünderich und Bullay schnürt die Mosel eine besonders enge Schleife. Von der schmalsten Stelle scheint Bullay nur einen Katzensprung entfernt. Es kommt einem vor, als würden die Bilder rückwärts laufen. Aber wenn man immer dem Lauf des Flusses folgt, werden am Ende die Weinbuckel den rechten Weg weisen.
Anreise
Mit dem Zug nach Koblenz und weiter bis Bullay. Von dort verkehrt die Regionalbahn im Stundentakt nach Traben-Trarbach. Mit dem Auto beim Kreuz Landstuhl auf die A 62 bis Dreieck Nonnweiler und weiter die A 1 Richtung Moseltal.
Unterkunft
Burgblickhotel, Goethestraße 29, 54470 Bernkastel-Kues, DZ/F ab 98 Euro, www.burgblickhotel.de .
Hotel Reiler-Hof, Moselstraße 27, 56861 Reil, DZ/F ab 75 Euro, www.reiler-hof.de .
Hotel Trabener Hof, Bahnstr. 25, 56841 Traben-Trarbach, DZ/F ab 98 Euro, www.trabenerhof.de .
Allgemeine Informationen
Es gibt zahlreiche Wander-Arrangements am Moselsteig, auch für die Strecke von Bernkastel-Kues nach Zell (sechs Übernachtungen ab 354 Euro pro Person). Infos: Mosellandtouristik, Kordelweg 1, 54470 Bernkastel-Kues, Telefon 0 65 31 / 9 73 30, www.mosellandtouristik.de
Der offizielle Wanderführer „Moselsteig“ beschreibt die Gesamtstrecke ausführlich (Preis: 14,95 Euro). Das dreiteilige Karten-Set kostet 14,50 Euro, die Einzelkarte 5,90 Euro. www.moselsteig.de www.moseltourenplaner.de
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