Mit Glamour schöner zelten

Beim "Glamping" verbindet sich unverfälschtes Naturerlebnis mit einem Hauch von Luxus.
von  Jasmin Fischer aus Osbaston

Osbaston - Verkohlte Würstchen vom Lagerfeuer, schmuddeliger Schlafsack und nachts zu Fuß durch die Botanik zum Gemeinschaftsklo? Bloß nicht! Zelten ist doof, sobald man über 30 ist und zugluftfreie Hotels, Föhn und keimfreies Porzellan zum Überleben braucht. Für Warmduscher kommt der Glamping-Trend deshalb genau richtig: Luxuszelte wie im englischen „Refugium Löwenzahn“ locken selbst Zimperliche zurück in die Natur.

Gummistiefel, haben Gastgeber Sharon und John gesagt, die seien schon wichtig fürs Glamping. Das fällt mir wieder ein, als der Zug durch Leicestershire hinauf zu ihrem
Bauernhof schnauft. Schwarze Regenwolken kriechen über den gelben Raps - ein schönes Bild, wenn man sich den Elementen des englischen Landlebens nicht gleich ungeschützt und in Büroschuhen stellen müsste. Von denen besitze ich sehr, sehr viele; Gummistiefel leider keine. Außer Handy, Strickjacke und Schokoladen-Notration habe ich für das exotische Zeltabenteuer nichts eingepackt. Ob das reicht?

Das Zelt ist größer als manche Londoner Wohnung

Kein Wunder, dass das Weichei in mir nervös wird. Glamping, also die Verbindung von Glamour und Camping, ist anders als jede Hotelerfahrung. Das wird schon klar, als Bauer John mich zum Einchecken in einen wunderschön hergerichteten, alten Kuhstall bittet, dann mein mageres Gepäck in eine Schubkarre schwingt und damit durch den Hühnerstau auf die Wiesen hinterm Hof zusteuert. „Gummistiefel stehen übrigens schon am Zelt“, grinst er, längst vertraut mit der untauglichen Garderobenausstattung von Stadtgewächsen. Über Stock und Stein, vorbei an wilden, blauen Hyazinthen am Waldrand geht es, bis der Hof weit hinter uns liegt. In einer stillen Ecke auf seinen Hunderten Hektar Land hat John die Zelte an einem sanften Hügel aufgebaut. Damit beginnt bereits der Luxus: Schiefe Polyesterplane zähmen oder Heringe in schlammigen Grund versenken, das muss hier kein Gast. Das Zelt ist größer als manche Londoner Wohnung, die Einrichtung charmanter als in jedem Hotel.

„Wir wollten ein Interieur mit Atmosphäre schaffen“, sagt Sharon, „einen Mix aus englischem Landhaus und afrikanischem Safarizelt.“ Weiße Stoffhimmel, Holzböden und alte Koffer als Couchtisch sorgen für Gemütlichkeit, ein Kamin für Wärme und ein Grammofon für Ambiente, Old Style. Statt auf einer Isomatte schläft der Glamper auf der Chaiselongue, statt muffiger Gemeinschaftsdusche gibt es eine Badewanne im Zelt.

Für die Technik hat John gesorgt: Hinter jedem Zelt thront ein Boiler, der fließend-warmes Wasser liefert; Holz ist bereits neben dem Ofen gestapelt. Nachdem der Bauer seine tausend Ziegen gemolken hat, übernimmt er auch noch den „Room-Service“: In nostalgischen Emaille-Brätern bringt er dampfenden Fleischeintopf und Gemüse vom Bauernhof ins Zelt - statt Pasta auf Papptellern, der Standarddiät auf Campingplätzen.

„Gerade Kinder lernen hier sehr viel“

Gemütlich ist es auf dem altmodischen Chesterfield-Sofa, das Radio stimmt krächzend ein Klavierkonzert an, die Amseln draußen ihren Abendgesang. Bis das Großstadthirn Alarm schlägt: Es wird dunkel - und Strom gibt es ja nicht. Frisch wird es langsam auch, sehr frisch sogar. Hektisch zünde ich alle Teelichter an, feuere den Kamin nach. Dennoch weht mir am Morgen schon vor dem ersten Hahnenschrei ein kühler Wind um die Nase. Hinter der Ofenklappe grüßt nur ein Häufchen kalte Asche.

Kein Feuer - kein Kaffee, so ganz ohne Camping-Talent geht’s auch beim Glamping nicht. Schlaftrunken stapfe ich zum Hühnerstall, wo sich alle Gäste morgens ihre Frühstückseier holen dürfen. Die Hennen sind gnädig, das Feuer nicht: Das Wasser im Teekessel ist auch nach einer halben Stunde Vollfeuer erst lauwarm. Schlecht für mich - denn ich habe einen Termin: Die Ziegenbauern haben zum Hofrundgang eingeladen.

In der fünften Generation schon führt John das Osbaston House, und wie viele Landwirte seiner Generation wird er keinen Nachfolger mehr haben. Was die Tiere brauchen, warum Soja ihn so teuer kommt und wie Supermärkte den Preiskrieg kämpfen, all das erfährt man bei ihm aus erster Hand. „Gerade Kinder lernen hier viel“, sagt er, „zum Beispiel, dass Eier nicht aus dem Karton kommen. Dass die Henne nur legt, wenn man sie nicht hetzt. Und dass der Fuchs die Hennen reißt, wenn sie abends keiner ins Hühnerhaus bringt.“ Die Mitbewohner auf dem Hof - Waschbären, Hummeln und Eulen - hütet John mit Akribie. Er pflegt Hecken für Vögel, bremst im Dorf für die Fasane und sieht die Landwirte als letzte Bewahrer des englischen Naturidylls.
Zweimal am Tag muss John seine Ziegen melken - die Gäste werden gleich in die Routine integriert.

Neben dem Trampelpfad hinunter zur Dorfkneipe bleibt dies das aufregendste Highlight im Glamping-Alltag. Zum Glück. „Die meisten, die hier ankommen, sind einfach nur gestresst und gereizt“, weiß Sharon Earp. Die Abgeschiedenheit im Zelt wirke wie eine Kur. Der Tipp vom „Refugium Löwenzahn“ spricht sich herum: Promis wissen die Privatsphäre auf den Feldern der Earps zu schätzen, naturverbundene Paare buchen die Luxuszelte als Honeymoon-Ziel. Andere haben in der Wirtschaftskrise schlicht kein Geld, um Flugtickets für die Familie zu kaufen - und entdecken beim Glamping lang vergessene Kindheitsgefühle und Heimat neu.


Anreise
Ab Stuttgart mit Germanwings oder British Airways zu einem der vier Londoner Flughäfen und von dort mit dem Zug weiter. Regelmäßige Verbindungen nach Nuneaton, dem nahesten Bahnhof an der Ziegenfarm, gibt es von der Station London-Euston. Die Fahrt dauert rund 70 Minuten. Alternative: Mit Flybe von Stuttgart nach Birmingham fliegen. Die Zugfahrt von Birmingham New Street nach Nuneaton dauert 30 Minuten. Gäste werden vom Bahnhof abgeholt. Zugfahrpläne gibt es hier: www.nationalrail.co.uk.

Glamping im Königreich
Kontakt: Die Zelte auf der Osbaston House Farm bei John und Sharon Earp sind buchbar über www.thedandelionhideaway.co.uk. Ab 300 Euro für vier Wochentage. Der nächste Ort ist Market Bosworth. „Bluebells“ ist für zwei Personen ausgelegt, die anderen Zelte für Familien haben Platz für bis zu sechs Personen. In Somerset werden Zigeunerwagen auf einer Obstwiese vermietet: www.gypsycaravanbreaks.co.uk. Echte, edel möblierte Tipis gibt’s auch in Oxfordshire: www.turkeycreek.co.uk.

Auf den Websites www.canopyandstars.co.uk und www.featherdown.co.uk gibt’s noch mehr Auswahl.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sollten Sie für den Glamping-Urlaub warme Pyjamas, Pantoffeln und Strickjacken einpacken.

Auf keinen Fall mitnehmen, was einen Stecker hat und schon im Alltag nervt - Handys, Laptops, Nintendo-Spiele. In den Zelten gibt es keinen Strom und nur schwachen Handyempfang. E-Junkies finden Rettung an der Handyladestation im alten Kuhstall.

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