Malmö: Der Countdown läuft

Am 18. Mai wird in Malmö das Finale des 58. Eurovision Song Contest ausgetragen, doch die Musik ist schon längst da - ein Streifzug.
Anja Rützel aus Malmö |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Malmö - Die Frau auf der Bühne stampft, als stünde sie im Traubenzuber. Es ist die Sängerin von Organza Trailerpark. Ihr pinkfarbenes Outfit umflattert sie glitzer ig, während sie sich durch ihre Songs röhrt. Die Band St. Andreas setzt danach auf feinsten Abba-Harmoniegesang. Und zum Abschluss lamentiert sich Adam Evald zu Cello, Violine und Piano herzzerreißend durch Ertränkungsfantasien, seine Partnerin betreffend. Schauplatz des ganzen: eine Kirche, die jetzt ein Veranstaltungsort ist und „Babel“ heißt. Ein ganz normaler Konzertabend in Malmö. Im Mai kommt der Eurovision Song Contest in Schwedens drittgrößte Stadt, doch die Musik ist längst schon da.

Im Jahr 2000 wurde Malmö zur „Pop City of the Year“ gekürt - als hätte es eines solchen Titels noch bedurft. Jedes Jahr findet hier das Malmö Festival statt, die älteste und größte derartige Veranstaltung in Schweden, und auch die übrige Zeit erklingt in der Stadt eine vielschichtige Musikszene. Allerdings liegt der letzte große internationale Erfolg schon eine Weile zurück: Mitte der Neunziger überstäubten die Cardigans von Malmö aus die ganze Welt mit Zucker-Pop. Warum es im kleinen Malmö - 300 000 Menschen leben hier - mehr Bands gibt als im Rest des Landes, dazu gibt es verschiedene Theorien. Vielleicht war es die Brücke, die 2000 über den Øresund geschlagen wurde - seitdem ist das Zentrum von Kopenhagen nur noch eine gute halbe Stunde mit dem Zug entfernt. Oder es hat mit der Universität zu tun, die 1998 gegründet wurde und junge Nachwuchsmusiker anzieht. Vielleicht aber liegt es auch einfach an der Falafel. „In Malmö sind Falafel so billig wie nirgendwo sonst“, sagt Albin Johansson.

Public Viewing zum Eurovision Song Contest

„Davon kann man sich auch als armer Musiker schon mal ein paar Wochen ernähren. Das ist in ganz Skandinavien bekannt.“ Albin muss es wissen, er spielt neben seinem eigenen Projekt Pal noch in vier anderen Bands und arbeitet außerdem als Mietmusiker in einem Aufnahmestudio. Jetzt sitzt er in seinem Lieblingscafé Solde, ganz in der Nähe von Gustav Adolfs Torg, dem großen Platz mitten im Zentrum, wo sich am 18. Mai die Eurovision-Fans beim Public Viewing drängeln werden. Im Solde duftet es nach Kaffeebohnen. Ein Plattenspieler steht bereit, auf den die Gäste das Vinyl ihrer Wahl legen dürfen. Albin erzählt von seiner ersten Band, mit der er Nirvana-Songs nachspielte.

13 Jahre war er da und lebte in einem Dorf. Nach Malmö kam er, um Jazzpiano zu studieren. Er blieb wegen der Musik. Und wegen der Falafel - natürlich. „Die besten Kichererbsenbällchen“, sagt Albin, „gibt es bei Falafel Number One, einem kleinen Imbiss im Stadtteil Möllevången.“ Möllevången war einst Malmös erstes geplantes Wohnviertel für die Arbeiterklasse. Heute ist es Malmös Multikulti-Ecke und eine beliebte Wohnadresse für Musiker, Künstler und Studenten - auch wenn die Mietpreise inzwischen tüchtig angezogen haben. In den kleinen Straßen rund um den Möllevångstorget, den meist einfach kurz „Möllan“ genannten zentralen Platz des Viertels, drängt sich eine Falafel-Bude an die nächste. Es gibt aber auch afrikanische Imbisse, chinesische Import-Export-Läden und arabische Teestuben. Gut hierher passt auch das Café Glassfabriken, eine Alternativbutze wie aus dem Bilderbuch: mit Rastalocken-Thekenkraft und abgerocktem Flohmarkt-Mobiliar.

Je tiefer man in das einstiges Arbeiterviertel hineinspaziert, desto ferner scheint die Puppenstubengemütlichkeit der Innenstadt. Die Häuser werden schrundiger, die Beine der entgegenkommenden jungen Trendmenschen dünner. Hier und da hört man Musik, alle möglichen Stile und Professionalitätsgrade dringen durch gekippte Fenster oder marode Fugen. Einen Proberaum zu finden, sei in Malmö nicht schwer, hatte Albin erzählt. Die Stadt bietet auch finanzielle Förderung. Schließlich passt die junge, lebendige Musikszene gut zum neuen Malmö. Nach dem Niedergang der Schiffsbauindustrie und der Werftenkrise der 1970er Jahre war die Stadt bis in die 1990 Jahre von hohen Arbeitslosenquoten gebeutelt. Nun will man sich als kulturelles Zentrum neu erfinden. Ein Minizentrum der Malmöer Musikkultur ist der Plattenladen Rundgång, klein und ausgesprochen gut sortiert - selbst das neueste Album obskurer Stuttgarter Punkbands hat Besitzer Dennis Lood vorrätig.

Eine große Punkszene mit vielen Hardcorebands

Seit einiger Zeit betreibt er auch sein eigenes Musiklabel: Psychic Malmö. „Wir würden hier nie selbst von einer speziellen Malmö-Szene sprechen“, sagt er, „aber die Leute in Stockholm, Göteborg oder Kopenhagen tun das.“ Anders als die Musik der Cardigans und der Bands, die in ihrem Dunstkreis entstanden, klingt der aktuelle Malmö-Sound nicht so fluffig, als würden flauschige Tierchen mit großen Augen die Instrumente bedienen. Ungefähr seit 2008 geht es hier eher in Richtung Kraut und Psychedelic, aber es gibt auch sehr gute Electronic-Sachen. Und eine große Punkszene mit vielen Hardcorebands. „Hier, das neue Album von This is Head, das musst du haben, und MF/MB.“

Den meisten Umsatz, sagt Dennis, mache er mit Platten lokaler Bands. Viele Musiker hätten sich in seinem Laden kennengelernt, natürlich kennt er auch Albin. Bevor es zurückgeht in die putzige Innenstadt, zum Abschied von Möllevången noch schnell eine Falafel, selbstverständlich bei Falafel Nummer One. Und wieder haben drei von sieben Leuten in der Warteschlange einen Gitarrenkoffer dabei.


Anreise
Scandinavian Airlines fliegt von Stuttgart nach Kopenhagen, ca. 400 Euro, www.scandinavian.airline-direct.de . Von Frankfurt aus mit Lufthansa, ca. 260 Euro, www.lufthansa.de. Von Kopenhagen mit der S-Bahn in 20 Minuten nach Malmö.

Von Travemünde und Rostock aus ist eine Überfahrt nach Schweden per Fähre möglich, ab 79 Euro (Travemünde) bzw. 99 Euro (Rostock) für fünf Personen mit Pkw, www.ttline.com. Anlegehafen ist Trelleborg. Von dort aus erreichen Reisende Malmö in 30 Autominuten.

Unterkunft
Scandic Hotel Triangeln, Triangeln 2, DZ ab 240 Euro, www.scandichotels.com .

The More Hotel, Norra Skolgatan 24, DZ ab 190 Euro, www.themorehotel.se.

Eurovision
Der Eurovision Song Contest wird in der Malmö Arena, malmoarena.com , ausgetragen. Wer keine Karten für die Veranstaltung bekommt, der kann die Show beim Public Viewing im Eurovision Village (Gustav Adolfs Torg, über www.eurovision.tv ) anschauen und bei den Aftershow-Partys im Club Slagthuset, www.slagthus.se , mit den Künstlern feiern oder im Moorish Pavilion im Folkets Park Eurovisions-Karaoke singen.

Sehenswürdigkeiten/Ausflüge
Lohnend ist ein Ausflug in die charmante Universitätsstadt Lund, nur 17 Kilometer entfernt und bequem mit dem Zug zu erreichen.

Allgemeine Informationen
VisitSweden, Stortorget 2-4, SE-831 30 Östersund, Schweden, aus Deutschland zum Ortstarif anrufen unter Tel. 069 / 22 22 34 96, www.visitsweden.com.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.