Las Vegas im Schimanski-Land

Oberhausen - Mit Industrie-Nostalgie, Musicals und Deutschlands größtem Einkaufszentrum hat sich Oberhausen zum Touristen-Magneten gemausert
Von Weitem glitzern die Lichter fast wie Sterne. Doch was einem am nächtlichen Himmel wie das Firmament vorkommt, entpuppt sich als ein gigantisches Industrieobjekt – der Gasometer. Die Oberhausener entwickeln zu ihrem "Riesentopf", 117 Meter hoch und 1929 fertiggestellt, inzwischen eine ähnliche Liebe wie die Pariser für ihren Eiffelturm. Welche Magie der Gasometer innen entfaltet, lässt sich mit einem orientalischen Tempel vergleichen. Das Licht, das durch die Kuppellücken durchsickert, zaubert mystisch-geisterhafte Stimmung in das Innere. Popstar Anastacia präsentierte hier ihre Modekollektion, und Top-Modell Linda Evangelista soll hier sogar ihren Diamantenohrring verloren haben. Die Geschichte über diesen Schatz des Gasometers lässt manchen Besucher gebückt im Dunkeln umherwandeln, in der Hoffnung, das funkelnde Juwel zu finden.
Ein rüpelhafter Kommissar schadet dem Image
Trotz des Star-Glamours im Gasometer - einer der Stars ramponiert seinen neuen Ruf schon seit langem: "Schimanski!", schimpft Axel Biermann. "Der trinkt in einer einzigen Krimifolge dreißig Dosen Bier. So ein Tatort betoniert die Vorurteile von biersaufenden Prols im Pott weiter." Der rüpelharte Götz George also macht Axel Biermanns Arbeit als Leiter des PR-Teams kaputt, das für Oberhausen ein neues Image schmiedet.
Ein Haufen Spinner belebt sterbenden Industriekessel
Dabei hat die ehemalige Eisenstadt überraschend viele neue und interessante Gesichter. Der Einstieg ins Feuilleton wurde schon vor knapp 35 Jahren geschafft. "Einem Haufen Spinner gelang es damals, mitten in einem sterbenden Industriekessel die Oberhausener Kurzfilmtage ins Leben zu rufen", erinnert Biermann. Wenngleich die Sparte Kurzfilm kaum mehr existiert, gibt es die Festspiele immer noch. Man stellt sich dafür flexibel auf Video-Clips und digitale Experimente um, und zeigt jeweils im April, wohin zum Beispiel der Trend im Internet-Kino geht.
Europas größtes Einkaufszentrum
Der endgültige Umbruch von der Industrieproduktion zum Konsumgenuss wurde 1996 eingeläutet. Auf dem ehemaligen Gelände der Hochöfen und Gießereien entstand Europas größtes Einkaufszentrum – das so genannte Centro, in der Werbung auch mit großem "O" am Ende geschrieben. Der kollektive Umzug in eine künstliche Welt gelang dank grenzenloser Lust am Einkaufen schnell. Die Lösung fruchtet. Welche Probleme das Ruhrgebiet mit dem Strukturwandel auch haben mag, im Centro trifft man auf auffallend glücklich strahlende Menschen. 23 Millionen sind es jährlich. Sechs Millionen davon kommen aus den benachbarten Beneluxländern.
Auf der Promenade ist globales Schlemmen angesagt
Steaks, Pizza, Pasta, Gyros und Tacos – die Auswahl ist groß. Italienische Eiscafés wechseln mit irischen Pubs und karibischen Cocktailbars. In dem Brauhaus Zeche Jacobi wird ein Bier gebraut, das man nur hier trinken kann - und wer Panhas nicht probiert, der war noch nie im Pott: Das deftige Regionalgericht aus Hackfleisch, Blutwurst und Buchweizenmehl wird mit süßem Rübenkraut serviert.
Das größte Zirkuszelt auf deutschem Boden
Mehr als 150000 Besucher zählt das Reich der Rochen und Haie im Sea Life Oberhausen - ein buntes Aquarium mit inzwischen weltweit 30 Filialen von London bis Sydney. Diese Quote überzeuge auch das Management des Cirque de Soleil, die Deutschland-Tournee der neuen Produktion "Varekei" in Oberhausen zu starten - im bisher größten Zirkuszelt, das jemals auf deutschem Boden aufgeschlagen wurde. Die "Blue Man Group", wie der Cirque de Soleil ebenfalls aus Las Vegas, gastierte im Metronom Theater. Seit Dezember nun wird dort Polanskis blutiges Gruselmusical "Tanz der Vampire" gespielt
Wo Vergangenheit lebendig wird
Das Publikumsinteresse für ein Premium-Produkt, wie das Rheinische Industriemuseum bezeichnet wird, muss allerdings erst geweckt werden. Ein Gelände, auf dem sich einst das Herzstück der Stahlindustrie im Ruhrgebiet ausbreitete. Die Krupp-Ringe stehen auf Lastern, Maschinen und Kanonen als Exponate, in einer Halle mit 5000 Quadratmetern versammelt. Welch nachhaltiges Erlebnis so ein Rückblick auf die deutsche Geschichte bereitet, spricht sich allerdings nur schleppend rum. An dem Tag, an dem Axel Biermann eine Presseführung mit geladenen Journalisten leitete, wurden nur fünfzehn zahlende Besucher gezählt. Doch auch solch eine magere Bilanz bewertet man optimistisch: "So individuell kann man sich auf keinem Alpengipfel fühlen."
Miniwelt auf Schienen
Die Modelleisenbahnwelt feierte kürzlich die Einweihung der neuen Station Oberhausen. In der originalgetreuen Nachbildung der Rhein-Ruhr-Szenerie rattern fast 3000 Loks und Wagons über ein Schienenlabyrinth von fünf Kilometern Länge. Die Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Christa Thoben, lobte die Bahn als eine "wirtschaftliche Hochgeschwindigkeitsstrecke", so begeistert war sie. Zwar wächst hinter der Halle mit den Minizügen ein echter Yachthafen. Auch die Anzahl der Tennisplätze nebenan soll sich verdoppeln. Aber noch ist Oberhausen in der Pro-Kopf-Statistik die am höchsten verschuldete Kommune Deutschlands.
Europas Kulturhauptstadt 2010
Umso erwartungsvoller blickt man auf das Jahr 2010, wenn Oberhausen und sein Umkreis mit insgesamt 53 Schauplätzen zu Europas Kulturnabel wird. Und da will man noch eine Überraschung aus dem Hut zaubern: Im Ortsteil Sterkrade sind schon die alten Ziegelfundamente der Hütte "Gute Hoffnung" freigelegt. 1758, da war Mozart gerade zwei Jahre alt, wurde hier das erste Wieseneisenerz in Deutschland geschmolzen. Der Rohstoff lag unter dem Rasen in Knollen wie Kartoffeln. Den Acker oberflächig umzupflügen genügte, um reich zu werden. Bis 2010 wird dieses historische Feld von einem tollkühn in der Luft schwebenden Stahldach überspannt, dessen Entwurf aus einem Architektenwettbewerb hervorging. Axel Biermann: "Für Amerikaner, Chinesen und Koreaner sind die alten Hochöfen-, Schmelz- und Walzbetriebe die Burgen der industriellen Gründerzeit - und als solche fast allein eine Reise wert." Da könnte sich doch noch ein altes Sprichwort aus der Region bewahrheiten: "Irgendwo steckt in jedem Stück Stahl ein Goldkorn."
Die Highlights auf einen Blick
Das Shoppingzentrum Centro verfügt über 14000 kostenlose Parkplätze. Bis 30. Dezember extra lange Öffnungszeiten von 10-22 Uhr, Heiligabend und Silvester von 10-13 Uhr geöffnet, www.centro.de. Das Gasometer, das Wahrzeichen der Stadt Oberhausen, lockte bisher drei Millionen Besucher an, www.gasometer.de. Das Rheinisches Industriemuseum ist Mo-Fr von 8-18 Uhr, Sa, So und an Feiertagen von 10-15 Uhr geöffnet, Info-Tel. 01805/743465 (0,14 Euro/Min.), www.rim.lvr.de; Im Metronom Theater geht bis April 2009 der "Tanz der Vampire" über die Bühne, Ticket-Hotline 01804/4444(0,14 Euro/Min.), www.stage-entertainment.de; Die Geschichte des Ruhrgebietes im Modell erleben können Besucher des MWO, www.modellbahnwelt-oberhausen.de; Allgemeine Auskunft: Oberhausen Tourismus & Marketing, Tourist Information, Willy-Brandt-Platz 2, 46045 Oberhausen, Tel. 0208/824570, www.oberhausen-tourismus.de
Thomas Veszelits