Kunststücke am Grill

Buenos Aires - Wo könnte man besser Fleisch essen als in einer echten argentinischen Parilla? Ricardo Martínez ist Asador, Grillmeister in einem der traditionellen Fleischlokale in Buenos Aires. Kaum einer gart das Fleisch so gefühlvoll über den Kohlen wie er.
Er hat Nierchen liebkost, Rinderrücken gewalkt und Lenden massiert. Er hat Filetsteaks, Rippensteaks und Rumpsteaks gegrillt. Er hat Nuss, Blatt, Kamm, Keule, Hals und Hoden zubereitet wie kaum ein anderer. Er hat sie nicht auf tausend, sondern immer auf eine und die gleiche Weise gemacht: Erst hat er das Fleisch vorsichtig mit dem Messer zerteilt, dann hat er es mit grobem Salz bestreut und schließlich langsam über den glühenden Holzkohlen gegart.
Am Tag hat er 150 Kilogramm Fleisch zubereitet, mehr als 1000 in der Woche. Er hat 4200 Kilo im Monat oder 50400 im Jahr gegrillt. Rechnet man das auf die 25 Jahre um, die er bereits am Grill steht, dann hat er in seinem Leben 260000 Kilo Fleisch gebraten. Kaum einer gart das Fleisch so gefühlvoll über den Kohlen wie er. Er gart es, bis es innen saftig rot ist und doch noch ein bisschen blutig, ganz so, wie seine Gäste im Barrio Norte es lieben, und wie sie es an kaum einem anderen Platz in Buenos Aires bekommen.
"Die Glut", sagt Martínez, "die Glut ist das Wichtigste"
Ricardo Martínez ist Asador, Grillmeister, in der Parilla Peña, einem jener traditionellen Fleischlokale, die dem Passanten von außen kaum auffallen und die auch von innen nur durch das überzeugen, was auf den Teller kommt. Kein unnötiger Schnickschnack an den Wänden, keine feinen Tischdecken, keine Samtvorhänge und keine livrierten Kellner. Die Parilla Peña ist der Inbegriff eines einfachen Arbeiterlokals. Seit 25 Jahren besitzt Martínez das Restaurant nahe der Kreuzung der Straßen Rodriguez Peña und Viamonte gemeinsam mit einem Freund. Seit einem Viertel Jahrhundert empfangen beide dort tagein, tagaus ihre Gäste. Und immer geht Martínez mit der selben Gelassenheit ans Werk. Morgens um zehn zieht er seine Schürze über und hält ein Schwätzchen mit den Angestellten. Dann wetzt er die Messer. Sind alle scharf genug, kümmert er sich um die Glut. "Die Glut", sagt Martínez, "die Glut ist das Wichtigste". Die Steaks können noch so fein sein, die Rippchen noch so zart, die Keulen noch so saftig. "Niemals werden sie etwas ohne die richtige Glut."
Auch in Zeiten, in denen die Lehren gesunder Ernährung die Welt im Sturm erobern, ist Argentinien noch ein fleischverrücktes Land. Zwar sind die Jahre vorbei, in denen ein durchschnittlicher Argentinier etwa 100 Kilogramm Rindfleisch pro Jahr verdrückte. Bis heute bringt es der normal genährte Einheimische aber immer noch auf mehr als 60 Kilo pro Jahr – beinahe fünfmal so viel wie ein Deutscher. "Natürlich haben wir gemerkt, dass die Leute weniger Fett essen", weiß Martínez. Früher seien auch cholesterinreiche Gerichte wie Ossobuco, Kalbshaxe, gut konsumiert worden. Heute essen sie lieber Lomo, Filet, und Colita de cuadril, ein feines Stück von der Hüfte. "Trotzdem", sagt Martínez, "geht kaum ein Gast unter 400 Gramm Fleisch bei uns raus".
Fleisch kommt in den Parillas von Buenos Aires schmucklos daher
Es ist vor allem die Ernährung der argentinischen Kühe, die ihr Fleisch so geschmackvoll macht. "Kein Tiermehl, keine Hormone. Hier ernährt sich ein Rind von seiner Geburt bis zum Bolzenschuss nur von Grünzeug", sagt Martínez. Doch auch die Zubereitung spielt eine große Rolle. Zwar kommt das Fleisch in den Parillas von Buenos Aires für europäische Augen beinahe schmucklos daher. In der Parilla Peña ist das nicht anders als im exklusiven La Cabaña ein paar Straßen weiter oder im viel frequentierten La Estancia: Auf dem Teller liegt meist ein riesiges Stück Fleisch, daneben steht ein Schüsselchen Salat. Das war's. Dafür schmeckt es beinahe unerhört gut. Da ist es auch fast gleich, was man bestellt. Ob man wie die meisten Touristen bei Martínez die feinen Teile vom Rind wie Bife de lomo, Filetsteak, Bife de chorizo, Rumpsteak, und Ojo de bife, Ribeye, vorzieht. Oder, ob man wie viele Einheimische zu Tira de asado, Rippenstücken mit Knochen, Matambre, Kalbsbauch, oder Mondongo, Rindermagen, greift.
Die Zauberformel eines jeden guten Asadors heißt Geduld. Mit gravitätischer Ruhe präpariert Martínez zunächst den Grill. Ist die Glut soweit, glüht sie hellrosa und ist die erste große Hitze gewichen, verteilt er sie flach unter dem Grill. Später lässt er ein paar Körner grobes Salz auf das Fleisch rieseln und legt es vorsichtig auf das Feuer. Dann wird gewartet, gewartet und gewartet. Grillen in Argentinien ist keine schnelle Angelegenheit, sondern ein Ritual. Eine kultische Handlung, bei der das Ziel nur eines ist: Das Fleisch muss zart bleiben. Dafür tut der Grillmeister alles. Mit Hingabe blickt Martínez die Fleischberge auf dem Feuer an, legt mal an diesem Ende, mal an jedem Ende ein Stück Glut nach. Nur eines tut er nicht: Niemals sticht er sein Fleisch mit dem Messer an, um zu sehen, ob es gar ist. "Das Fleisch muss intakt auf den Teller kommen, mit all seinen Säften, all seinem Geschmack", sagt er. Wann das Fleisch fertig sei, beurteile der Asador nur an seinem Äußeren. "Man sieht es und weiß Bescheid."
Ein Argentinier isst rund 100 Kilogramm Fleisch pro Jahr
Ricardo Martínez hat in den 25 Jahren, in denen er im Geschäft ist, viel erlebt. Er hat Anwälte zu Gast gehabt, Doktoren und Politiker. Er hat Regierungen kommen und gehen sehen. Er hat sie alle miterlebt, die Aufs und Abs Argentiniens: den Aufschwung der Neunziger und den tiefen Fall nach der Wirtschaftskrise 2001. Er hat den BSE-Skandal in Europa miterlebt, der die Fleischexporte Argentiniens binnen weniger Monate fast auf den Nullpunkt brachte. Er hat das Comeback miterlebt, als kurze Zeit später alle Welt nach argentinischem, weil BSE-freiem Rindfleisch fragte. Er hat miterlebt, wie aufgrund der hohen Nachfrage auf dem Weltmarkt im fleischverrückten Argentinien das Fleisch knapp wurde, die Regierung 2006 für einige Monate beinahe einen kompletten Exportstopp erließ, um die Versorgung der Argentinier zu sichern. Kurzum: Er hat fast alles gesehen, was sein Land in den vergangenen sechseinhalb Jahrzehnten erlebt hat. Doch eigentlich hat er immer nur eins gemacht: Er hat Fleisch gegrillt.
Seine Gäste sagen, Martínez sei einer der besten Grillmeister weit und breit. Er selbst ist bescheiden. Und doch selbstbewusst. Noch nie sei eine Klage gekommen, sagt er, noch nie habe es einem Gast in seinem Lokal nicht geschmeckt. Zumindest könne er sich nicht mehr daran erinnern. Manchmal sei den Leuten das Fleisch etwas zu rot, dann bekämen sie ein neues Stück. Aber dass es jemandem gar nicht geschmeckt habe, komme selten vor. Nur einmal, erinnert sich Martínez, einmal sei da ein Mann gewesen, ein Amerikaner, glaubt er, dem es überhaupt nicht gemundet habe. Ohne zu wissen, was es ist, habe der Gast blind ein Gericht von der Karte bestellt: Chinchulín, Innereien. Doch den Teller habe die Küche unberührt zurückbekommen. Alles sei noch darauf gewesen: die Außenhaut, die Füllung, ja selbst die Blutwurst, die gewöhnlich dazu serviert wird. Martínez wurde nicht missmutig, nicht zornig, er war nur verwundert. Erst später, beim Zahlen, habe sich herausgestellt, dass es nicht um die Qualität der Speise ging, sondern um das große Ganze an sich. "Der Mann", sagt Martínez, "der Mann war Vegetarier".
Fabian von Poser
Alle Reiseinfos zu Buenos Aires
Anreise: Lufthansa, Iberia und die argentinische Gesellschaft Aerolíneas Argentinas fliegen Buenos Aires ab 800 Euro an. Der Flug dauert etwa 13 Stunden.
Beste Reisezeit: Ganzjährig. Im Dezember und Januar kann es in der Stadt allerdings sehr heiß werden.
Fleischlokale: Die Parilla Peña befindet sich in der Calle Rodriguez Peña 682 zwischen den Straßen Viamonte und Tucumán, Tel. 0054/11/43715643. Tischreservierungen sind nicht möglich. Ein ganzes Stück touristischer ist La Estancia in der Calle Lavalle 941, Tel. 0054/11/43260330, E-Mail: asadorlaestancia@infovia.com.ar, Internet: www.asadorlaestancia.com.ar. Dafür kommen hier mit die größten Steaks der Stadt auf den Tisch. Zu bestimmten Zeiten gibt es abends auch Tangovorführungen. Eines der besten, aber auch teuersten Fleischlokale in Buenos Aires ist La Cabaña, Rodriguez Peña 1967, Tel. 0054/11/48140001, E-Mail: info@lacabanabuenosaires.com.ar, Internet: lacabana.orient-express.com. Eine große Auswahl weiterer typischer Parillas findet sich auf der Internetseite der Stadt Buenos Aires unter www.bue.gov.ar.
Veranstalter: Individuelle Touren nach Buenos Aires schnüren Argentum Travel, Tillmanns Kamp 27a, 59757 Arnsberg, Tel. 02932/9319734, Fax 9319735, E-Mail: info@argentum-travel.de, Internet: www.argentum-travel.de, und Wendy-Pampa-Tours, Oberer Haldenweg 4, 88696 Owingen-Billafingen, Tel. 07557/929374, Fax 929376, E-Mail: wendy-pampa-tours@t-online.de, Internet: www.wendy-pampa-tours.de. Städtetouren durch Buenos Aires befindet sich auch in den Programmen von Studiosus, Gebeco, Dertour und Meier's Weltreisen. Buchtipp: Vom Autor ist soeben der Band "Straßentango mit dem Fußballgott. Argentinische Rituale" erschienen (Picus Verlag, Wien, 148 Seiten, ISBN 978-3-85452-949-1, 14,90 Euro). Auskunft: Botschaft der Republik Argentinien, Abteilung Tourismus, Kleiststr. 23-26, 10787 Berlin, Tel. 030/22668920, Fax 2291400, E-Mail: info@argentinische-botschaft.de, Internet: www.argentinische-botschaft.de Der Autor reiste auf eigene Kosten ohne die Unterstützung von Reiseveranstaltern oder Fremdenverkehrsämtern.