Kilimandscharo: Überm Wolkenmeer

Der höchste Berg Afrikas ist das Ziel für Wanderer. Gute Beine allein genügen allerdings nicht.
Jürgen Bock aus Arusha |
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Arusha - Ein merkwürdiger Film läuft ab. In tiefschwarzer Nacht bewegt man sich wie in Trance bergauf. Schritt für Schritt, immer weiter einen dunklen Schutthang hinauf, dessen Ende man nicht abschätzen kann. Die Lichter Dutzender Stirnlampen tanzen als kleine helle Pünktchen vor und hinter einem auf demselben steilen Pfad. Der Äquator ist nicht weit, doch die Luft beißt eisig in den Lungen. Der Atem geht immer schwerer, die Schläfen hämmern in der dünnen Luft, die Schritte sind wacklig, und der Kopf sagt, dass das alles nicht real sein kann. Der Blick auf die Uhr holt einen in die Wirklichkeit zurück: Es ist kurz nach Mitternacht und der 5895 Meter hohe Gipfel des Kilimandscharo noch unendlich scheinende sechs Aufstiegsstunden entfernt. Wohin der Weg führt, haben wir schon lange vor Augen. Seit wir vor vier Tagen am Eingang zum Nationalpark losmarschiert sind, begleitet uns die Sicht auf den gletscher­bepackten Gipfel.

Inzwischen werben etwa 2000 Bergführer um die Besucher

Kaum haben wir den feuchten Regenwald mit seinen Affen, Flechten und Baumriesen hinter uns gelassen, leuchtet er uns entgegen. So weit oben, wie es sich für diesen mächtigen Vulkan, den höchsten frei stehenden Berg der Erde, gehört. Faszinierend und respekteinflößend zugleich. Auf der Machame-Route, die sich in kräftigem Auf und Ab dem Krater nähert und den Berg dabei zur Hälfte umrundet, sind wir nicht allein. Nicht nur, weil Dutzende andere Wanderer auf derselben Strecke unterwegs sind. Nein, wer hier hinaufwill, erlebt ein für Europäer ungewohntes Schauspiel. Diverse Träger, ein einheimischer Bergführer und ein Koch begleiten jede Gruppe. Die Träger rennen mit ihrem eigenen Rucksack sowie Lebensmitteln, Zelten oder dem Gepäck der Touristen auf dem Kopf den Berg hinauf. Etwa 30 Kilogramm trägt jeder von ihnen. „Früher waren es 45 Kilo“, sagt Hosea, unser Führer, der selbst einstmals Träger gewesen ist. Inzwischen hat er sich hoch­gearbeitet. Zwei- bis dreimal pro Monat bringt er Wanderer zum Kilimandscharo. Seine ganze Familie lebt davon. Doch das Geschäft wird härter. Inzwischen werben etwa 2000 Bergführer um die Besucher. „Hakuna matata“, sagt Hosea dennoch auf Swahili und lächelt. „Kein Stress“ - die Grundeinstellung in Tansania.

Es kommt, wie es soll. Nur wenn wir zu schnell gehen, bremst Hosea mit spürbarer Nervosität. „Pole pole“, sagt er. Langsam. Das ist der Schlüssel zu Anstieg und Höhenanpassung. So erreichen wir das erste Lager, das zweite, das dritte. Unterwegs rennen die Träger an uns vorbei. „Pole pole“, rufen sie uns zu und lachen. Im Camp haben sie bereits die Zelte aufgebaut und gekocht, bis wir eintreffen. Sie selbst essen nur Polenta. „Unser Nationalgericht. Das macht uns stark“, sagt Hosea. Wenn um 19 Uhr die Sonne untergeht, wird es schlagartig eiskalt. Alle ziehen sich bis zum nächsten Morgen in die Schlafsäcke zurück. Darüber leuchten die Sterne von einem unfassbar klaren Himmel. Am vierten Tag ist der gemütliche Teil des Anstiegs endgültig vorbei. Über eine steile Wand klettert man nach oben. Die endlose Karawane der Träger hastet mit ihren Paketen auf den Köpfen zwischen den schnaufenden Wanderern hindurch. Die ersten Leute müssen umkehren. Einer hat Wasser in der Lunge und steigt mit einem Begleiter ins Tal ab. Andere müssen mit Engelszungen überzeugt werden, dass es besser für sie ist, nicht weiterzugehen. Der russische Milliardär Roman Abramowitsch, Besitzer des englischen Fußballclubs FC Chelsea, hat das vor einigen Jahren von allein eingesehen.

Das Basislager für den Gipfel liegt 4600 Meter hoch

Nach zwei Tagen ließ er seinen Hubschrauber kommen, um sich abholen zu lassen. „Zu wenig Luxus“, sagt Hosea und lacht schallend. Die kleine Episode vom reichen Mann ist bei den Einheimischen äußerst beliebt. Barafu, das Basislager für den Gipfel, liegt in einer Steinwüste, 4600 Meter hoch. Als wir ankommen, sind die Träger schon wieder unterwegs. Sie laufen die halbe Tagesstrecke noch mal, um an der weit entfernten letzten Wasserstelle die Kanister aufzufüllen. Wer nicht genug trinkt, hat keine Chance auf den Gipfel. Nach einer leichten Mahlzeit beginnt die Nacht früh. Um 23 Uhr wird sie schon wieder beendet sein. Schlafen kann hier oben eh kaum einer. Aufstehen, ein paar Kekse, und dann um Mitternacht hinaus in die grenzenlose Schwärze. Ein paar Stunden später rast auf dem dunklen Schutthang der Herzschlag, jeder Schritt ist inzwischen eine Herausforderung. Langsam weicht die Nacht der Dämmerung. Am Horizont geht wie ein Feuerball die Sonne auf. Tief unten, versteckt hinter einem Wolkenmeer, liegt die afrikanische Savanne. „Pole pole“, sagt Hosea eindringlich. Und dann ist der Gipfel erreicht. Die schmelzenden Gletscher am Äquator leuchten. Glück­liche und gleichzeitig taumelnde Menschen fallen sich in die Arme, lassen sich mit dem berühmten Gipfelschild ablichten. Ein paar Fotos, einige tiefe Atemzüge. Hosea drängt zum Aufbruch. Er will seine Gruppe nicht zu lange in dieser Höhe haben. Noch während die letzten Wanderer, oft bei ihren Bergführern untergehakt, den Hang heraufkeuchen, rennen wir in die Gegenrichtung.

Die Schutthalden hinab unter der gleißenden Höhensonne. Stundenlang den ganzen Berg hinunter bis zum letzten Lager am Rande des Regenwaldes, fast 3000 Meter tiefer. Am nächsten Morgen weiter vorbei an den Affen, den Flechten und den gewaltigen Baumriesen. Zurück Richtung Europa, in eine andere Welt. Das Pochen in den Schläfen verschwindet. Und doch sagt der Kopf noch immer, dass all das nicht real gewesen sein kann. Nur ein merkwürdiger Film.


Anreise
Der 5895 Meter hohe Kilimandscharo liegt in Tansania im Osten Afrikas. Dort beginnen auch die üblichen Wege. Es ist allerdings ebenso möglich, den Berg von Kenia aus, von Norden her, zu besteigen. Die günstigste Flugverbindung führt mit Ethiopian Airlines von Frankfurt am Main über Addis Abeba zum Flughafen Kilimandscharo zwischen den Städten Moshi und Arusha.

Routen
Etwa zehn Wege führen auf den Kibo, den höchsten Punkt des Kilimandscharo-Massivs. Der schnellste und beliebteste ist die Marangu-Route, auch Coca-Cola-Route genannt, die in vier Tagen zum Gipfel führt und auf der in einfachen Hütten übernachtet werden kann. Wegen der fehlenden Höhenanpassung scheitern hier aber viele Aspiranten. Länger, sinnvoller und landschaftlich schöner sind diverse andere Wege, etwa die Machame- oder Rongai-Route. Dort wird in Zelten übernachtet.

Veranstalter
Eine individuelle Besteigung des höchsten Berges ­Afrikas ist nicht möglich. Interessenten müssen sich einer organisierten Gruppe anschließen, zu der ­Bergführer, Koch, Träger und Zutrittserlaubnis ­gehören. Es gibt zahlreiche Veranstalter in Tansania direkt oder in Europa, fast jeder deutsche ­ Fernreisen- oder Bergspezialist hat die Tour im ­Programm.

Beste Reisezeit
Der Norden Tansanias weist zwei Regenzeiten im Jahr auf. Günstig für eine Tour sind die große ­Trockenzeit zwischen Juni und September sowie die kleine Trockenzeit im Januar/Februar - hier sind die Chancen auf stabil gutes Wetter am größten. Kosten Neben der Tour selbst müssen Wanderer auch Flug, Trinkgelder für die Helfer und die Nationalpark­gebühren einrechnen. Insgesamt ist der Trip deshalb kaum unter 2500 Euro zu haben.

Körperliche Voraussetzungen
Wer den Kilimandscharo besteigen will, der muss ­körperlich fit und in der Lage sein, eine Woche lang jeden Tag vier bis zwölf Stunden in großer Höhe zu wandern. Wichtig ist eine gute Akklimatisierung. Für die eiskalten Nächte sind gerade bei Zelttouren ein warmer Schlafsack und Winterbekleidung nötig, auch wenn es tagsüber recht warm werden kann. Für Tansania sind diverse Schutzimpfungen sinnvoll oder vorgeschrieben. Außerdem wird eine Malaria-Prophylaxe empfohlen. Ein Visum gibt es entweder vorab bei der Botschaft in Berlin oder unproblematisch direkt bei der Einreise.

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