Katalonien: Picassos Dörfer
Horta de St. Joan - Nein, an einem Dorfverschönerungswettbewerb hat Horta de Sant Joan sicher nicht teilgenommen. Zwar hat der Ort hübsche Ecken. Die Plaça de l’Església etwa. Ringsum ist sie von Arkaden gesäumt, durch die die Sonne lange Schatten wirft. Hier würde man gern ein Glas gekühlten Weißwein aus der Gegend trinken. Aber eine Bar oder ein Café sucht man vergeblich. Stattdessen riecht es nach Dünger. Horta hat seinen spröden, ruralen Charakter eben noch nicht abgestreift. Dabei könnte es sich gut als Pilgerstätte für Picasso-Fans inszenieren. „Alles, was ich weiß, habe ich im Dorf von Pallarès gelernt“, soll der Maler gesagt und damit Horta im tiefsten Süden Kataloniens gemeint haben. Manuel Pallarès, den er von der Kunstakademie in Barcelona kannte, lud ihn 1898 in sein Heimatdorf ein, als Picasso von Scharlach gezeichnet, schwach und auch ein bisschen lebensmüde aus Madrid zurückgekehrt war. Der Aufenthalt in dem Bergdorf an der Grenze zu Aragón war genau das Richtige für den angehenden Maler. Schon allein die Landschaft: Wie eine Krone sitzt die verschachtelte Häuserlandschaft von Hora auf einem 500 Meter hohen Hügel.
Die gute Luft und das Leben im Dorf bekamen dem jungen Pablo. Mit Pallarès streunt er durch die Gegend und wohnt wochenlang in einer Höhle. Fern der akademischen Lehrsäle erproben sie hier neue Malstile und lassen sich von ungewöhnlichen Motiven inspirieren. Wäscherinnen, Hirtenjungen und Bauernhäuser bannte Picasso zum Teil noch in impressionistischer Manier auf Papier und Leinwand. Entsprechende Faksimiles sind im Centre Picasso im ehemaligen Hospital von Horta zu sehen. Acht oder neun Monate währte die glückliche Zeit. Dann kehrte Picasso gesund und rundum gestärkt nach Barcelona zurück. Auch wenn er sich jetzt wieder ins urbane Leben stürzte - das Dorf in der Terra Alta vergaß er nicht, und er kehrte zehn Jahre später mit seiner Lebensgefährtin Fernande Olivier zurück. Das Paar wohnte im damaligen Hostal del Trompet - und erregte einigen Anstoß.
Die Blaue und die Rosa Periode lagen hinter ihm
Nicht nur, weil es in wilder Ehe lebte. Auch, weil sich Fernande in extravaganten Kleidern unter die männlichen Domino-Spieler im Café mischte. Picasso verzog sich währenddessen ins Atelier. Die Blaue und die Rosa Periode lagen hinter ihm, er befand sich mitten in einer der wichtigsten Phasen des Kubismus. Immer wieder malte er den kegelförmigen Hausberg Santa Bárbara, wobei dessen geometrische Formen mehr und mehr mit dem Gesicht der Geliebten verschmolzen. Auch die Dorfansichten wurden immer abstrakter, einige - wie „La Fábrica“ - gelten sogar als Schlüsselwerke auf Picasso Weg vom sezessionistischen zum analytischen Kubismus. Doch Horta war nicht die einzige Inspirationsquelle in der katalanischen Provinz. Bevor Picasso 1909 hierher zurückkehrte, hat er mit Fernande bereits einen Sommer in Gósol, einem ebenso abgelegenen Ort in den südlichen Pyrenäen, verbracht. Die Fahrt dorthin ist ein Erlebnis. Der Weg führt auf der Küstenautobahn nach Norden, später auf gut ausgebauter Landstraße geradewegs in die Vorpyrenäen.
Immer gebirgiger wird es. Und immer grüner. Anstelle von Olivenhainen säumen bald Wiesen und Nadelwälder die Straße. Die kurvenreiche Strecke nach Gósol bietet grandiose Panoramen. Rechts der Landstraße zieht sich die Gebirgskette Cadí-Moixeró entlang. Mittendrin erhebt sich das 2648 Meter hohe Massiv des Pedraforca, der „steinernen Gabel“, bei dem auch Picasso der Atem gestockt haben muss, als er per Esel nach Gósol ritt. Heute ist der Ort, der auf 1400 Meter Höhe am Fuß des Pedraforca liegt, ein beliebter Ausgangspunkt für Extremsportler. Die Häuserlandschaft aus Naturstein wirkt noch ähnlich archaisch wie zu Zeiten Picassos. Nur, dass es hier 1906 wahrscheinlich spartanischer zuging. Das Paar mietete sich im Hostal Cal Tampanada am Dorfplatz ein - und erregte auch hier Aufsehen. Der Künstler, der sich mitten in seiner Rosa Periode befand, malte zahlreiche Akte, für die ihm abwechselnd die Geliebte und verschiedene junge Männer Modell standen. Dabei fügte er Objekte aus der Umgebung hinzu - einen Sattel, einen Steinkrug oder auch Brote - wie bei der berühmten „Frau mit Broten“, die als Hommage an den Maler als Skulptur nachgebildet auf dem Dorfplatz steht.
In Figueres kann man dem Dalí-Museum einen Besuch abstatten
Die Originale sind weit verstreut in der Welt, aber im Centre Picasso sind viele als Reproduktionen zu sehen. Danach lockt Picasso ans Mittelmeer. Auf einer abwechselungsreichen Strecke, die wieder völlig andere Gesichter Kataloniens offenbart, geht es nach Berga nach Ripoll, wo die romanische Klosterkirche Santa Maria mit ihrem einzigartigen Portal die Zeit überdauert hat. Bevor man die Küste erreicht, kann man in Figueres dem Dalí-Museum noch einen Besuch abstatten. Auch Cadaqués, das nächste Reiseziel, steht ganz im Zeichen Dalís, der hier jahrzehntelang lebte und arbeitete. Doch vor dem Surrealisten hatten schon andere Kreative das weiße Dorf an der Costa Brava für sich entdeckt: Santiago Rusiñol, Ramon Casas, Narcís Monturiol und eben Picasso. „Keimzelle war die Familie Pitxot, die alle möglichen illustren Persönlichkeiten um sich scharte“, meint Pere Vehí, der eine Ausstellung zum Thema Picasso in Cadaqués mit organisiert hat. „Ramón Pitxot war es auch, der den Maler 1910 eingeladen hatte.“ Gewohnt hat er am Strand Es Poal, wo heute eine Gedenktafel an den illustren Gast erinnert. Wieder kam er mit Fernande, der es hier ganz und gar nicht gefiel.
„Nichts als Meer, ein paar unbedeutende Berge und Häuser, die aussehen wie aus Pappmaché“, schrieb sie an ihre Freundin Gertrude Stein. Doch ihr Lebensgefährte bekam hier entscheidende Anregungen. Er malte den Hafen, das Boot der Korallenfischer, außerdem Porträts wie „Der Ruderer“ oder „Frau mit Mandoline“. Die Formen sind inzwischen so geometrisch-abstrakt geworden, dass die Motive kaum noch zu erkennen sind. Dem Kritiker Ricard Mas zufolge kündigten sich hier bereits spätere Kunstrichtungen wie der Kubofuturismus, der russische Konstruktivismus oder der Plastizismus eines Mondrian an. „Man kann die zeitgenössische Kunst nicht verstehen ohne die grundlegenden Fundamente, die Picasso in nur zwei Monaten in Cadaqués gelegt hat“, resümiert Mas. Cadaqués, das sei die „weiße Stille des Kubismus“, eine trügerische Ruhe wie die Windstille über dem Meer, unter dessen glatter Oberfläche sich die weitreichendsten Umwälzungen vollziehen. Auch in Cadaqués selbst haben sich in den letzten 100 Jahren gravierende Umwälzungen vollzogen. An der Bucht reiht sich ein Lokal ans andere, in die im Sommer Scharen von Sommerfrischlern einfallen. Wer indessen in der Nebensaison kommt und auf der Terrasse des Cafés Marítim Platz nimmt, hat sie fast für sich allein - die weiße Stille über dem Mittelmeer, die Balsam für Augen und Seele ist.
Anreise
Ausgangspunkt der Rundreise ist Barcelona. Der etwa drei Stunden lange Weg nach Horta de Sant Joan führt über die kostenpflichtige Autobahn AP-7 Richtung Valencia. Bei Tortosa geht es über die Landstraße C-12 und bei Prat de Comte auf einer kleineren Landstraße nach Horta. Von Horta aus fährt man zurück über die Autobahn AP-7 bis Martorell bei Barcelona und weiter auf der C-16 über Terrassa und Berga nach Guardiola de Berguedà, wo links die kleinere Landstraße B-401 nach Gósol abzweigt. Die Fahrtdauer beträgt ca. sechs Stunden. Danach geht es in drei bis vier Stunden zurück nach Berga und weiter auf der sehr kurvenreichen C-26 und der gut ausgebauten N-260 über Ripoll, Olot und Figueres nach Cadaqués.
Unterwegs lohnt es, vor allem in Ripoll und Figueres eine Pause einzulegen und etwa das Dalì-Museum zu besuchen ( www.salvador-dali.org ). Von Cadaqués geht es in ca. 2,5 Stunden über Figueres und die Autobahn A-7 zurück nach Barcelona.
Unterkunft
Horta de Sant Joan: Eine einfache Unterkunft im Ort ist das Hotel Miralles, Av. Generalitat 19, www.hotelmiralles.com , DZ mit Frühstück ab 75 Euro, wo man auch gut essen kann.
Mehr Komfort bietet das Landhotel Les Capçades, www.hotellescapcades.com , DZ ab 135 Euro.
Gósol: Einfach, aber gut wohnen lässt es sich im Hostal Cal Franciscó, Carretera de Berga, www.hostalcalfrancisco.es , DZ ab 55 Euro.
Cadaqués: Sehr komfortabel wohnen lässt es sich im Hotel Playasol, www.playasol.com , DZ ab 97 Euro.
Günstiger, aber auch deutlich schlichter ist das Hostal Cristina, La Riera, www.hostalcristina.eu , DZ (ohne Frühstück) ab 60 Euro.
Sehenswürdigkeiten
In Barcelona führt eine ganze Picasso-Route zu den Wohn- und Arbeitsstätten des Künstlers. Besonders sehenswert sind das Museu Picasso, Carrer Montcada 15-23, www.museupicasso.bcn.cat , geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 20 Uhr, sowie der Fries, mit dem er die Architektenkammer an der Plaça Nova 5 verziert hat. Außerdem sollte man einen Blick in das liebenswerte Jugendstilcafé Els Quatre Gats, Carrer Montsió 3, werfen, das Treffpunkt der Künstler um Picasso war.
Fotos, Zeichnungen und Bilder erzählen von den illustren Gästen ( 4gats.com). In Gósol erinnert das Centre Picasso an der Plaça Major mit Reproduktionen an den Aufenthalt des Malers; geöffnet Dienstag bis Freitag 16 bis 19 Uhr, Sonnabend 10 bis 14 Uhr und 16 bis 19 Uhr, sonntags 10 bis 14 Uhr ( gosol.ddl.net ) .
Ein Muss in Horta Sant Joan ist der Besuch des Centre Picasso im früheren Hospital, www.centrepicasso.cat , geöffnet Dienstag bis Sonntag 11 bis 13.30 Uhr, Samstag 17 bis 20 Uhr.
Allgemeine Informationen
Katalonien Tourismus in Frankfurt, Tel. 069 / 74 22 48 73, www.katalonien-tourismus.de.