Kansai: Blühende Tradition
Kyoto - „Michiko - was ist denn das?“ Die oberste Schicht des mit japanischer Mayonnaise verzierten Omeletts bewegt sich. Michiko, die Reisebegleiterin, löst das Rätsel. Die opaken Blättchen, die auf dem Teller einer geheimnisvollen Choreografie folgen, sind Bonitoflocken. Kommen sie mit heißen Speisen in Berührung, „tanzen“ sie. Weswegen die Japaner das für Gaijin (Westler) ungewöhnliche Schauspiel auch „tanzende Fischflocken“ nennen. Doch nicht nur diese Spezialität der Kansai-Region bestätigt die Annahme, dass gemeinsames Essen in Japan eine bevorzugte Art der Unterhaltung ist. Mag Yoko Tawada, in Deutschland lebende japanische Literaturwissenschaftlerin, in ihrer Heimat die „Gesprächskultur bei Tisch“ vermissen - neugierig genießt der europäische Gast Japans elegante Haute Cuisine. Die Kyoto-Küche gilt als Wiege der japanischen Küche.
Die Stadt Kyoto gilt als kultureller Mittelpunkt der Region Kansai (24,1 Millionen Einwohner), die im Westen der Hauptinsel Japans liegt. Niemals werden die dekorativ servierten Speisen dieser Küche von schweren Gewürzen oder dicken Soßen überwältigt. „Umami“ (fleischig, wohlschmeckend) nannte Kikunae Ideka eine von ihm entdeckte separate Geschmacksrichtung neben süß, sauer, salzig und bitter. Japaner sind mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 86,77 Jahren weltweit Spitzenreiter in der Altersstatistik. Japanisches Essen - mag es noch so opulent sein - verursacht nie ein unangenehmes Völlegefühl. Und hat der Besucher doch zwischen den unendlich vielen Häppchen zu fragen, was ihm in Tempeln und Schreinen, in Gärten und auf Straßen erklärungsbedürftig erschien, dann ist das in Deutschland verpönte Sprechen mit vollem Mund gestattet - man muss nur die rechte Hand vor den Mund halten. Es mag viele Gründe geben, sich von Deutschland aus ins Land der Morgenröte aufzumachen. Japan war, bevor es sich Europa und Amerika öffnete, insbesondere chinesischen und koreanischen Einflüssen ausgesetzt. Frappierend scheint, dass die Bewohner dieses Inselstaates die fremden Einflüsse auf so eigene Art assimilierten, dass diese wie ursprünglich japanisch wirken.
Japans Kultur hat längst ihren festen Platz in Europa
Der Kansai International Airport ist ein guter Ausgangspunkt für eine Reise in Japans älteste Kulturregion mit den historischen Städten Nara (erste Hauptstadt Japans im 8. Jahrhundert) und Kyoto (794-1869 Sitz des kaiserlichen Hofes). Auf einer künstlichen Insel im Meer gelegen, ist der Kansai International Airport durch eine zweistöckige Brücke für den Bahn- und Autoverkehr mit dem Festland verbunden. Kitano san (Herr Kitano) steuert den Kleinbus Richtung Kyoto. Sein Name weckt Assoziationen zu einem der bekanntesten Regisseure und Schauspieler Japans: Takeshi Kitano. Japans Kultur hat längst ihren festen Platz in Europa: Schon Alexandre Dumas setzte der auch im Winter blühenden Camellia japonica mit seinem Roman „Die Kameliendame“ ein kulturgeschichtliches Denkmal; japanische Trommelgruppen ernten frenetischen Beifall; der Butho-Tanz wurde in den Modern Dance integriert; nicht nur junge Leser sind fasziniert von Mangas in Literatur und Film. Und doch liegt der Reiz dieses Insellandes auch in seiner Andersartigkeit: Japan wirkt ästhetischer, eleganter, spiritueller, moderner, traditioneller als Europa oder Amerika.
„Unser“ Kitano trägt weiße Handschuhe, schweigt meist, und wenn er spricht, dann sagt er oft „hai“ (Ja). Anders als die vielen Variationen des deutschen „Ja“ klingt das japanische auffallend forciert. Claude Lévi-Strauss (1908-2009), französischer Sozialanthropologe, der sich in seinen Schriften „Die andere Seite des Mondes“ über die Kultur Japans offenbart hat, nennt das japanische „hai“ nicht nur eine Zustimmung. Es sei, so der Kenner Japans, vielmehr „eine Hinwendung zum Gesprächspartner“. Höflich, freundlich, in Gestus und Mimik zurückhaltend - für den Europäer wirken Japaner wenig spontan, aber sehr verbindlich. Es ist also auch eine gute Geste, wenn sich der Fremde - anstatt sich auf das allzu saloppe „Hallo“ zu beschränken - in wenigen Redewendungen wie „Kon nitchiwa - guten Tag“, „Kon banwa - guten Abend“, „Arrigato - danke“ und angedeuteten Verbeugungen übt.
Wer in Europa einen heiligen Ort besucht, übt sich meist in Stille und Zurückhaltung. Religion in Japan ist von einer anderen Stofflichkeit, Teil japanischer Identität und durchdringt diskret den japanischen Alltag. „Michiko, was tun die Menschen hier?“ Die Reisebegleiterin erklärt, was an buddhistischen Tempeleingängen und Shinto-Schreinen zu beobachten ist. Junge Frauen kleiden sich im traditionellen Kimono mit sorgfältig gebundenem Obi (Gürtel), Männer tragen den Yukata. Sie reinigen sich symbolisch mit Wasser aus einem Brunnen, das sie mit einer Bambuskelle schöpfen. Sie zünden Räucherstäbchen an, fächeln mit der Hand den Rauch um den Kopf - er reinigt den Geist. Sie kaufen Amulette, ziehen an roten Glockenseilen, verehren einen Reisgott in Fuchsgestalt, tun es mit Aufrichtigkeit und Respekt und fiebern in diesen Wochen den „Cherry Blossoms“ entgegen. Zur Kirschblüte (japanisch: Sakura) werden in rauschhafter Intensität Geburt und Vergänglichkeit des Lebens gefeiert. Mit „Hanami“ (übersetzt: Blüten schauen) hat die deutsche Regisseurin Doris Dörrie diesem Fest ein cineastisches Denkmal gesetzt. Mehr als 1600 buddhistische Tempel und 270 shintoistische Schreine belegen in Kyoto den religiösen Stellenwert der alten Kaiserstadt.
Zwölf Millionen Besucher zieht es jährlich zum Kiyomizudera-Tempel
17 historische Stätten wie das Nijo-Schloss, der Shimogamo-Schrein und der Kiyomizudera wurden als Welt- und als Nationales Kulturerbe ausgezeichnet. Zwölf Millionen Besucher zieht es jährlich zum Kiyomizudera-Tempel. Man erreicht ihn über das Viertel Sannenzaka Slope, in dem Wohnhäuser mit vergitterten Fenstern, kleine Tempel, Restaurants und Souvenirläden den Besucher in nostalgischer Sehnsucht nach vergangenen Zeiten schwelgen lassen. Staunen, bleiben wollen, durch Fotos festhalten - hier verhält sich der Europäer nicht anders als Japaner, die fotografierend um den Globus reisen. Am Kiyomizudera-Tempel fasziniert die von zahlreichen Säulen getragene Veranda. „Einmal im Leben etwas Großes wagen“ heißt ins Japanische übertragen „von der Plattform von Kiyomizu springen“. Im Frühling scheinen die an Berghängen gebaute Tempelhalle und Veranda in einer Wolke aus Kirschblüten zu schweben. Mythisch wirken die „1000-Torii-Tore“, die zum inneren Bereich des Fushimi-Inari-Schreins in Kyoto führen. Das Tageslicht fällt durch die schmalen Zwischenräume, die Lichtreflexe erzeugen eine außergewöhnliche Raumwirkung. Und dann Nara! Nara war von 710 bis 784 die erste Hauptstadt Japans.
Heute bringt einen der Zug der Kintetsu-Nara-Eisenbahnlinie in einer Dreiviertelstunde von Kyoto nach Nara. Schrein der 10 000 Laternen heißt der Kasuga Taisha. Ursprünglich stand hier die Residenz der Adelsfamilie Fujiwara, nun zählt der Schrein ebenfalls zum Unesco-Weltkulturerbe. Ein bewegender Anblick, wenn zu rituellen Festen 10 000 Stein- und Bronzelaternen im Kerzenlicht scheinen. Angelockt auch von 1100 wilden Hirschen, die im 660 Hektar großen Nara-Park ohne Umzäunung friedlich grasen und sich streicheln lassen, kommen Familien mit ihren Kindern zu den traditionellen Bauten. Und mögen die hippen jungen Leute auf Osakas Dotonbori Street mit ihren schrillen Outfits nicht nur symbolisch mit der traditionellen Kleiderordnung brechen - zum Besuch eines Tempels tragen dann doch viele Kimono und Yukata. Das Neben- und Miteinander extremer Gegensätze und die Parallelität verschiedener Welten und Zeiten: Darin liegt vermutlich der größte Reiz einer Japan-Reise.
Anreise
Lufthansa, www.lufthansa.com , fliegt direkt von Frankfurt/Main zum Kansai International Airport, die KLM Royal Dutch Airlines, www.klm.com , von Amsterdam-Schiphol ebenfalls im Direktflug. Die Kosten für einen Hin- und Rückflug beginnen je nach Komfort und Fluggesellschaft ab 1000 Euro.
Unterkunft
Unterkünfte in der Region Kansai gibt es in großer Auswahl, sie sollten aber zu speziellen Terminen (Kirschblüte) möglichst rechtzeitig gebucht werden. Wer in Kyoto im traditionellen Stil (Ryokan-Gästehaus), aber mit westlichem Komfort wohnen möchte, dem sei das Kyomachiya Ryokan Sakura empfohlen ( www.kyoto-ryokan-sakura.com ). Es liegt gegenüber dem Nishi-hongan-ji-Tempel, zehn Gehminuten vom Bahnhof Kyoto entfernt. Sieben Nächte mit Frühstück kosten zwischen 600 und 1200 Euro.
Auch das Hotel Golden House Pavilion ( www.booking.com ) wirbt mit Tradition. Vier Nächte im Standardzimmer mit Frühstück kosten dort ab 400 Euro. Für einen Platz im Etagenbett/Schlafsaal zahlt man für vier Nächte etwa 200 Euro.
In der Metropole Osaka ist das Hotel Nikko Osaka in zentraler Lage zu empfehlen ( www.hno.co.jp english/index_e.html ). Die Kosten pro Person für eine Nacht im DZ mit wahlweise internationalem oder japanischem Frühstücks-Büfett im Fünf-Sterne-Haus in zentraler Lage (am U-Bahnhof Shinsaibashi) beginnen bei etwa 130 Euro.
Natürlich bietet gerade die Metropole Osaka eine große Auswahl an Übernachtungsmöglichkeiten wie zum Beispiel das Ein-Sterne-Hotel Fukuya ( www.fukuya-r.jp ), das Drei-Sterne-Haus Hotel Liberty Plaza ( www.libertyplaza.jp ), das Fünf-Sterne-Hotel Imperial Hotel Osaka ( www.imperialhotel.co.jp ).
Allgemeine Informationen
Detaillierte Auskunft über eine Japan-Reise gibt neben den professionellen Reiseanbietern auch die Japanische Fremdenverkehrszentrale, www.jnto.de. Sehenswürdigkeiten Wer an einer geführten Zen-Meditation (in deutscher oder englischer Sprache) teilnehmen möchte, kann das im Shunkoin-Tempel unter Leitung von Takafumi Kawakami tun. Im Tempel gibt’s auch Gästezimmer.
Anmeldung unter Rev.Taka.Kawakami@gmail.com.
Für einen Kurztrip zur Badekultur Japans bietet sich das Hotel Keizankaku an ( www.keizankaku.com ). Lauter und unterhaltsamer geht es im Spa World in Osaka zu ( www.spaworld.co.jp ). Ein Muss ist der Besuch des Kyoto International Manga Museum mit 200 000 Exponaten ( http:/kyotomm.jp ).
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