Island: Kitesurfen on the Rocks
Island - Wer im Hochsommer zwischen Eisschollen surfen will, muss wirklich verrückt sein. Ein Extremkiter hat das Abenteuer in Islands Gletschersee Jökulsarlon gewagt.
Schrr, Schrr, Schrr – elegant cruist Dirk Hanel durch ein Labyrinth aus scharfkantigen Eisschollen. Urplötzlich dreht der Wind auf ablandig. Eine gewagte Halse und ein hektischer Satz über einen blauschimmernden Eisriegel verhindern das Gröbste. Doch im kalten Angesicht einer zwölf Meter hohen Eispyramide ist Schluss mit lustig. Der jungfräuliche Slalom durch Islands berühmtesten Gletschersee Jökulsarlon findet ein jähes Ende. Dirk muss den Kite sausen lassen.
Jetzt geht alles ganz schnell.
Während der Schirm noch lautstark zwischen die Eisberge kracht, paddelt Dirk schon aus dem Packeis. Neugierig tauchen zwei Robben zwischen den Eistrümmern auf. "Bringt mir die Wärmepads", schreit Dirk mit gepresster Stimme. Sein Körper wird zwar vom Neoprenanzug geschützt. Aber die Finger sind im bestenfalls drei Grad "warmen" Wasser im Nu zu Eiszapfen gefroren.
Endlich am Ufer, drückt Dirk lang die heißen Wärmepads. Nur langsam kehrt wieder Leben in seine Finger zurück. "Ich muss den Schirm retten", keucht er und lässt den im Eis zappelnden Drachen nicht aus den Augen. Auf einer aufblasbaren Isomatte stürzt er sich zwischen die Eiskolosse und rettet in einer halsbrecherischen Aktion seinen Kite, der bereits langsam aber sicher im Atlantik zu verschwinden droht.
Dirk Hanel ist in der Kiteboard-Szene bekannt wie ein bunter Hund.
Der 34-Jährige zählt in dieser jungen, boomenden Sportart zu den Männern der ersten Stunde und ist aktuell Deutscher Rekordhalter auf der 500-Meter-Strecke. Als Weltcup-Kiter hat er schon viele verwegene Spots angesteuert. "Aber Island ist ganz anders", sagt er. "Wo kannst Du schon zwischen Eisbergen kiten? Und das bei mindestens fünf Windstärken. Wahnsinn!"
In der Tat! Hier, wo der Vatnajökull, Europas größter Gletscher, einen seiner zahlreichen Arme zu Tal strömen lässt, ploppen Tag und Nacht gewaltige Eismassen in Form kalbender Eisberge in den Märchensee Jökulsar. Hier fröstelte schon Pierce Brosnan alias James Bond - oder waren es seine Stuntdoubles? - für "Stirb an einem anderen Tag". Hier landen täglich unzählige Island-Touristen. Die finden alles bizarr, märchenhaft und überhaupt wunderbar. Halten kurz mit der Kamera drauf und sind dann schnell wieder weg, bevor ihnen die Kälte in die Knochen kriecht. Auf die Idee, hier mit dem Kiteboard ins Wasser zu gehen, ist bisher noch niemand gekommen.
Dabei war allein schon die Zeltnacht am Ufer die Reise wert. Auf dem Gaskocher schmolzen wir einen Mini-Eisberg und kochten Spaghetti in Tomatensauce. Zur Untermalung des Camping-Dinners spielten die Gletscherzacken Schwanensee-Ballett. In Zeitlupe drifteten sie mit der Strömung an unserem Nudeltopf vorbei, hinaus aufs offene Meer. Erst weit nach Mitternacht hüllte ein zäher Nebel die Eisberge ein. So muss es gewesen sein, als die Titanic den Eisberg rammte.
Eine völlig neue Kite-Erfahrung bietet auch der Skeidara-Sund.
Hier rauscht das Schmelzwasser des Skaftafell-Gletschers mit 30 Stundenkilometern in unzähligen Armen zu Tal. Bergab in Richtung Meer läuft es also von allein. Doch der Wind weht volle Kraft gegen die reißenden Wasseradern. Somit fegt das Board auch bergauf über trübgraue Stromschnellen.
Bei Blönduos hoch im Norden tanken wir unseren Jeep bis zum Anschlag voll. Eingehüllt in eine kilometerlange Staubfahne schreddern wir auf der Kjölur-Route durch das Hochland. Hveravellir, die einzige Oase auf der Strecke, lockt mit seinem Hotpot: Das brodelnde Wasser aus dem Erdinneren wird mit einem Zulauf aus dem eiskalten Nebenfluss gemischt - die perfekte Naturbadewanne. Aber es herrscht Flaute. So bleibt uns nichts übrig, als das Panorama zu genießen: gewaltige Gletscher und sattgrüne Moosteppiche. Kurz vor Mitternacht zerfetzen wilde Böen die Wolkendecke. Dirk wird unruhig. "Ich habe da unweit der Piste einen schönen Gebirgssee gesehen."
Norbert Eisele-Hein
Service: Ab 250 Euro zum Kitesurfen nach Island
Es gibt noch keine organisierten Kitetouren auf Island. Die stark zerklüftete Küste mit ihren unzähligen Fjorden bietet fast überall gute Bedingungen für Kitesurfer. Auch die zahlreichen Seen eignen sich hervorragend. Flüge ab München bietet beispielsweise Icelandair ab 250 Euro. Kiteboards müssen vorher angemeldet werden! Tel. 069/299978, www.icelandair.com Beste Reisezeit: Juni, Juli, August, bis max. Mitte September. Die Hochlandpisten werden je nach Schneelage meist erst ab Mitte Juni geöffnet. Winterlich kalt kann es das ganze Jahr über sein. Allgemeine Informationen: Isländisches Fremdenverkehrsamt, Frankfurter Str. 181, 63263 Neu-Isenburg, Tel. 06102/254484, www.visiticeland.com
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