Fit für Flip-Flops
In Südostasien das Haus verlassen, heißt Flip-Flops tragen. Auch dieser Tatsache ist der Umstand zu verdanken, dass bei „My Foot Refloxology“, einem Miniatur-Spa im Erdgeschoss von Terminal 3 des Changi-Airport in Singapur, jeder Platz besetzt ist. Zehen, die sich seit Monaten überwiegend in dicken Socken und schwerem Schuhwerk aufgehalten haben, werden hier fit und vorzeigbar gemacht: für die hochsommerlichen Temperaturen Balis und Langkawis oder der australischen Ostküste und für Strände und Straßen, an denen die Zehen grundsätzlich frei liegen. Ohnehin ist die Maßnahme nach einem Langstreckenflug überlebensnotwendig. Das Licht ist schummerig, die Gespräche sind allenfalls Gemurmel. Hier und da sind die ruhigen Atemzüge fest Schlafender zu hören.
Ist es Morgen oder Abend? Niemand weiß es genau. Alle sind weit gereist, ohne schon angekommen zu sein. Die Abläufe zeugen von Routine. Der Gast erhält das „Spa Menu“ mit dem Angebot verfügbarer Fuß-, Kopf- und Schultermassagen, Blitz- und Komplett-Pediküren und Maniküren zur Ansicht. Hat er gewählt, folgt die Frage: „What time is your flight?“ Niemand soll schließlich seinen Flug verpassen, nur weil er in einem Massagesessel vor sich hindöst. Sorgfältig werden also Bordkarten studiert und Einsteigezeiten notiert. Man weiß, dass die Kunden nicht nur eine Massage oder eine Pediküre benötigen. Für die Dauer ihrer Zwischenlandung muss man ihnen idealerweise auch das Denken abnehmen. Der Gast nimmt Platz, die Behandler machen sich ans Werk: hantieren mit Fußbad und Handtüchern, mit Hornhauthobel, Feile und Knipser, mit klarem und knallrotem Lack. Sie lächeln freundlich, doch sie verstehen auch zu schweigen. Denn die Gäste sind jenseits einiger hingeworfener Sätze über ihr Woher und Wohin zu keinem zusammenhängenden Gespräch in der Lage.
Ein Ort der Ruhe und Erholung
Dies ist nicht der Ort für Small Talk, hier geht es um Ruhe und Erholung. Ein Reisender aus Barcelona lässt sich vor dem langen Heimflug nach Spanien die Füße massieren - eine letzte Wohltat, die Kraft spendet für die bevorstehenden Strapazen, und ein letzter Genuss südostasiatischer Wellness-Kultur. Eine Australierin ruht auf einem Massagestuhl, während eine Therapeutin ihre Schultern durchknetet. Sie komme gerade aus Europa zurück, erzählt sie, als sie sich nach der Massage doch wieder rührt, und müsse noch weiter ins ferne Melbourne. Aber nun fühle sie sich schon viel frischer. Ein Amerikaner rauscht herein, wirft mit der Routine des Stammgastes seine Taschen ab und sinkt in den Sessel. „Wie immer“, sagt er noch, dann ist er auch schon weggedämmert. Zwei Deutsche auf dem Weg nach Brisbane nippen an dampfenden Teetassen, während sie darauf warten, dass ihre frisch lackierten Zehennägel trocknen. Jetzt bloß nicht zu früh aufspringen - wie ärgerlich wäre es, wenn der frisch aufgetragene Lack an den Schuhen kleben bliebe.
Das Personal prüft ein letztes Mal den Lack. Vorsichtig schlüpfen die beiden Deutschen dann in die mitgebrachten Flip-Flops. Sie ersetzen nun die Reiseschuhe und verraten, dass für ihre Besitzer trotz des Weiterflugs der Urlaub bereits mit dem Verlassen des Spas beginnt. Die Therapeutinnen plaudern unterdessen halblaut miteinander. Der Klang ihrer Stimmen fügt sich beruhigend wie das Plätschern eines Zimmerbrunnens in das Ambiente dieses Fluchtorts für Fluggeschädigte. Allein die Fähigkeit, mit Anmut Füße zu baden, die bereits mehr als eine Tagesreise hinter sich haben, empfiehlt einen unbedingt für höhere Aufgaben. Aber auch sonst sind die Spa-Gäste zumindest bei ihrer Ankunft in dem behaglichen kleinen Refugium eher sympathisch als frisch. So ist die Bemerkung einer jungen Therapeutin auch vollkommen ohne Arg, sondern klingt ganz liebevoll, als sie da zu ihrer am benachbarten Behandlungsstuhl Fußnägel feilenden Kollegin spricht: „Die haben alle immer sehr viel Luft im Körper.“ Niemand zuckt zusammen, kaum einer blinzelt. Luft oder nicht, mögen die Spa-Gäste bei sich denken. Immerhin sind die Füße tipptopp.