Europa 2 - zur Stilikone bestimmt
Wer je ein Haus gebaut hat, ahnt, was Henning Brauer (35) in den letzten Wochen durchgemacht hat. Der Leiter Neubau von Hapag-Lloyd betreute die „Europa 2“ von der ersten Zeichnung bis zur Taufe. In dreieinhalb Jahren hat er fünf Paar Arbeitsschuhe durchgelaufen und 126 Nächte in einem Hotel neben der Werft in St. Nazaire an der französischen Atlantikküste verbracht.
Wie bei jedem Bauvorhaben ging auch hier manches schief. „Am Ende kamen alle Gewerke gleichzeitig. Kurz vor Übergabe waren rund 1200 Arbeiter auf einmal im Einsatz. Ein einziger Ameisenhaufen“, sagt Henning Brauer. Um eine vierwöchige Verzögerung aufzuholen, musste während der nautischen Probefahrten über die Nordsee noch an allen Ecken gewienert werden.
Inzwischen geht es an Bord gediegener zu. Die „Europa 2“ ist für 516 Gäste ausgelegt, denen es an nichts fehlen soll. Schließlich spielt man Champions League zur See. Mit der „Europa“ belegt Hapag-Lloyd seit deren Bau 1999 ununterbrochen Platz eins in der Schiffshitliste Berlitz Cruise Guide: fünf Sterne plus. Nun soll die jüngere Schwester nachziehen - zwei Teams wie Bayern München und Borussia Dortmund im selben Verein. "Nummer 2" ist lässiger und cooler, modern designt, luftig und hell. Eine Lichtgestalt mit elf Decks, auf denen der anspruchsvolle Gast ausschließlich in Suiten mit eigenem Balkon wohnt. Feinstes Bone-China-Geschirr, mundgeblasene Gläser, Silberbesteck - das Beste vom Besten war für das Nesthäkchen gerade gut genug. Geschäftsführer Wolfgang Flägel etwa hat gewiss viel zu tun und saß dennoch „auf jedem Stuhl persönlich Probe“. Produktmanager Julian Pfitzner testete die Qualität der Kissen und Decken am eigenen Leib und suchte einen Großteil der Ausstattung aus. Und Henning Brauer, der promovierte Schiffsbauingenieur und Projektverantwortliche, behielt den Überblick.
Die Baukosten sollen auf Wunsch der Finanziers geheim bleiben
Nun muss sich zeigen, ob die selbst ernannte Stilikone beim Publikum ankommt. Auf der „Europa 2“ sollen Menschen mit einem Nettoeinkommen von 5000 Euro aufwärts sich vom stressigen Job erholen. Ganz leger, ohne Krawatte und Tischordnung. Dazu gibt es exquisite Kinderbetreuung. Das Captain’s Dinner hingegen wurde abgeschafft. Jan Friedrich Akkermann, ein hochgewachsener Niedersache von der Insel Borkum und Kapitän in der 13. Generation, mischt sich stattdessen spontan unter die speisenden Gäste. Auch ihm soll es an Bord an nichts mangeln: Das Bett in der Kapitänskabine hat extra Überlänge für den 1,99-Meter-Seemann. Die „Europa 2“ ist nicht nur äußerlich schön. Auch innen wartet sie mit Gimmicks auf, die man nicht auf jedem Schiff findet. Besonders gute Stabilisatoren zum Beispiel: Während draußen die Wellen sich zwei bis drei Meter hoch auftürmen, zuckt drinnen noch nicht mal die Oberfläche des Getränks im Glas. Damit dem Personal in der Küche der Schweiß nicht allzu sehr rinnt, wurde eine besonders starke Klimaanlage eingebaut. Man meinte es sogar zu gut: Küchenchef Stefan Wilke flogen beim Würzen die Salzkörner davon. Er ließ die Belüftung drosseln.
Zudem gibt es eine Anlage, die Stickoxide aus den Abgasen filtert. „Zu dieser und weiteren Umweltschutz-Maßnahmen sind wir per Gesetz nicht verpflichtet. Sie waren uns aber wichtig. Das hat das Schiff 20 Millionen Euro teurer gemacht“, sagt Henning Brauer. Die Gesamtkosten des Schiffes werden nicht genannt - auf Wunsch der privaten Investoren, deren Identität ebenfalls geheim bleiben soll (Hapag-Lloyd besitzt das Schiff nicht, sondern hat es für zwölf Jahre gechartert). Der Preis dürfte bei einer halben Milliarde Euro liegen. Ob sich die Investition gelohnt hat, muss das „beste Schiff der Welt“ nun beweisen.
Zahlen, Daten, Fakten
Baujahr: 2013. Bruttoraumzahl (BRZ): 40.000
Passagierkapazität: 516.
Besatzung: 370.
Bordsprachen: Deutsch und Englisch.
Werft: STX Europe, St. Nazaire, Frankreich
Maße: 225,38 Meter lang, 26,7 Meter breit, 6,3 Meter Tiefgang.
Gewicht: 20.000 Tonnen.
Gesamtleistung: 24.000 kW.
Höchstgeschwindigkeit: 21 Knoten.
Stabilisatoren: Blohm + Voss, 2 x 14 Quadratmeter Flügelfläche.
Statistik zur Bauphase: Im Schiff haben 1150 Werftmitarbeiter 10.000 Tonnen Stahl, 300 Kilometer Leitungen und 23.000 Quadratmeter Teppichboden verbaut. Die Pläne umfassen 29.910 Architektur- und Ausbauzeichnungen.
Preise und Routen: Eine Reise kostet im Schnitt 600 Euro pro Person und Tag. Kinder bis elf Jahre fahren kostenlos mit. Zielgebiete sind das Mittelmeer, die Arabische Halbinsel und Asien.
Kontakt: Hapag-Lloyd Kreuzfahrten GmbH, Telefon 040 / 30 01 46 00, www.hlkf.de .