Es wird ein Wein sein
Girlan - Weinlese und Törggelen in Südtirol - mit Hartmut, dem Traubenflüsterer, hat sich in den hängenden Gärten über Bozen, auf die Spur des neuen Jahrgangs begeben.
Hans arbeitet schon seit der Früh. Seine Hände sind klebrig vom Rebensaft, aber der blaue Schurz steht immer noch wie frisch gebügelt, so zart fasst der Mann seine Trauben an. Schnipp! - und wieder bettet er eine Rispe in den Eimer, behutsam wie ein Juwelier die Perlen auf Samt. "Basst!" sagt Hans Niedermaier mit Überetscher Knappheit. "Naa - super!" Will heißen: Ein hervorragender Jahrgang wird das heuer!
In Girlan herrscht eitel Freude
Hätte auch anders kommen können. Drüben in Kaltern etwa hat's einigen Kollegen die Ernte ziemlich verhagelt. Hier in Girlan aber, in den hängenden Gärten über Bozen, herrscht eitel Freude. Eine frühe Blüte, ein warmer Sommer, alles optimal! Und nun wird gerade der Blauburgunder eingefahren. Die dunklen Beeren sitzen dicht an dicht, weil Hans die Blüten in weisem Verzicht halbiert hatte. "Das bringt Essenz", sagt sein Freund Hartmut und streichelt mit der Fingerkuppe über die von wächsernem Hauch überzogenen Fruchtkugeln.
Zu Milliarden sind sie durch seine Hände gegangen. Chardonnay, Traminer und Vernatsch - immer gleich tonnenweise! Hartmut Spitaler war ein Leben lang Kellermeister der Girlaner Genossenschaft, wie vor ihm schon der Vater. Die Weine tragen seine Prägung, auch optisch. Auf den Etiketten des legendären "Vernatsch Gschleier", einem limitierten Manna aus hundertjährigen Reben, oder des samtigen Blauburgunders "Trattmann" machen - seine Idee! - die raunzigen Südtiroler des Zeichners Paul Flora ihre Faxen.
In einem Labyrinth von Kellern
Für den Wein hat sich Hartmut, der von manchem Wetter gebräunte Pensionär und hochsensible Traubenflüsterer vom Jahrgang '42, noch einmal in die Verantwortung nehmen lassen. Als Obmann des Vereins Wein-Welt Girlan steigt er mit uns in Shorts und Polohemd über Kabel und Bauschutt in die Unterwelt. Keller mit gestampften Böden tun sich auf, Gewölbe aus nackten Feldsteinen, ausgelegt mit Flusskieseln. Im Tausch gegen Baurecht hat die Gemeinde mitten im Ort den Brigl-Keller erworben. Als Anfang.
"Hier unten ist Girlan größer als oben", sagt Hartmut und folgt dem Schein der Taschenlampe, "ein Labyrinth von Kellern, viele aus dem 15. Jahrhundert." Irgendwann wird man durchstechen zum Rössl-Wirt nebenan, dessen Familie schon seit 400 Jahren auf dem Haus mit der gotischen Stube sitzt. Und dann ist es nur noch ein Sprung über die Straße zur Unterwelt vom Glögglhof, dessen Geviert vor lauter Blüten fast in Flammen steht: "Brennende Lieb" - so nennt man hier die knallroten Geranien.
Der Kirchplatz duftet nach gerösteten Kastanien
Schon denkt der Hartmut an geführte Touren und kulturelle Events. Schließlich haben allein die vier Vorzeige-Katakomben des Dorfes eben erst ein fulminantes Kellerfest gegeben. Mit fünfzig Bussen rollten die Besucher herbei, der Landeshauptmann zapfte an. Und am 17. Oktober wird nun mit ebenso viel Hallo "Die letzte Traubenfuhre" eingebracht. Dann duftet der Kirchplatz nach gerösteten Kastanien, und anschließend geht's zum Törggelen mit Surfleisch, Kraut und Hauswurst, mit frischen Krapfen und - na klar - jeder Menge Wein.
Noch kann man der letzten Fuhre gelassen entgegen gehen, zum Beispiel auf den grasigen Wegen des Natur- und Weinlehrpfads "Hoher Weg". An uralten Trockenmauern geht's entlang, vorbei am Wegkreuz, an Goldruten und karminroten Hagebutten, mitten durch die Weinberge. Links hängen dunkel die Vernatschtrauben unter ihrem grünen Pergeldach. Rechts reihen sich an glatten Drahtrahmen die kupfernen Beeren des Gewürztraminers und des Ruländers (sprich Pinot Grigios). Mit zarten Fingern pflückt Hartmut eine gelbgrüne Sauvignon-Beere. Frisch gemähtes Gras! Brennesseln! signalisiert der Gaumen. Der Wein 2009 schickt seinen Duft voraus.
Die Probe kann beginnen
Wir sind im "Gschleier", Girlans bester Lage. Der Name geht auf die Römer zurück, goldene Fibeln hat man gefunden, hier am Saum der Via Claudia Augusta, die von Rom ins finstere Germanien führte. Sanft fallen die grünen Zeilen ab zur hellen Bozner Stadt. Rechts zackt die Ruine von Sigmundskron empor mit Reinhold Messners Mountain Museum. Fern überm Talschluss thront Südtirols Markenzeichen, der Schlern.
Hier hat auch Hartmut seinen Weingarten. Und weil er eben ein echter verwurzelter Südtiroler ist, lustig und lebensfroh wie auf den Girlaner Etiketten, hat er direkt unter einer Pergel mit Blick aufs Etsch- und Eisacktal eine Bier-Garnitur aufgebaut. Duftende Rosen liegen auf dem Tisch und die passenden Trauben zu jedem Wein. Die Probe kann beginnen!
Gerhard Merk
Weitere informationen:
Infos über Girlan und das Weinland im Südtiroler Überetsch zwischen Eppan und Kaltern gibt es unter www.ueberetsch.com.
Zum Thema Törggelen informiert www.suedtirol.com.
Die Kellerei Girlan (www.girlan.it) steht Besuchern offen.
Sehenswert: das www.messner-mountain-museum.it.
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