Enid Blyton: Die Schatzinsel
Dorset - Georgina natürlich. Jede wollte wie sie sein. Auch jedes Mädchen, das lieber mit Barbie-Puppen als mit Autos spielte. Georgina war die Coolste der fünf Freunde, die ja eigentlich nur vier waren: Timmy, der Hund, wurde aber netterweise dazugezählt. Georgina ist das burschikose Mädchen. Viele hielten sie für einen Jungen, weil die Haare so kurz sind, ihr Verhalten so mutig ist.
Der erste Band „Fünf Freunde erforschen die Schatzinsel“ feiert dieses Jahr Jubiläum. Enid Blytons „Famous Five on a Treasure Island“ – so der englische Originaltitel – wurde 1942 veröffentlicht. Jetzt erinnert sich auch Dorset daran. Vor allem die Ladenbesitzerin Vivienne Endecott, die wirklich ein bisschen wie Georgina aussieht und eine Blyton-Spezialistin ist. Blytons Bücher, darunter auch die Jugendbuchreihe „Hanni & Nanni“, wurden über 600 Millionen Mal verkauft. Sie ist bis heute eine der bekanntesten Kinderbuchautorinnen des 20. Jahrhunderts.
In der Bahnstation Norden Park gibt es einen kleinen Raum. Vivienne, die sich gerne Viv nennen lässt – wie Georgina auch George– serviert Ginger Beer, ein scharf schmeckendes Getränk aus Ingwer, wie es die fünf Freunde in den Geschichten gerne trinken. Hier fährt die nostalgische Swanage Railway zur Sehenswürdigkeit Corfe Castle.
Corfe Castle oben auf dem Hügel soll Blyton zu ihrem Romanschauplatz Kirrin Castle inspiriert haben. Der erste Film aus dem Jahr 1957 wurde hier gedreht. Für die Version 2012, die jetzt im Kino anläuft, wurden die Drehorte jedoch nach Schleswig-Holstein verlagert. Fans der „Fünf Freunde“ fahren 2012 dennoch in den Süden Englands, besuchen den Ginger Pop Shop von Viv Endecott, der nur wenige Meter von der zerfallenen Burg entfernt, gleich neben dem Postamt, eröffnet hat. Die graue Suppe, die heute um die Burg wabert, erinnert am ehesten an „Fünf Freunde im Nebel“ und an das Klischee von britischem Wetter. Plötzlich muss man an den alten englischen Witz denken: „Wenn du das englische Wetter nicht magst, dann warte einfach fünf Minuten.“ Hier ist etwas Wahres dran. Sogleich scheint wieder die Sonne.
Über 750 Bücher hat Blyton geschrieben. Einige davon wurden von der schnuckeligen Grafschaft Dorset inspiriert. Blyton lebte zwar in Buckinghamshire, machte aber hier regelmäßig Urlaub – über 20 Jahre lang, dreimal im Jahr. Dorset ist „Fünf Freunde“-Land. Jede englische Grafschaft, so scheint’s, schreibt ihre eigenen Geschichten. Während man in Cornwall jedes schmalzige Rosamunde-Pilcher-Klischee leben kann, im Dartmoor den Hund der Baskervilles von Arthur Conan Doyle jagt, Torquay die Heimat von Agatha Christie ist und man sich im Bodmin Moor auf Daphne-du-Maurier-Terrain bewegt, ist Dorset ein bisschen Blyton, aber auch Thomas Hardy und Ian McEwan – und vor allem maßlos unterschätzt.
Dorset liegt nicht weit von London, gute eineinhalb Autostunden. Die Fahrt geht durch den New Forest, ein verwunschenes Postkartenidyll, durch das immer wieder Ponys springen. Rund 5000 davon leben hier in freier Wildbahn. Die Grafschaft ist ländlich. Keine Autobahnen, keine riesigen Supermärkte, keine hässlichen Sporthallen. Eben nichts, was den hübschen Anblick verschandeln könnte. Da sind kleine Dörfer, die aus der Zeit oder zumindest aus einem Jane-Austen-Film gefallen sind. Reetgedeckte Cottages. Jenes von Thomas Hardy ist zum Beispiel ein wahres Prachtexemplar. Hübsche Häuschen überall. Und es gibt die eindrucksvolle Küste, die locker mit den Klippen von Dover und den bezaubernden Landstrichen von Cornwall mithalten kann. Und die Gärten natürlich. Voll von Rosen, Hortensien und Clematis. Dorset ist ein schönes, aber nicht so bekanntes Fleckchen England. Es gibt hüfthohe Hecken und Biobauernhöfe. Und natürlich die schönen Strände sowie das für Warmbader-Verhältnisse saukalte, aber schöne, türkisfarben leuchtende Wasser mit um die 18 Grad im Hochsommer.
In Dorset hat Enid Blyton also ihren Urlaub verbracht, hat Golf gespielt und lange Spaziergänge gemacht. Ihr Mann soll ihr im Urlaub immer verboten haben zu schreiben. Noch heute scheint alles ein bisschen langsamer voranzugehen. Auch in Weymouth, einem Seebad wie Brighton in klein. Hier gibt es alles, was die Engländer zum Urlaubmachen brauchen: Wasser, Promenade und Pubs. Im Hafen reihen sich die Restaurants aneinander.
Es gibt viele dieser Seebäder an der Küste. Poole oder Bournemouth etwa – inklusive lautem Spielhöllen-Amusement am Strand, den der gemeine Brite angeblich zum Sommerurlaub-Glück benötigt. Weymouth ist anders. Da hat es hübsche Cafés an der Promenade, Sandkunst, ein Karussell und Kasperletheater. Und mittendrin thront König Georg III. – zumindest eine Statue von ihm. Das Städtchen kam zu seinem Seebad-Ruf dank den Royals. Der König hat hier seine Urlaube verbracht. Der guten Luft wegen.
Doch Weymouth ist nicht Brighton, das schicke Urlaubsziel der Londoner. Dorset ist nicht angesagt wie die Cotswolds, wo Supermodel Kate Moss ihr Häuschen hat. Und genau das macht die Grafschaft so liebens- und entdeckenswert. Es ist schlichtweg unaufgeregt. Weymouth bereitet sich entspannter als London auf die Olympischen Spiele vor. Hier werden die Wettbewerbe im Segeln ausgetragen. Viel Geld wurde in die Infrastruktur und Zuschauerplätze investiert.
Die Britische Schriftsteller Jane Austen war zweimal im Urlaub in Dorset, genauer in Lyme Regis. Heute kommen die Menschen immer noch hierher, um sich zu erholen. Aber auch welche, die Fossilien suchen. Der Chesil Beach ist Teil der 155 Meter langen Küste namens Jurassic Coast. Gelegen zwischen Orcombe Point und Old Harry Rocks. Zusammen mit dem Geologen Brandon Lennon kann man sich auf Fossilienjagd begeben. Lyme Regis lebt vom Fossilien-Fantum. In den Schaufenstern liegen Steine, die Laternen sind mit Schnecken verziert. In dem Städtchen wurde 1811 das weltweit erste komplette Ichtyosaurier-Skelett gefunden. Und hier ließ McEwan sein Pärchen in „Am Strand“ die missglückte Hochzeitsnacht verbringen. Doch für Viv Endecott kann es allerdings nur eine wahre Dorset-Autorin geben: „Blyton lieferte den Stoff, den man heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke liest.“
Anreise
Viele Fluglinien wie British Airways (www.britishairways.com) und Lufthansa (www.lufthansa.com) fliegen schon ab etwa 100 Euro nach London. Von Heathrow aus am besten einen Mietwagen nehmen. Es gibt aber auch direkte Zugverbindungen von der Londoner Waterloo Station oder dem Flughafen. Informationen unter www.thetrainline.com
Unterkunftstipp
Im Christchurch Harbour Hotel kann man schön übernachten (DZ ab 140 Euro pro Nacht, www.christchurch-harbour-hotel.co.uk).
Das Hotel-Restaurant The Jetty gilt als bestes Fischrestaurant der Gegend.
Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall Corfe Castle in dem englischen Ort Corfe besuchen. Neben dem Postamt ist der Ginger Pop Shop von Viv Endecott (www.gingerpop.co.uk).
Auf keinen Fall drängeln. Die Engländer stehen sehr anständig und geduldig Schlange.
Sonstiges
Informationen unter www.visitbritain.de.
Ausflugsziele
Portland Bill mit seinem Leuchtturm ist die südlichste Spitze Dorsets. Das Lulworth Cove und Durdle Door sind zwei wirklich sehenswerte Strandabschnitte. Am Chesil Beach beim Örtchen Lyme Regis kann man auf Fossilienjagd gehen (www.jurassiccoast.com). Der eindrucksvolle Wanderweg namens South-West-Coast-PathNationalpfad führt auch an der Küste von Dorset entlang.
Insgesamt ist er über 1000 Kilometer lang. Das Seebad Weymouth ist ein schönes Städtchen. Tolles Essen gibt es im Restaurant Perry in Weymouth (www.perrysrestaurant.co.uk). Auch gut: das Smugglers Inn, ein Pub in Osmington Mills (www.innforanight.co.uk).
Literatur
Insidertipps gibt der Lonely-Planet-Reiseführer „Cornwall, Devon & Südwestengland“ (17,95 Euro).