Ein Paradies für Exzentriker

Auf ausgeprägte Individualisten übte Capri schon immer eine magische Anziehungskraft aus. Heute machen sich die Besucher der Promi-Insel gern auf die Spuren von Kaisern und Baronen.
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Blick vom Monte Solaro, Foto: B. Schwerfeger
srt Blick vom Monte Solaro, Foto: B. Schwerfeger

Capri - Auf ausgeprägte Individualisten übte Capri schon immer eine magische Anziehungskraft aus. Heute machen sich die Besucher der Promi-Insel gern auf die Spuren von Kaisern und Baronen.

Der erste Blick geht in den Abgrund. Über 300 Meter fällt der Felsen senkrecht zum Meer hinunter. Hier soll Kaiser Tiberius einst seine unliebsamen Gäste und Bedienstete hinunter gestoßen haben. Ein paar Meter weiter stößt der Besucher auf die ersten Mauerreste der Villa Jovis, der größten und prächtigsten der zwölf Villen, die der römische Kaiser auf Capri errichtet hat. Im Jahr 26 nach Jesus Christus machte er die weitläufige Villa an der Ostspitze der uneinnehmbaren Felseninsel zu seinem Regierungssitz und herrschte von hier aus elf Jahre bis zu seinem Tod über das römische Weltreich.

Acht Stockwerke soll das palastartige Gebäude gehabt haben, deren Reste über mehr als 7000 Quadratmeter verteilt sind. Doch wie der einstige Prachtbau aussah, bleibt dem Besucher verborgen. Hinweisschilder - sofern überhaupt vorhanden - geben Rätsel auf. Schmale Pfade oder bröckelnde Stufen enden oftmals abrupt an einer Absperrung. Wo sich einst die prachtvollen Säle und Privatgemächer, Wandelgänge und Terrassen befunden haben, bleibt der eigenen Phantasie überlassen. Glaubt man seinen Biographen, soll der misstrauische Kaiser hier einer exaltierten Lebensweise inklusive sexueller Ausschweifungen gefrönt haben. Damit war Tiberius wohl der erste Exzentriker, der auf der Insel Zuflucht suchte und dem noch viele folgten.

Die Blaue Grotte brachte den Ruhm

Weltweiten Ruhm erlangte die Insel aber erst 1826, als der schlesische Schriftsteller August Kopisch die - vermutlich schon in der Antike bekannte - Blaue Grotte entdeckte. Danach galt es in Intellektuellenkreisen als schick, nach Capri zu reisen. Emigranten, Exzentriker und ausgeprägte Individualisten zog es auf die zwölf Kilometer große Felseninsel. Bei Künstlern, Schriftstellern und Schauspielern avancierte Capri zum beliebten Winter- und Ferienquartier und etliche wie der Dichter Rainer Maria Rilke, der Schriftsteller Maxim Gorki oder der Industrielle Friedrich Alfred Krupp ließen sich hier für längere Zeit nieder.

Noch heute ist Capri Treffpunkt der Reichen und Schönen

Ihr Wohnzimmer ist die Piazzetta, der malerische Hauptplatz im Ort Capri. Wo sich tagsüber die Tagestouristen drängen und ihren überteuerten Cappuccino trinken, treffen sich abends Einheimische, Stammgäste und Promis. Dann wird der von ockerfarbigen Häusern und einer kuppelreichen Pfarrkirche umrahmte Platz zum Jahrmarkt der Eitelkeiten. Rund um die Piazzetta reiht sich eine Edelboutique an die andere und wohl kaum eine andere Straße dürfte auf so engem Raum so viele Luxuslabels vereinen wie die Via Camerelle. Einen petrolgrünen Sommermantel gibt es dort schon für 3100 Euro, ein Paar hochhackige lila Sandalen für 370 Euro.

Doch schon ein paar Meter abseits der autofreien Hauptgassen zeigt Capri ein ganz anderes Gesicht. Schmale Häuser, teils mit Stützbögen verbunden, säumen die schmalen Passagen. Steile Stufen oder niedrige Gewölbe führen zu den Eingängen. In kruscheligen Tante-Emma-Läden halten capresische Hausfrauen ihren Plausch und in den Schaufenstern liegen Häkeldecken. Es ist gerade dieser Kontrast, der die Promi-Insel so sympathisch macht.

Am Nachmittag hat man die Villa San Michele für sich allein

Ihr Charme erschließt sich allerdings nur demjenigen, der auch hier übernachtet und sich antizyklisch und abseits der Touristenhorden bewegt. So hat man am späten Nachmittag sogar Capris beliebteste Touristenattraktion - die Villa San Michele - fast für sich allein. Hunderttausende strömen jedes Jahr in das hoch über dem Meer gelegene Haus des schwedischen Modearztes Axel Munthe, drängen sich in den Gemächern mit den antiken Kunstschätzen und auf der Pergola mit ihren gepflegten Blumenbeeten, bis sie schließlich bei der Sphinx-Statue am Ende des Gartens einen der schönsten Blicke über die Insel und den Golf von Neapel erhaschen.

Dagegen bleibt die Villa Jovis von den Touristenhorden weitgehend verschont. Schließlich erreicht man die Ausgrabungsstätte nur nach einer mehr als einstündigen Wanderung von der Piazzetta aus und dafür bleibt den Tagesbesuchern nicht genug Zeit. Wer noch mehr Einsamkeit sucht, der wandert unterhalb des Tiberius-Palastes zur Villa Lysis. Treppauf und treppab schlängelt sich der schmale Pfad durch den dichten Wald bis zur Steilküste. Im Zickzack-Kurs geht es hinunter und man wähnt sich schon in der Wildnis verloren, bis plötzlich - wie ein verwunschenes Märchenschloss - der pompöse Prachtbau der Villa Lysis zwischen dunklen Kiefern und Zypressen auftaucht und das Auge geblendet wird von den schneeweißen, kannelierten Säulen der dorischen Vorhalle, deren eingearbeitete Mosaike aus Goldplättchen in der Sonne glitzern.

Morbide Atmosphäre

An diesem völlig abgeschiedenen Fleck lebte von 1905 bis 1923 der Stahlbaron, Dichter und Dandy Baron Jacques d'Adelswaerd Fersen mit seinem geliebten Zeitungsjungen Nino. Die exaltierten Nächte in der Villa mit dem ockergelben Opiumzimmer waren damals Inselgespräch. Doch dann setzte der homosexuelle Baron seinem Leben mit einer in Champagner aufgelösten Überdosis Kokain ein Ende.

Noch heute strahlt die am Abgrund gebaute Villa mit ihren Mosaikverzierten Räumen etwas von der morbiden Atmosphäre aus. Vom Säulen-Portal führt ein Trampelpfad zu den Resten eines Tempels auf einem Felsvorsprung. Tief unten liegt der Hafen Marina Grande, in dem täglich Hunderte von Touristen ankommen, um etwas vom Zauber Capris und den Mythen um Kaiser und Barone zu erhaschen.

Bärbel Schwertfeger

Weitere Informationen

Staatliches Italienisches Fremdenverkehrsamt ENIT, Neue Mainzer Str. 26, 60311 Frankfurt am Main, Tel. 069/237434, Fax 232894, enit.ffm@t-online.de, www.enit-italia.de;
Anreise: Der nächste Flughafen ist Neapel, ab Neapel fahren regelmäßig Boote nach Capri. Die Fahrt dauert zwischen 45 und 60 Minuten.

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