Ein Glas bei Jungfrau Jeanne

Der Loire-Radweg ist fertiggestellt. Auf 800 Kilometern reihen sich Schlösser, Reben und Natur.
Franz Lerchenmüller aus Sancerre |
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Sancerre - Man muss auch manchmal Nachsicht üben mit sich selbst. Man darf das Rad und den sportlichen Teil des Tages abschließen, auch wenn man erst die Hälfte der geplanten Etappe hinter sich hat. Vor allem, wenn es gute Gründe dafür gibt. Und jetzt stehen gleich acht davon auf dem Tisch des „Maison de Sancerre“, funkeln in der Sonne und tragen so klangvolle Namen wie „Menetou Salon“, „Coteaux du Giennois“ und „Pouilly Fumé“. Eigentlich bleibt da gar keine andere Wahl, als die Welt des Tretens und Trampelns einzutauschen gegen die der Düfte und Aromen, den leichten Ananas-Anklängen des Sancerre nachzuschmecken, im feinmineralischen Quincy nach Anmutungen von Holunder zu fahnden oder sich auf der Obstwiese des Pouilly Fumé zu verlieren.

Gleich danach unterfüttert man beseligt die neu gewonnenen Erfahrungen mit Wissen: Ein Relief am Boden veranschaulicht die geologische Vorgeschichte des Centre Loire. Proben der vier unterschiedlich mit Kalk und Feuerstein durchsetzten Böden belegen, warum das Gebiet so viele verschiedene Weine hervorbringt. Und im Garten wachsen Kirschen, Rhabarber und Haselnüsse, deren Aromen sich in den Weinen wiederfinden. Wein gehört zur Loire wie das Baguette zu Frankreich und ist somit unverzichtbar auch für den nun komplett ausgebauten Loire-Radweg. Der beginnt in Cuffy bei Nevers und endet nach 800 Kilometern in La Baule am Atlantik. Rapsäcker und Salzfelder, Schlösser und Höhlenwohnungen säumen die Strecke. Durch menschenleere Auen führt sie und durch Gegenden, in denen Dörfer und Städte ineinander übergehen. Südlich von Sancerre erstreckt sich rund 50 Kilometer lang der ungezähmteste Teil, das Naturreservat „Val de Loire“. In den Auenwäldern verklammern sich bemooste Erlen, Brombeerruten und die Fußangeln der Wilden Rebe zu einem schwer durchdringlichen Dschungel. Schwarz schillern Moortümpel, davor leuchtet gesplitterter Holunder weiß wie Knochen.

Prachtstücke französischer Kultur reihen sich aneinander

Noch nicht allzu breit mäandert der Fluss dahin, umspielt Sandinseln und schiebt Kiesstreifen klackend zu neuen Uferlinien zusammen - dauernd verändert er sein Gesicht. Am besten, man steigt ab und sieht ihm eine Weile dabei zu. Bei etwas Ziegenkäse aus dem nahen Chavignol vielleicht. Und einem Glas, sagen wir, fruchtigen Reuilly? Nordwestlich von Sancerre wird der Fluss breiter und gesitteter, königlich erhaben fast. Denn es wartet das Schloss von Sully-sur­Loire, das erste von rund 800, die noch kommen werden. Es stammt aus dem 14. Jahrhundert. Wehrgang, Prunksaal und Schlafzimmer sind bestens erhalten. Auf dem Dachboden aber staunt der Besucher: Wie Spanten eines umgedrehten Schiffsrumpfs ragen die gebogenen, 600 Jahre alten Eichenbalken hoch und treffen sich 15 Meter weiter oben spitz im Halbdunkel, gebaut für eine kleine Ewigkeit. Immer mehr Prachtstücke französischer Kultur reihen sich aneinander.

Durch die romanischen Bögen des Portalturms der Abtei von Fleury jagt der Wind so harsch, als ärgere er sich seit fast 1000 Jahren, dass er dem Stein nichts anhaben kann. Die kreuzförmige Betkapelle des Oratoriums im nahen Ger­­mi­gny-des-Prés stammt gar aus der Epoche Karls des Großen, auch das byzantinische Mosaik, das die Bundeslade mit vier Engeln zeigt, wurde zu dieser Zeit zusammengesetzt. 1200 Jahre steingewordene Geschichte: Vielleicht sollte man darüber noch mal in Ruhe bei einem Glas Chateauxmeillant nachdenken? Immer auf dem Damm geht es Richtung Orléans. Enten steigen auf, fluffige Wolken treiben über einen weiten Himmel, der Wind treibt Schauer übers Wasser.

Das „trügerische, unverlässliche, betrügerische Volk der Schiffer“ 

Ein Fluss ist immer auch eine Verkehrsader, das zeigt anschaulich das „Musée de la marine“ in Chateauneuf-sur-Loire. Sie müssen raue Kerle gewesen sein, die Flussschiffer. Nonnen in Orléans konnten wohl ein Lied davon singen. Sie schickten ihren Papagei, der trefflich fromme Choräle krächzte, per Boot zu ihren Ordensschwestern nach Nantes. Doch als der musikalische Vogel dort eintraf und den Schnabel auftat, kamen nur noch obszöne Sauflieder heraus. Ein Mann namens Elie Brachenhoffer, der 1643 durch Frankreich reiste, bestätigt den schlechten Ruf der Branche: Nie gleich zahlen empfiehlt er den Passagieren. Und: den Jungs nichts zu trinken geben! Denn dem „trügerischen, unverlässlichen, betrügerischen Volk der Schiffer“ könne man einfach nicht über den Weg trauen. Endlich Orléans. In diesem Jahr wird der 600. Geburtstag der „Jungfrau“, Jeanne d’Arc, gefeiert, auch wenn sich das Geburtsjahr nicht so recht belegen lässt. Das Maison de Jeanne d’Arc, ein 1961 erstellter Nachbau des Hauses, in dem die junge Frau sich 1429 aufhielt, ist noch rechtzeitig umgestaltet worden: Eine Zeittafel und ein Film dokumentieren die Stationen ihres Lebens.

Die anschließende Entdeckertour in der Stadt gerät zum Suchspiel: Wo findet man Bilder und Statuen des Bauernmädchens aus Lothringen? Fündig wird man in der Kathedrale, am alten Rathaus, im Historischen Museum, in den Foyers von Hotels, in den Fenstern der Chocolatiers. Ansonsten aber gibt es auch in Orléans alte Keller und guten Wein, es gibt Cafés am Ufer der Loire. Und was wäre jetzt passender, als ganz in dieser Sommerfrische-Laune aufzugehen, sich eine Quiche kommen zu lassen und ein Gläschen kühlen, köstlichen San­cerre zu leeren? Man muss nur manchmal gnädig sein mit sich selbst.


Anreise
Flug: nach Paris und weiter mit dem TGV Richtung Tours;
Bahn: mit dem TGV von Stuttgart oder Frankfurt nach Paris. Weiterfahrt Richtung Tours. Pkw: ab Paris über A 10, A 11, A 71, A 20 (Orléans 99 km).

Unterkunft
Hotel de l’Abeille: recht zentrale Lage, höchst unterschiedlich gestaltete Zimmer ab 69 Euro. 64, Rue Alsace Lorraine, 4500 Orléans, www.hoteldelabeille.com ;
Hotel Le Clos Saint-Martin: großzügige Zimmer, nettes Frühstück, ab 77 Euro. 10, Rue Saint-Martin, 18300 Sancerre, www.leclos-saintmartin.com .

Essen und Trinken
Le Pavillon Bleu: Lasagne von Rettich und Ochsenbäckchen, Schellfisch mit Spargel, Dessertminiaturen. Zwei Gänge 25 Euro, drei Gänge 33 Euro. 351, Rue de la Reine Blanche, 45160 Olivet, www.lepavillonbleu-restaurant.com.
Eugene: Rote-Bete-Carpaccio mit geräuchertem Heilbutt, Zander mit Essigsoße. Zwei Gänge 35 Euro, drei Gänge 45 Euro. 24, rue Sante-Anne, 45000 Orléans, www.restauranteugene.fr
Weinproben Maison de Sancerre: Ausstellungsrundgang mit anschließender Weinprobe. 3, rue du Méridien, 18300 Sancerre, www.maison-des-sancerre.com.
Ver di vin: Weinprobe mit oder ohne Menü. 2, Rue de Trois Maries, Orléans, www.verdivin.com .

Allgemeine Informationen
Atout France,Postfach 100128, 60001 Frankfurt, www.rendezvousenfrance.com
Fahrradverleih, Gepäcktransport und Übernachtungen: www.loireradweg.org
Loire-Weine: www.vins-centre-loire.com
Schloss Sully: www.sully-sur-loire.fr
Orléans: www.tourisme-orleans.com
Sancerre: www.ville-sancerre.com.

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