Die vergessenen Täler der Mauren
Alicante - Es ist manchmal so, als ob das Echo noch immer den Ruf des Muezzins zum Gebet durch die verwinkelten Täler der Sierra de Migdia, der Sierra de la Foradà und ihrer Nachbargebirge trägt. Als ob die tonnenschweren, rund geschliffenen Felsbrocken im ausgetrockneten Flussbett und die vor Jahrhunderten aufgeschichteten Terrassen an den Hängen mit ihren Oliven- und Mandelbäumen, als ob Felsvorsprünge und -überstände mit den Geräuschen Fangen spielen. Als ob sie den Klang immer wieder hin und her werfen, bis daraus in der Fantasie der Wanderer und Kletterer wieder Worte geworden sind.
Eigentlich aber ist es still hier. Nur ab und zu ruft ein Käuzchen, nur Vögel singen, nur der Wind flüstert - und manchmal schlägt irgendwo in einem der wenigen kleinen Dörfer eine Haustür, hupt mal ein Laster voller Orangenkisten vor einer Kurve, schurrt ein Wirt die zwei, drei Plastiktischchen vor seiner Bar auf dem Pflaster zurecht. Und an Sonntagen läuten die Kirchturmglocken. „Allahu akbar“ ruft hier niemand mehr - obwohl die maurischen Eroberer Spaniens sich in den Tälern und Bergen hier im wild zerklüfteten Hinterland der Costa Blanca noch gut anderthalb Jahrhunderte länger als anderswo versteckt hielten, ein ruhiges Leben führten und Ackerbau auf terrassierten Hängen betreiben konnten. Aus Andalusien, aus Valencia, aus der Mitte des Landes waren sie längst mit dem Schwert zurück über die Meerenge von Gibraltar nach Nordafrika verjagt worden. Hier aber überdauerten sie fünf Generationen länger als ihre von den christlichen Königen im Rahmen der Reconquista, der Rückeroberung der Iberischen Halbinsel, niedergemetzelten Vorfahren. Sie konnten bis 1609 bleiben, weil kaum einer von ihnen wusste und lange niemand den Weg hinein in ihre Welt fand: in kaum zugängliche Täler, hinter bis zu 1165 Meter hohen grauen Wände aus Stein, auf Hochebenen, in deren Tälern in den Sommermonaten die Hitze flirrt.
Noch heute profitieren die Menschen von den Mauren
Es hat sich wenig verändert seitdem. Noch immer werden Früchte jener Olivenbäume geerntet, die einst die Mauren gepflanzt haben. Noch fließt Wasser durch schmale Kanäle, durch Leitungen, die die Mauren angelegt haben. Und noch immer steht manche ihrer Festungen - oft zur Ruine zerfallen, manchmal erhalten und doch kaum aus der Nähe beschaut wie das viereckige Kastell des Dörfchens Forna. Ein schmales Asphaltband windet sich inzwischen durchs Vall de Gallinera, durch Dörfer mit noch immer maurisch klingenden Namen: durch Benirrama und Beniali, durch Benissivà und Benitaia. Nur eine holperige Sandpiste voller Schlaglöcher ist es im Vall de Laguar, eine kaum befahrene Landstraße bis aufs Hochplateau hinauf und an der anderen Seite wieder hinunter im Vall de Ebo und dem Vall d´Alcala. Und als Sackgasse endet die schmale Straße in Benimaurell oberhalb von Fleix nicht weit vom Barranc de l’Infern, der gewaltigsten Schlucht der Region. Dort beginnen die schmalen Wanderpfade durchs Mauren-Reich, manche ausgeschildert, andere gerade noch zu erraten.
Über 1000 vor Jahrhunderten in den Fels geschlagene Stufen sind es, die von Fleix aus erst in Serpentinen und bald immer steiler durch einen natürlichen Torbogen aus Gestein hinabführen ins Tal und auf der anderen Seite wieder hinauf. Wildblumen blühen am Weg, es duftet nach Rosmarin und Kräutern. Angelegt haben die Mauren diese Treppen, um einen gut zu verteidigenden Weg durch die Berge zu haben. Sie sind bis heute erhalten - wie mancher ihrer Brunnen. Zerfallen ist vieles von dem, was erst danach entstanden ist: die Kirche bei Benichembla, aus Naturstein aufgeschichtete Schäferhäuser im Nichts, Fincas im Nirgendwo. Wo früher mal jemand wohnte, sonnt sich heute ein Salamander auf der Stufe zum Hauseingang. Wer sich still danebensetzt und der Fantasie ihren Lauf lässt, sieht plötzlich Männer mit Turbanen, Frauen mit Schleiern, hört den Schlag von Tamburinen, den Klang von Schlangenbeschwörer-Flöten. Und wieder ist es nur der Wind im Zusammenspiel mit den Gedanken, der all das in die Luft malt.
In den Bergen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein
Warum aber die Mauren sich gerade hierher zurückzogen hatten? Weil die Gegend am Weg lag und weil sie schwer zugänglich ist. Weil die Täler fruchtbar, die Quellen klar, die Berge von der Natur geschaffene uneinnehmbare Festungen sind. Und weil der Ausblick von den Kuppen der Sierras Richtung Osten grandios ist: hinab auf das keine 15 Kilometer entfernte Mittelmeer, auf dunkles Blau, das in der Ferne mit dem Himmel verschmilzt - dort, wo gerade die Fähre von Dénia nach Mallorca den Horizont hinunterkippt. Das Schiff hat es damals noch nicht gegeben, auch nicht die vielen Ferienhäuser, die Apartmentgebäude und die Küstenautobahn zwischen Gebirgen und Meer. Seltsam, dass all das heute da ist und in den Bergen trotzdem die Zeit stehengeblieben scheint:
Restaurants sind dort die Ausnahme, Hotels haben Seltenheitswert, nach und nach erst entstehen einzelne, Casas Rurales genannte, Quartiere mit Gästezimmern.
Dabei fördert die EU 55 Hinterlandgemeinden seit 1999 auch in ihrer touristischen Entwicklung. Die Gelder dürfen nur an Dörfer in „landwirtschaftlich benachteiligten Gebieten“ mit maximal 1000 Einwohnern ausgeschüttet werden. Erste Erfolge sind sichtbar: Im Dorf Beniali gibt es mittlerweile ein Landhotel, in Alcala de la Joveda noch eines. Ein paar Türen weiter bietet jemand Landrover-Exkursionen auf Feld- und Forstwegen durch die kaum berührte Landschaft an.
Und auch bei Benimaurell, hoch auf einem Plateau, hat ein Hotelier von der Küste in ein Vier-Sterne-Haus in den Bergen investiert. Das lange verschlossene Kastell von Forna wird nach und nach restauriert, und auf Voranmeldung bei der Gemeinde werden jetzt sogar Besucher hineingelassen. Die Gegend erwacht wieder, es tut sich etwas - in kleinen Schritten.
Anreise
Flug mit Air Berlin, www.airberlin.com, nach Alicante für realistisch ab circa 120 Euro pro Strecke, mit Lufthansa, www.lufthansa.com, zu ähnlichen Preisen nach Valencia. Beide Flughäfen sind etwa 100 Kilometer von den Mauren-Tälern im Hinterland der Costa Blanca entfernt - Valencia in nördlicher, Alicante in südlicher Richtung. Leihwagen z. B. bei Holiday Autos, www.holiday-autos.de
Unterkunft
Hotel Alahuar bei Benimaurell, www.hotelalahuar.com, ab 74 Euro.
Hotel La Font de Alcala in Alcala de la Joveda, www.vall-mar.com, ab circa 80 Euro.
Hotel El Capricho de la Portuguesa in Beniali, www.elcaprichodelaportuguesa.com, ab 90 Euro.
Wetter
Am angenehmsten ist es im Hinterland von Februar bis Mai und im September/Oktober, wenn sich die Temperaturen zwischen 12 und 25 Grad bewegen. Im Sommer ist es oft sehr heiß, im Winter dagegen empfindlich kühl.
Was Sie tun und lassen sollten
Auf keinen Fall sollten Sie ohne präzise Landkarte wandern gehen. Die Wege sind oft unvollständig ausgeschildert, manche Pfade verlieren sich im Nichts oder setzen Kletterkünste voraus.
Auf jeden Fall sollten Sie in einem der Hinterland-Hotels übernachten, um auch die Abende in den Dörfern zu erleben und nicht nur als Tagesbesucher von der Küste zu kommen.
Allgemeine Informationen
Spanisches Fremdenverkehrsamt, Myliusstr. 14, 60323 Frankfurt/M., Tel. 069 / 72 50 38, www.spain.info