Berchtesgaden: Das Salz der Erde
Berchtesgaden - Satt vibrierend breitet sich der dunkle Ton aus. Kriecht die eisgraue Wand hinauf. Hoch unter das gewaltige, salzspendende, ins Gestein gefräste Deckengewölbe. 800 Meter tief im Berg schlägt Hilde Baumeister immer wieder sanft gegen die bronzenen Klangschalen. Teelichter werfen ihren flackernden Schein um das kleine Solebecken mit konzentriertem Natursalz. Autosuggestive Worte hallen durch das dunkle Höhlenrund.
Warm in zwei dicke Wolldecken eingewickelt (auf Wunsch gibt es für Fröstelnde noch obendrein eine Wärmflasche) lauschen etwa 30 Ruhebedürftige auf bequemen Holzliegen Baumeisters schleppenden Anweisungen. Die Klangschalen-Töne werden tiefer, die Intervalle zwischen den Sätzen länger - bis sie ganz verstummen. Der rechte Arm wird ganz schwer, der linke auch - sagt zumindest Hilde Baumeister. Fest steht immerhin: Beim bewussten tiefen Ein- und Ausatmen hebt und senkt sich der Brustkorb in gleichmäßigem Rhythmus. Ruhe kehrt im Heilstollen ein: Meditationsstunde. Die Idee, einen Salzheilstollen einzurichten, kam dem Berchtesgadener Mediziner Dr. Schütz, während er in polnischer Kriegsgefangenschaft in einem Bergwerk in der Nähe von Krakau Kranke versorgte und dabei feststellte, dass tief im Salz die Gesundung sehr viel rascher eintrat, als er es bisher erfahren hatte. In Berchtesgaden gibt es den einzigen Salzheilstollen Westeuropas (in heutiger Gestalt seit 1990), nachdem er einige Jahre von einer Klinik betrieben worden war.
„Ohne Salz gibt es ja kein Leben“
Im Obersalzberg wird seit rund einem halben Jahrtausend Salz abgebaut. Früher war es ein besonders wertvoller Stoff. „Ohne Salz gibt es ja kein Leben“, sagt Salzheilstollen-Geschäftsführer Jan Freiherr von Wertheim. Oder wie der Gelehrte Paracelsus 1525 feststellte: „So hoch hat Gott den Menschen getrieben und gezwungen, dass er nicht ohne Salz leben kann oder mag, sondern muss dasselbige haben.“ Noch immer werden in Berchtesgaden jährlich rund 500 000 Tonnen Sole gewonnen und ins nahe Bad Reichenhall gepumpt, um dort zu Salz verarbeitet zu werden. „Wir gehen davon aus, dass der Salzstock bei dieser Menge noch über 200 Jahre einen ökonomischen Abbau hergibt“, sagt von Wertheim. Ohne das Salz wäre Bad Reichenhall undenkbar. Hier befindet sich das Gradierwerk, ein 14 Meter hohes, mit Schindeln gedecktes Holzbauwerk aus dem Jahr 1868, bei dem von einer aus 200 000 Reisigbündeln bestehenden Wand die Sole herabrieselt - um ihre wohltuende Wirkung auf Atemwege und Haut zu entfalten.
Tief im kühlen Heilstollen-Berg sind derweil die ersten störenden Schnarchgeräusche zu vernehmen. Hilde Baumeister macht offenbar einen richtig guten Job. Allmählich löst sich in der staubarmen und pollenfreien Luft jedes Gefühl für Zeiträume auf. Entzündungshemmend, schleim- und krampflösend, die Atemwege beruhigend: Die strahlungsneutralisierende Wirkung des Salzes begünstigt die Tiefenentspannung des menschlichen Organismus erheblich, stärkt die Selbstheilungskräfte bei Kranken (Bronchitis, Asthma, Nasennebenhöhlenleiden, Tinnitus oder allergischer Schnupfen), vermindert Alltags- und Berufsstress bei Gesunden. Die Luftfeuchtigkeit liegt zwischen 75 und 85 Prozent, die Temperatur bei elf bis 14 Grad. Rund 18 000 Gäste im Jahr besuchen den Heilstollen, um an Gesundheitseinfahrten, Entspannungskonzerten, Übernachtungen und vielem anderen mehr teilzunehmen. Viele von ihnen machen einen Abstecher zu einem anderen, einem berüchtigten Stollen - auf den Obersalzberg, dorthin, wo Adolf Hitler in den 1930er und 1940er Jahren den „Berghof“ pompös zu seinem zweiten Regierungssitz ausbauen ließ.
Nazi-Nostalgiker findet man hier nicht
Noch heute zieht es vor allem amerikanische Touristen ins luxuriöse Intercontinental-Mountain-Resort, um Hitlers im April 1945 nach Bombenangriffen der britischen Luftwaffe zerstörtes, erst 1952 endgültig gesprengtes Machtzentrum mit Blick auf den 2714 Meter hohen Watzmann und das 1834 Meter hoch gelegene legendäre Kehlsteinhaus im Nazi-Protz (das am 20. April 1939 zu Hitlers 50. Geburtstag eröffnet wurde) zu besuchen. „Ja, es kommen viele Amerikaner zu uns“, sagt Hoteldirektor Michael Caspar, „aber nicht wegen Hitler, sondern vor allem wegen der tollen Bergsicht, unseres Spa und Uli Heilmanns Sterne-Restaurant Le Ciel. Nazi-Nostalgiker finden Sie hier nicht.“ 1943 war auf dem Obersalzberg unter strengster Geheimhaltung ein unterirdisches Bunkersystem mit Luftschutzstollen angelegt worden: eine mit allen technischen Raffinessen ausgestattete Festung. Gänge von rund 2,8 Kilometer Länge verbanden ungefähr 80 teils zweckmäßige, teils luxuriöse, mit Holz vertäfelte und wertvollen Teppichen ausstaffierte Zimmer - zum persönlichen Gebrauch von Hitler, Martin Bormann und Hermann Göring. Sogar an einen eigenen Raum für Hitlers Schäferhunde hatte man gedacht.
In der ständigen Ausstellung „Dokumentation Obersalzberg“ berichten in einem Film ehemalige Pfarrer, Bäuerinnen und „Berghof“-Anwohner noch immer erschütternd, wie Hitlers Domizil zum deutschen Wallfahrtsort wurde, aber auch, wie brutal die Nazis sich das Gelände durch Zwangsverkäufe, Enteignungen und KZ-Drohungen unter den Nagel gerissen hatten. Träumt man im Heilstollen auch davon? Baumeisters Helferinnen tippen die ersten Schnarcher leicht an die Schulter, verteilen Hustenbonbons und tun entspannt so, als ob der Säge-Anfall das Alltäglichste der Welt wäre. Nach eineinhalb Stunden werden die Klangschalen-Töne wieder höher, die Intervalle kürzer. Dann holt Baumeister ihre Gäste behutsam ins Hier und Jetzt zurück. Durch einen schummrigen Tunnel geht’s zur Elektrokleinbahn, die die Tiefenentspannten durch den engen Schienen-Stollen zum Ausgang des ältesten aktiven Salzbergwerks in Deutschland bringt. Im Licht der Frühjahrssonne begreift man dann, was der große deutsche Chemiker Justus von Liebig (1803- 1873) wohl gemeint haben dürfte, als er ehrfürchtig feststellte: „Salz ist unter allen Edelsteinen, die die Erde schenkt, der Kostbarste.“
Anreise
Mit dem Auto aus Richtung Stuttgart: A 99 Richtung Salzburg, Kreuz München-Süd auf die A 8 Ausfahrt Bad Reichenhall, B 20/B 21 bis Berchtesgaden, Richtung Obersalzberg; mit der Bahn: von München mit Umsteigen in Freilassing im Stundentakt nach Berchtesgaden, Dauer knapp drei Stunden.
Salzbergwerk
Geöffnet 2. November bis 30. April täglich von 11 bis 15 Uhr (Führungen alle 25 Minuten); 1. Mai bis 31. Oktober von 9 bis 17 Uhr (Führungen alle zehn Minuten). Eintritt: 15,50 Euro (Erwachsene) und 9,50 Euro (Kinder); Familienkarte 38/42 Euro. Kinder unter 3 Jahren frei ( www.salzzeitreise.de ).
Unterkunft
Fünf-Sterne-Superior: Intercontinental Berchtesgaden-Resort, DZ pro Person ab 150 Euro, www.berchtesgaden.intercontinental.com
Vier Sterne: Hotel zum Türken mit dem einzigen öffentlichen Zugang zu einem Teil der unterirdischen Bunkeranlage, bis 1. Mai geschlossen, DZ mit Bad ab 112 Euro, www.hotel-zum-tuerken.de ; Hotel Edelweiß, DZ ab 91 Euro pro Person; www.edelweiss-berchtesgaden.com
Drei Sterne: Hotel Krone; DZ ab 40 Euro pro Person, www.hotel-krone-berchtesgaden.de
Sehenswert
Dokumentation Obersalzberg, Eintritt Erwachsene 3 Euro, Gruppen (60 Euro) nach Anmeldung; www.obersalzberg.de , Tel. 0 86 52 / 94 79 60.
Salzheilstollen: Preise je nach Angebot ab 25 Euro pro Person, www.salzheilstollen.com.
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